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Adjutant mußte außerdem noch für einen Imbiß sorgen, denn die Strapaze einer solchen Bergbesteigung war für einen alten Seemann nicht unerheblich. Es war aber gerade der Ehrgeiz des Admirals, den jüngeren Herren des Gefolges die Überlegenheit seines Herzens, seiner Lunge und Glieder zu beweisen. Er federte nur so den steilen Bergpfad empor, allen andern voran. Sato machte die Bergführerin. Ihre Kräfte hatten durch den Hunger nicht gelitten. Sie rannte voraus und wieder zurück und wieder voraus, nach ihrer Art wie eine junge Hündin den Weg dreifach zurücklegend. Dergleichen strahlende Gestalten hatte die Waise von Zeitun in ihrem Leben nie gesehn. Ihre begehrlichen Elsteraugen fraßen sich in die Uniformen, Goldschnüre und Kriegsmedaillen fest, während ihre Hand in einer Konservenbüchse die letzten Reste von kaltem Fett aus den Rillen schabte. Der Branntwein, den ihr die Matrosen geschenkt hatten, durchströmte sie befeuernd. Sie drehte in den unaussprechlichen Fetzen des ehemaligen Schmetterlingskleidchens aufdringlich ihre Hüften vor den blendenden Göttern hin und her. Manchmal streckte sie die braune schmierige Pratze den Offizieren entgegen und ein landesüblicher Naturlaut entrang sich ihren Lippen: »Bakschisch!«

      Die Herren des Stabes blieben immer wieder stehn, blickten sich um und bewunderten die Schönheit des baum- und quellenreichen Musa Dagh. Und mehr als einer kam auf dieselbe Bezeichnung, die Gonzague Maris gefunden hatte: Riviera. Viele aber gaben um seiner wilden Jungfräulichkeit willen dem Mosisberg den Vorzug. Die letzten waren zwei junge Marineoffiziere. Sie hatten bisher kaum ein Wort gesprochen und auch die Landschaft nicht gepriesen. Der eine, ein Engländer, blieb stehn, drehte sich aber nicht zum Meer um, sondern starrte geradeaus auf die Felserde:

      »Hören Sie, Kamerad, diese Armenier! Ich habe den Eindruck, keine Menschen gesehen zu haben, sondern nur Augen.«

      Gabriel Bagradian hatte die Verteidigungslinien noch immer nicht aufgelöst. Obgleich er Meldung vom Abmarsch der türkischen Truppen im Norden und Süden bekommen hatte, schien er dem Frieden doch nicht zu trauen. Es konnte auch selbstverständliche Kriegsmoral sein, die es nicht duldete, daß die Kämpfer die Walstatt verließen, ehe das Schicksal des Volkes gänzlich geregelt war. Vielleicht aber lag der Grund für diese Strenge tiefer. Zu weit war der neue Gabriel auf dem unbekannten Wege fortgeschritten, um sich so rasch zu dem alten Gabriel zurückzufinden. In vierzig Tagen hatte sich eine Verwandlung vollzogen, die ihn jetzt an die Stelle bannte. Manchem gröberen Mann erging es ähnlich. Niemand in der Linie murrte und meuterte wider Bagradians Ausdauer, am allerwenigsten die schuldbeladenen Deserteure, die sich in kriecherischer Dienstwilligkeit überboten. Gabriel hatte zu den Zehnerschaften ein paar Worte gesprochen: Niemand könne noch von Rettung reden, ehe nicht alle Frauen und Kinder eingeschifft seien. Man habe den Franzosen durch dieses Ausharren die Würde der armenischen Nation zu beweisen. Als unbesiegte Krieger, das Gewehr in der Hand, in Zucht und Ordnung, sollten sie die alte Heimat verlassen. Auch werde er keinesfalls diese Haubitzen, die das Volk seinem Sohn verdanke, schmählich auf dem Damlajik vergessen, damit die Türken sie noch heute abend abholten. Er wünsche vielmehr, diese große und wichtige Siegesbeute den Franzosen zu übergeben. Wesentlicher noch als diese Worte war die Tatsache, daß Ter Haigasun eine hinreichende Menge von Brot, Marmelade, Wein und Konserven auf den Berg geschickt hatte und Tabak dazu. Die Männer lagen im wohligen Dämmerzustand umher und fanden diese ausdauernde Ruhe erwünschter als die kleinste Bewegung.

      Die Ruhe hatte ein Ende, als die Marineinfanterie auf der Bergfläche erschien und in entwickelter Linie geradewegs auf die Haubitzkuppe marschierte. Da sprangen die Zehnerschaften auf und stürzten brüllend, jubelnd den Franzosen entgegen, die in ihren blitzblanken Uniformen einen blendenden Gegensatz zu den abgekämpften und verhungerten Lumpengestalten des Musa Dagh bildeten. Jetzt wurde den Kämpfern erst der ganze ungeheure Triumph ihres Unterfangens bewußt. Als sich nun auch die stattliche Offiziersgruppe dem Orte näherte, ging Gabriel langsam auf die Herren zu. Er tat dies in sehr gelassener Art, alles Soldatische wie aus Scham vermeidend. Sein Gewehr blieb liegen. Jetzt glich er einem Jäger oder Ausgrabungs-Ingenieur. Er lüftete den verbeulten Tropenhelm und stellte sich dem Konteradmiral vor. Der alte Herr betrachtete Gabriel ein paar Sekunden lang mit durchdringenden Augen, dann reichte er ihm die Hand:

      »Sie waren der Kommandant?«

      Gabriel wies sofort auf die Haubitzen, als sei es ihm ausnehmend wichtig, den Rettern zu zeigen, daß er nicht mit leeren Händen dastehe:

      »Herr Admiral! Ich übergebe Ihnen und damit der französischen Nation diese beiden Geschütze, die wir den Türken abgenommen haben.«

      Der Konteradmiral, der viel Sinn für Feierlichkeit besaß, nahm Stellung. Die Gestalten der übrigen Offiziere strafften sich:

      »Ich danke Ihnen, Kommandant, im Namen der französischen Nation, die diese armenische Siegestrophäe in Verwahrung nimmt.«

      Er reichte Bagradian noch einmal die Hand:

      »Ist die Eroberung dieser Haubitzen Ihre persönliche Tat?«

      »Sie ist die Tat meines jungen Sohnes, der getötet wurde.«

      Diesem Bekenntnis folgte ein langes allgemeines Schweigen. Der Konteradmiral schnellte mit seinem Bambusstock einen Stein zur Seite. Dann wandte er sich an sein Gefolge:

      »Gibt es eine Möglichkeit, die Geschütze den Berg hinab und an Bord zu bringen?«

      Der befragte Fachmann zeigte ein bedenkliches Gesicht. Mit den notwendigen Behelfen sei dies unter größten Schwierigkeiten möglich, wenn man einen vollen Tag zur Verfügung habe. Nach einer knappen Überlegung entschied der Exzellenzherr:

      »Man sorge dafür, daß die Haubitzen unbrauchbar gemacht werden. Am besten sprengen, aber vorsichtig, wenn ich bitten darf!«

      Um so besser, dachte Gabriel, zwei Geschütze weniger auf der Welt. Und doch empfand er ein Leid dabei. Um Stephans willen. Der Admiral hielt einen Trost bereit:

      »Sie haben der guten Sache einen großen Dienst erwiesen, Kommandant, auch wenn diese Haubitzen vernichtet werden.«

      Mit diesen Worten war der Übergang vom Feierlichen zum Sachlichen gegeben. Der Konteradmiral verlangte eine Darstellung der Abwehrkämpfe des Verteidigungssystems. Während Gabriel Bagradian sein Werk in wenigen Worten umriß, erfüllte ihn tiefe Ungeduld. Diese sauber gewaschenen, wohlduftenden Herren in ihren tadellosen Monturen betrachteten die herzwürgende Wirklichkeit der vierzig Tage mit herablassendem Interesse wie ein von Dilettanten aufgeführtes Kriegsspiel. Die drei Schlachten? Die waren bei weitem nicht das Wichtigste gewesen. Was wußten diese geschniegelten Herrschaften vom armenischen Schicksal, was von der Zerstörung jedes einzelnen Lebens hier oben? Die Ungeduld verfärbte sich zum Ekel. Konnte er nicht einfach den Rücken kehren und davongehen? Er war nur mehr ein Privatmann und hatte jetzt für Juliette und für Iskuhi zu sorgen, damit sie gut untergebracht würden. Um Christi willen, nein, die Franzosen waren ja die wunderhaften Retter und hatten Anspruch auf unauslöschlichen Dank. Der Konteradmiral sprach in seiner Gründlichkeit zuletzt noch den Wunsch aus, den Hauptkriegsschauplatz des Nordsattels kennenzulernen. Mit gedämpfter Stimme hatte er seinen Herren den Auftrag gegeben, sich über all das Gehörte Aufzeichnungen zu machen. Ohne Zweifel plante er einen genauen Bericht an das Marineministerium. Die Rettung der sieben armenischen Gemeinden war schließlich nicht nur eine wichtige, sondern auch eine höchst dekorative Tatsache. Gabriel Bagradian blieb selbstverständlich nichts andres übrig, als dem Wunsche des Exzellenzherrn zu entsprechen. Er sandte Botschaft an Tschausch Nurhan Elleon. Zugleich machte sich unter Führung einiger Ordonnanzen ein Teil der Marineinfanterie mit einem Maschinengewehr auf den Weg, um für die Sicherheit des Flottenführers zu sorgen. Als eine halbe Stunde später Gabriel mit dem Stab auf der Sattelhöhe anlangte, hatte Tschausch Nurhan seine Zehnerschaften schon in leidlicher Ordnung vergattert, um die Franzosen soldatisch zu empfangen. Gabriel aber trat ungeachtet des Admirals auf den verwitterten Längerdienenden zu und umarmte ihn:

      »Tschausch Nurhan! Nun ist alles zu Ende! Ich danke dir! Und ich danke jedem von euch!«

      In diesem Augenblick verließen die bärtigen Armeniersöhne ihre schöne Ordnung und umdrängten Gabriel Bagradian. Mancher haschte nach seiner Hand, um sie zu küssen. In dieser Anhänglichkeit an den Kampfführer lag auch eine Spur von Mißtrauen und Ablehnung der glänzenden Gäste. Die Offiziere aber betrachteten diese unmilitärische,

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