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      Ehe er sich noch schlüssig geworden ist, kehrt Magdas Bewußtsein zurück. Sie blickt aus verstörten Augen um sich, erkennt Anita und Martin, der stumm und steif abseits steht.

      Unerbittlich kehrt ihr ins Gedächtnis zurück, wie grausam sie die letzten Stunden bei ihren düsteren Gedanken gemartert haben.

      Von Anita unterstützt, kommt sie auf die Beine. Sie zittert und hätte am liebsten die ihr helfenden Arme von sich gestoßen. Aber sie ist schwach und weich in den Knien.

      »Setzen Sie sich, Oberschwester Magda.« Anitas Stimme ist besorgt und flehend. »Ist Ihnen nicht wohl? Soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen?«

      Stumm schüttelt Magda den Kopf. Sie nimmt auch nicht Platz. Sie streicht sich das Haar aus der Stirn und schiebt dann Anita von sich.

      »Hat er Sie endlich auch ’rumgekriegt?« Ihre Stimme ist tonlos, aber scharf und mit Hohn getränkt. »Der feine Herr Doktor sieht wohl, wie ihm langsam die Felle bei mir wegschwimmen, und so sucht er nach einem anderen Halt? Werden Sie in Zukunft dafür sorgen, daß ihm der Stoff nicht ausgeht? Ich beglückwünsche Sie zu der Stellung als barmherzige Schwester. Er wird Sie genauso ruinieren wie mich. Sie werden eines Tages genausowenig aus noch ein wissen wie ich. Ich warne Sie, Schwester Anita. Er ist ein Teufel, leider habe ich es zu spät erkannt.«

      »Bist du wahnsinnig?« Mit einem Schritt steht Doktor Freytag vor der sich immer mehr in Erregung sprechenden Frau. »Sofort verläßt du das Haus. Hörst du, sofort!«

      Aus geweiteten Augen sieht Magda ihn an. Sie sieht sein verzerrtes Gesicht, hört seine zischende Stimme. Ist das derselbe Mann, der sie einst betört hat?

      Er zerrt sie zur Tür, öffnet sie weit. »Geh, wir sprechen uns morgen im Krankenhaus.«

      Magda blickt ihn aus glanzlosen Augen an, unentwegt, so daß seine Hand langsam hinabsinkt. Mit einem Aufschrei hetzt Magda davon.

      Anita hört eine Tür ins Schloß fallen, und dann herrscht Stille, eine unheimliche, bedrückende Stille.

      »Ich gehe auch«, sagt Anita leise, aber bestimmt, bückt sich nach ihrem Mantel, den sie achtlos auf den Boden hat fallen lassen und geht wie eine Traumwandlerin hinaus.

      Sein Ruf erreicht sie nicht mehr, auch nicht seine häßlichen Worte: »Verrückte Weiber!«

      *

      Wie ein Mensch, der sehr viel Zeit hat und dem auf dieser Welt nichts mehr wichtig ist, geht Oberschwester Magda den langen Flur im Krankenhaus hinunter. Ihre Füße schleppt sie über den Fußboden, als hätte sie Bleigewichte daran.

      Sie hört nur immer ein einziges Wort: »Geh!«, und es dröhnt förmlich in ihren Ohren. Sie sucht das Zimmer auf, in dem sich für gewöhnlich die Nachtschwester häuslich einrichtet, findet es leer und atmet tief auf.

      Langsam geht sie auf den Schrank zu. Alles verschwimmt vor ihren Augen. Sie weiß nur mit aller Eindringlichkeit, daß sie keine Lust mehr hat zu leben.

      Ihre Hand zittert, als sie den Schlüssel in das Schloß zu dem Schrank steckt, der den Totenkopf trägt.

      Auch die Flasche klirrt leicht auf dem Glasuntersatz, als sie sie zu sich heranzieht. Endlich umklammern ihre Finger das Glas – und sie fühlt im gleichen Augenblick einen Schlag auf dem Arm.

      Die Flasche fällt zu Boden und zerschlägt in viele kleine Scherben.

      Kraftlos sinkt sie Doktor Müller in die Arme, der ihr wie ein Schatten gefolgt ist und der, Unheil ahnend, ihr das Gift aus der Hand schlug.

      Er hebt die reglose Gestalt auf und bettet sie auf die weißbezogene Liege.

      Liebevoll und besorgt ist der Ausdruck seines Gesichtes, als er vor sich hinmurmelt: »Armes, gehetztes Menschenkind!«

      *

      Was Anita eigentlich aus Martin Freytags Zimmer zurück ins Krankenhaus treibt, da sie erst um sechs Uhr morgens Dienst tun muß, weiß sie selbst nicht. Sie fühlt sich nach den Ereignissen der Nacht am ganzen Körper wie zerschlagen. Sie bereut nicht, daß sie kopflos davongelaufen ist. Immer sieht sie Oberschwester Magdas todblasses Gesicht mit den erloschenen Augen vor sich.

      Auf leisen Sohlen geht sie, wie kurz zuvor Magda, den Flur entlang. Die Tür zum Zimmer der Oberschwester steht offen. Ihr Fuß stockt. Sie lauscht. Unheimliche Stille umgibt sie und läßt ihr Herz schneller schlagen.

      Rein mechanisch setzt sie die Füße vorwärts, will an der Tür vorbei, und ihre Blicke werden förmlich angezogen.

      Sie sieht Doktor Müller am Rande der Liege sitzen, ganz in Gedanken versunken. Er hält die Hand einer Frau. Blitzartig wird ihr alles klar.

      »Oberschwester Magda!« kommt es entsetzt von ihren Lippen, und Doktor Müller ruckt herum, erkennt die junge Schwester, die in eleganter Zivilkleidung steckt, und runzelt die Stirn. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Schwester Anita und Magdas Verzweiflungsschritt?

      »Ist sie krank?« fragt Anita, als sie neben Doktor Müller steht.

      »Ich glaube, sie ist sehr krank«, erwidert Doktor Müller, und dann blickt er sie durchdringend an. »Waren Sie etwa mit Oberschwester Magda zusammen?«

      Anita zittert. Ihr versagen die Beine den Dienst, und schnell setzt sie sich auf den Stuhl, gegenüber der Liege.

      »Nein – ja, das heißt, ganz kurze Zeit«, stammelt sie verwirrt, dabei läßt sie das stille, reglose Gesicht Magdas nicht aus den Augen. »Warum tun Sie nichts? Ist sie ohnmächtig – oder was ist los?«

      Sie weiß etwas – denkt Doktor Müller, und sein Blick wandert zu dem Giftschrank, dessen Tür noch offensteht. Am Boden liegen die Scherben der kleinen Flasche. Das Gift ist ausgeflossen und bildet eine winzige Lache.

      Anitas Augen folgen seinem Blick, und sie unterdrückt einen Schrei. »Hat sie – wollte sie etwa…?«

      »Ja, Oberschwester Magda wollte Gift nehmen. Ich konnte es rechtzeitig verhindern«, sagt er ziemlich brutal, und mitleidlos sieht er zu, wie sich aus ihren angstvollen Augen Tränen lösen und ungehindert über die Wangen rollen.

      Anita ist wie gelähmt. Magda wollte aus dem Leben gehen? Mein Gott, wenn Doktor Müller nicht dazugekommen wäre, hätte Martin ein Menschenleben auf dem Gewissen. Und trägt sie nicht auch ein Teil Schuld an Magdas Zusammenbruch?

      »Kommen Sie mal her«, hört sie Doktor Müller beinahe sanft sprechen.

      Gehorsam erhebt sie sich und stellt sich dicht neben ihn. »Ja, bitte«, haucht sie.

      »Wir wollen Oberschwester Magda gemeinsam in ihr Zimmer bringen. Ich habe ihr eine Beruhigungsspritze gegeben. Wollen Sie mir helfen, daß keiner von dem Vorfall erfährt?«

      Sie nickt heftig, eilt hinaus auf den Flur und kehrt wenig später mit der fahrbaren Trage zurück.

      Wortlos betten sie Magda, die in tiefem Schlaf liegt, aber eher wie eine Schwerkranke aussieht, auf die Trage, und gemeinsam bringen sie sie zum Fahrstuhl.

      Anita kleidet Magda aus, während Doktor Müller am Fenster steht, den Rücken dem Zimmer zugewandt. Fieberhaft überlegt er, was zu tun ist. Nur einer kann diesen völligen Zusammenbruch verschuldet haben – und das ist Doktor Freytag.

      »Fertig«, sagt hinter ihm Anita, und Müller dreht sich um. Er geht auf das Bett zu, prüft Magdas Puls und nimmt abseits in einem der zierlichen Sessel Platz. Er winkt Anita zu sich, und zaghaft läßt sie sich auf der äußersten Kante des zweiten Sessels nieder.

      »Was halten Sie von Doktor Freytag?« beginnt er die im Flüsterton geführte Unterhaltung.

      Anita sitzt unbeweglich. Die letzten Stunden kommen ihr wie ein aufregender Film vor, in dem sie selbst die Hauptrolle gespielt hat. Sie hört die eiskalte Stimme Martin Freytags, die kurz zuvor noch zärtlich und lockend zu ihr gesprochen hat, und es schüttelt sie.

      »Ich – glaube – ich hasse ihn!« stößt sie mühsam beherrscht hervor.

      Doktor

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