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hundeelend«, gibt er mit heiserer Stimme zu.

      »Was wollen Sie denn dann hier? Legen Sie sich doch ins Bett.«

      »Sie haben gut reden. Nur Doktor Müller ist im Hause. Ich muß hierbleiben.« Mühsam erhebt er sich. »Übrigens, Schwester Anita, könnten Sie mir mit einer Ampulle aushelfen? Ich benötige eine für die Ambulanz.«

      Eilfertig erhebt sie sich und geht zu dem Schrank hinüber. Der Ausdruck seines Gesichtes nimmt Spannung an. Gerade als sie das Schloß geöffnet hat, wird sie abgerufen.

      »Gehen Sie nur«, ruft er ihr zu. »Ich warte solange.«

      Sie hastet davon, und als sie nach fünf Minuten zurückkommt, sitzt er immer noch auf dem Stuhl, den Kopf in die Hand gestützt.

      Sie erschrickt, denn sie bemerkt, daß sie in der Eile vergessen hat, den Schlüssel zum Giftschrank abzuziehen. Schnell entnimmt sie einer Schachtel eine Ampulle, und nachdem sie den Namen des Patienten notiert hat, übergibt sie sie dem Arzt.

      Mit einem hastig gemurmelten Gruß verschwindet er.

      Später taucht die Oberschwester auf. Sie geht an den Schrank und bemerkt, daß eine große Packung Ampullen fehlt. Sie ist darüber so entsetzt, daß sie alle Farbe verliert und sich haltsuchend an den Schrank klammert.

      »Haben Sie eine Schachtel Eukodal ausgegeben?« wendet sie sich an Schwester Anita, deren Wangen plötzlich zu glühen beginnen.

      »Eine Schachtel nicht, nur eine Ampulle. Doktor Freytag hat sie für die Ambulanz geholt.«

      »Ach so«, murmelt die Oberschwester und schickt Anita mit einem Auftrag aus dem Zimmer.

      Er hat mich bestohlen – geht es Magda in Angst und Zorn durch den Kopf. Mein Gott! Wie soll ich das verantworten?

      Sie blickt auf das Zifferblatt der Uhr. Jetzt kann sie ihren Posten nicht verlassen, und ab acht Uhr hat Martin dienstfrei.

      Sie vergräbt ihre Hände in das Haar, ungeachtet, daß die Haube dabei nach hinten gleitet. Als Schwester Anita zurückkehrt, bleibt sie wie angewurzelt stehen. Soviel Trostlosigkeit und Verzweiflung drückt die Haltung der Oberschwester aus, daß sie alle neidvollen Gefühle in sich zum Schweigen bringt. Nur noch Mitleid erfüllt sie.

      »Ist Ihnen nicht wohl?« fragt sie leise.

      Erschrocken fährt die Oberschwester herum, rückt ihre Haube zurecht und versucht ein Lächeln. Es ist sehr schattenhaft und gequält.

      »Eine kleine Müdigkeit, sonst nichts«, erwidert sie hastig und schiebt das Giftbuch in die Schublade.

      Schwester Anita weist auf die lederne, weißbezogene Liege. »Legen Sie sich doch ein wenig hin, Oberschwester«, schlägt sie besorgt vor. »Sie brauchen sich nicht zu sorgen. Ich bleibe bei Ihnen und vertrete Sie.«

      »Nein! – Nein!« wehrt die Oberschwester heftig ab. »Es geht mir schon wieder besser. Gehen Sie doch einmal in die Ambulanz, und sehen Sie nach, ob Doktor Freytag noch dort ist. Ich möchte ihn sprechen.«

      »Gewiß!« antwortet Schwester Anita gehorsam und verschwindet. Auf dem Gang läuft sie Freytag direkt in die Arme.

      »Hoppla – hoppla!« macht er und umschließt sie fest, sonst wäre sie tatsächlich hingefallen. Merkwürdig wird ihm, als er den schlanken Mäd-chenkörper umspannt hält. Nur widerwillig gibt er sie frei und blickt sie verlegen an, er, der sonst nie um ein Wort verlegen ist.

      Aus großen Augen starrt sie ihn an. Nur kurze Zeit ist vergangen, und vor ihr steht ein völlig verwandelter Mann, wie immer mit strahlenden Augen, elastisch, forsch sein Gang.

      »Oberschwester Magda erwartet Sie«, sagt sie und geht hastig davon. Hat sie es sich nur eingebildet – oder ist er wirklich erblaßt?

      Am Ende des Ganges bleibt sie stehen und lugt um die Ecke. Sie sieht, wie er langsam kehrt macht und zögernd, sehr zögernd, das Zimmer der Oberschwester aufsucht.

      Sie hört die Stimme der Oberschwester, die nach einer Schachtel Ampullen fragt. Sie hätte um nichts in der Welt zugegeben, daß sie den Giftschrank unverschlossen gelassen hat.

      Aber es war doch nur Doktor Freytag im Raum. Was hätte er für ein Interesse an den Ampullen? Zumal sie ihm eine ausgehändigt hat.

      Plötzlich schlägt wie ein Blitz die Erkenntnis ein, nur Freytag kann sich an dem Schrank zu schaffen gemacht haben. Sie sieht den erschöpften und dann den völlig verwandelten Mann wieder vor sich und lehnt wie haltsuchend gegen die Wand.

      Sie äugt abermals um die Ecke. Aber Freytag kommt nicht aus dem Zimmer der Oberschwester. Sie muß ihn sprechen – unbedingt.

      Endlich gelingt es ihr, Herr über ihre Glieder zu werden. Sie läuft den Gang entlang und sucht das Ärztezimmer auf. Hierher muß er unbedingt kommen.

      *

      »Du bist verrückt«, stößt Doktor Freytag wütend mit tiefblassem Gesicht hervor. »Wie willst du mir das beweisen?«

      Lange und eindringlich sieht Magda ihn an, dann überkommt sie der Jammer über ihr ganzes gehetztes Leben, das sie nur noch in dauernder Unruhe verbringt. Sie legt den Kopf auf den Arm und weint bitterlich. Nein! Beweisen kann sie es ihm nicht. Keiner kann es ihm beweisen!

      Freytag preßt die Lippen zusammen. Er möchte ihr irgendein gutes Wort sagen, aber er haßt sie in diesem Augenblick, da sie sich so unbeherrscht zeigt.

      »Hör endlich mit der Heulerei auf«, herrscht er sie endlich nach einer qualvollen Pause an. »Du machst noch so lange, bis man hinter deine Schliche kommt.«

      Da ruckt sie empor. Noch rinnen ihr die Tränen über die Wangen, ihr Mund zittert. Sie sieht elend, alt und verbraucht aus, und er kann nicht begreifen, daß er sie einmal im Arm gehalten hat. Fast empfindet er Ekel vor ihr.

      »Hinter meine Schliche?« fragt sie fassungslos, mit heiserer, tonloser Stimme. »Für wen habe ich das getan? Für dich, nur für dich. Meinst du, ich wüßte nicht längst, daß du meiner überdrüssig bist? Vielleicht versuchst du es jetzt bei einer anderen Schwester? Vielleicht bei Anita, um an dein Gift heranzukommen.« Sie erhebt sich. »Ich werde selbst zu Professor Becker gehen und ihm alles sagen –«

      »Das wirst du nicht tun.« Im Nu steht er neben ihr und umfaßt ihr Handgelenk. »Du wirst weiterhin schweigen, denn du hast dich genauso schuldig gemacht wie ich.«

      »Ich kann nicht mehr – ich kann nicht mehr«, wimmert sie.

      Da stößt er ihre Hand von sich, und sie taumelt zurück auf ihren Sitz.

      »Ich werde Schluß machen – so – oder so.–«

      »Ich habe dir schon einmal gesagt«, zischt er dicht an ihrem Ohr, »dazu ist es viel zu spät. Ich erwarte dich heute abend bei mir, hörst du? Laß uns vernünftig sein. Es hat alles keinen Zweck.«

      Sie hört, wie er sich entfernt, wie er leise die Tür hinter sich schließt.

      *

      Mit großen, erregten Schritten geht Doktor Freytag ins Ärztezimmer. Vom Fenster löst sich eine Frauengestalt im weißen Kittel. Er sieht ein Paar übergroße dunkle, funkelnde Augen und ist wie gebannt. Abwartend lehnt er am Türrahmen.

      »Warum haben Sie die Packung Ampullen an sich genommen?« hört er sie wie eine Anklägerin sprechen.

      »Ampullen? Iiich?«

      »Versuchen Sie nicht zu schwindeln«, unterbricht Anita den verstörten Arzt, der sich noch nicht einmal von der Unterredung mit Magda richtig erholt hat. »Leichtsinnigerweise ließ ich den Schlüssel am Giftschrank stecken. Nur Sie waren in der Zwischenzeit anwesend. Vorher hat niemand etwas in dem Schrank zu suchen gehabt. Die Oberschwester hat sofort nach Ihrem Fortgang den Verlust entdeckt. Folglich können nur Sie Interesse an den Ampullen gehabt haben.«

      »Was – was wollen Sie eigentlich von mir?« stammelt Freytag.

      »Geben Sie mir die Ampullen zurück. Ich werde Gelegenheit finden,

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