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ihrer Augenworte drang es leise aus ihm:

      »Ja, wo werden wir sein ... ich und du ... Schwester?«

      Ihr Mund öffnete sich zum erstenmal, zwei leidenschaftliche Silben zu bilden, die allem Früheren widersprachen:

      »Bei dir ...«

      Die Tragbahren wurden aufgenommen und der unbeschwerliche Rest des Weges fortgesetzt. Schon schlug Stimmengewirr empor. Unten an der Küste herrschte auf den engen Felsplatten ein lebensgefährliches Gedränge, das durch eine Anzahl von Matrosen noch gesteigert wurde, die sich unter irgendeinem Vorwand die Erlaubnis erbeten hatten, an Land zu gehn. Auch war die Einschiffung schon im Gang, die sich unter hundert Verwirrungen und mit wildem Geschrei entwickelte. Gabriel Bagradian wurde von allen Seiten mit Bitten, Wünschen, Forderungen, Fragen bestürmt. Die Volksgenossen brachten das Wunder der Rettung ohne einen vernünftigen Grund mit ihm in geheimnisvolle Verbindung. Er war ja, als ein Verwandter des mächtigen Frankreich, der gottgesandte Mann, seinen Landsleuten vom Musa Dagh auch draußen im Exil weiterzuhelfen. Insbesondere seine Gegner im Führerrat, die Schulzen, Thomas Kebussjan und die Muchtarin mit den raschen Mausaugen allen andern voran, konnten sich jetzt in kriecherischen Anbiederungen nicht genugtun. Er mußte sich durch eine Flut erregter Protektionsbitten durchkämpfen. Als er dann zu der Landungsstelle kam, war das Boot mit Aram und Iskuhi schon abgestoßen, denn auf Befehl des leitenden Offiziers gingen die Krankentransporte allen anderen vor. Auch Juliette war längst schon mit dem Motorboot des Konteradmirals an Bord der »Jeanne d'Arc« befördert worden. Die Sonne lag in unerträglich grellen Scherben und Splittern auf dem Meere. Viele Boote hielten den Kurs auf die Kriegsschiffe zu, andre bewegten sich gegen die Küste. Iskuhi lag unsichtbar in dem ihren. Gabriel konnte nur die starre Figur Howsannahs erkennen, die das armselige Bündel mit dem Erstgeborenen des Musa Dagh regungslos im Arm hielt.

      Die Einschiffung ging überaus langsam vor sich. Es gab viele Schwierigkeiten zu überwinden. Man hätte zwar die größere Hälfte der Dorfgemeinden recht gut auf dem Transportdampfer unterbringen können, dieser bequemen Lösung der Raumfrage aber widersetzten sich die Ärzte. Bei dichter Zusammenpferchung von Tausenden, in der Nähe der Kranken zumal, wäre das Schlimmste zu befürchten gewesen. Man mußte im Gegenteil so verfahren, daß auf jenem Transportschiff nur die Kranken, die Erschöpften, die Verdächtigen, die Verwahrlosten beherbergt und damit von den Besatzungen und dem gesunden Volksteil geschieden wurden. Der leidige Dampfer bildete somit im Hinblick auf die Kreuzer oder gar auf die gewaltige »Jeanne d'Arc« einen Ort des Elends, des Abfalls, des Kehrichts. Eine Kommission, aus Offizieren und Ärzten zusammengesetzt, unterwarf jeden einzelnen Armenier einer Gesundheits- und Ungezieferprüfung, ehe man ihm seine Einteilung zuwies. Man ging dabei sehr streng vor. Wer nur den geringsten Zweifel erregte, wurde auf das Transportschiff verbannt. Von den Führern des Musa Dagh befand sich bei dieser Musterungskommission einzig und allein Ter Haigasun. Die Kräfte Bedros Hekims waren im Laufe der Stunden immer bedenklicher verfallen. Der Chefarzt hatte ihn schon vor längerer Zeit auf den »Guichen« bringen lassen. Auch Lehrer Hapeth Schatakhian trieb sich bereits an Bord dieses Kreuzers umher, in den ungewohnten Wonnen westlicher Zivilisation schwelgend. Die Muchtars wiederum schienen ihr Schulzenamt als beendet anzusehn und sich nur mehr als Familienväter zu fühlen, ebenso die verehelichten Dorfpriester und der Rest der Lehrer. Sie kümmerten sich jedenfalls um nichts. So oblag es Ter Haigasun allein, die Interessen des Volkes wahrzunehmen, das heißt bei den Offizieren und Ärzten dahin zu wirken, daß die Familien nicht unnötig auseinandergerissen würden und daß auch der Transportdampfer die richtigen Insassen erhielt. Gabriel Bagradian trat zu der Musterungskommission, die in der Nähe der Landungsbrücke amtierte. Er legte die Hände auf Ter Haigasuns Schultern. Dieser kehrte ihm sein Gesicht zu, das wieder wächsern ruhig war wie immer. Nur der versengte Bart und das Brandmal sprachen von den letzten Ereignissen auf dem Damlajik. Er ließ seinen scheuen und doch festen Blick in Gabriels Blick weilen, was in all dieser Zeit nur ganz selten geschehen war.

      »Gut, daß ich Sie sehe, Gabriel Bagradian ... Ich habe eine Frage an Sie ...«

      Ter Haigasun sprach leise, obgleich die Franzosen sein armenisches Wort auf keinen Fall verstanden hätten:

      »Die beiden Ärgsten sind ja verschwunden, Oskanian und Kilikian meine ich, und einige andre noch ...«

      »Kilikian ist tot«, sagte Gabriel und empfand nicht das geringste dabei. In Ter Haigasuns Augen zuckte es kurz, als habe er begriffen. Dann wies er auf eine Felsplatte, wo sich ein Haufen armenischer Männer drängte:

      »Meine Frage an Sie ... Haben die Schurken ein Recht, gerettet zu werden? ... Müßte ich sie nicht zurückjagen ...?«

      Gabriel überlegte seine Antwort keinen Augenblick:

      »Hatten wir ein Recht, gerettet zu werden? ... Und sind wir die Retter? ... Jedenfalls haben wir als Gerettete kein Recht, irgendwen von der Rettung auszuschließen.«

      Ter Haigasun lächelte leicht:

      »Gut ... Ich wollte mich nur vergewissern ...«

      Der Priester bot nicht mehr den beklagenswerten Anblick von heute morgen. Einer der Schiffsgeistlichen hatte ihm einen Rock geliehen. Sein altes Bedürfnis, die Hände in der Kutte zu verbergen, zwang ihn nun, mit einer ungewohnten Bewegung in die Rocktaschen zu fahren:

      »Es freut mich, Gabriel Bagradian, daß wir auch jetzt noch derselben Ansicht sind, wie wir es immer waren ...«

      Und das erstemal trat in sein Lächeln ein Ausdruck, der beinahe verschämter Zärtlichkeit glich. Gabriel sah der Musterung eine lange Zeit zu. Da er aber völlig geistesabwesend war, sah er nur ein leeres Hin und Her. Ter Haigasun verwunderte sich nach einer Weile:

      »Sie sind noch immer hier, Bagradian? Das Motorboot der ›Jeanne d'Arc‹ kommt eben zurück ... Sehn Sie! ... Sie müssen mir hier nicht helfen. Ihre Pflicht ist getan und gesegnet. Die meine noch nicht. Gehn Sie mit Gott und ruhen Sie sich aus. Ich werde auf dem ›Guichen‹ sein ...«

      Irgendein innerer Widerstand verhinderte Gabriel, sich endgültig zu verabschieden: »Vielleicht sehe ich mich hier noch einmal nach Ihnen um, Ter Haigasun ...«

      Er drängte sich wieder durch die Wartenden und ging ohne Ziel ein paar Schritte auf den Bergpfad zu. Awakian kam ihm entgegen. Hinter diesem schleppten Kristaphor, Missak, Kework das Gepäck des Hauses Bagradian. Der Getreue hatte alles gerettet, was sich mit Menschenkräften über den Steilpfad hinabtragen ließ. Nur die Bettstellen und der Hausrat waren in den Zelten zum Tode verurteilt worden. Gabriel lachte:

      »Hallo, Awakian ... Warum diese Mühe? Das sieht ja aus, als gingen wir auf eine üppige Vergnügungsreise nach Ägypten ...«

      Der Student sah seinen Patron hinter der vernickelten Brille strafend an, mit der Miene eines armen Mannes, der den Wert der Dinge besser zu beurteilen weiß als ein ahnungsloser Reicher. Gabriel nahm ihn unterm Arm und hielt ihn fest:

      »Ich brauche noch einmal Ihre Hilfe, Awakian, mein Freund ... Die ganze Zeit denke ich darüber nach, wie sich das machen läßt ... Mein Ruhebedürfnis ist grenzenlos. Doch gerade Ruhe werde ich in den nächsten Tagen nicht finden. Der Konteradmiral hat mich eingeladen, an seiner Tafel zu speisen. Ich werde also mit einer Menge von gleichgültigen Leuten stundenlang reden müssen, erzählen, prahlen oder bescheiden tun, alles gleich peinlich. Eine neue Gefangenschaft jedenfalls. Ich will das nicht. Verstehn Sie, Awakian? Ich will das nicht! Ich will diese drei Tage wenigstens allein sein, ganz und gar allein! Und deshalb werde ich nicht an Bord der ›Jeanne d'Arc‹ gehn, sondern auf den Transportdampfer. Dort gibt es nur wenige Offiziere. Man wird mir wohl eine eigene Koje zuweisen und ich werde Ruhe haben ...«

      Samuel Awakian machte ein ziemlich entsetztes Gesicht:

      »Das Transportschiff, Effendi, das kommt ganz gewiß in Quarantäne.«

      »Die Quarantäne schreckt mich nicht ...«

      »Es kann aber eine Gefangenschaft werden, die länger als vierzig Tage dauert ...«

      »Wenn ich es will, wird man mich freilassen ...«

      Awakian suchte nach stichhaltigen Einwänden:

      »Sie beleidigen damit den Konteradmiral,

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