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verfärbt sich und nickt.

      »Warum sind Sie dann mit ihm gegangen, wenn Sie ihn doch hassen?«

      »Ich – ich glaubte, ihn gern zu haben. Da wußte ich aber noch nicht.«

      Sie verstummt jäh, und Doktor Müller betrachtet sie nunmehr mit Teilnahme. In seinen Augen liegt die Güte, mit denen er seine Kranken zu betrachten pflegt.

      »Sie dürfen Vertrauen zu mir haben, Schwester Anita«, sagt er in gänzlich verändertem Ton. Etwas liegt in seiner Stimme, was ihr Herz aufschließt. »Sprechen Sie sich das Herz frei, ich glaube die Zusammenhänge zu kennen. Sie sollen mir nur meine Mutmaßungen bestätigen.«

      Er beobachtet sie scharf, bemerkt, wie sie sichtlich mit sich kämpft.

      »Hat Doktor Freytag Sie auch zu irgendwelchen dunklen Zwecken miß-braucht?« fragt er eindringlich.

      Ihre Augen weiten sich. »Nein!« entfährt es ihr heftig. »Wissen Sie – wissen Sie, daß Doktor Freytag Morphinist ist?«

      »Ich ahne es seit einiger Zeit.« Sein Blick streift das blasse, reglose Gesicht Magdas. Sanft streichen seine Finger über die still auf der Decke ruhende Hand.

      Diese kleine Bewegung, die Zärtlichkeit verrät, reißt eine Binde von Anitas Augen. Doktor Müller liebt die Oberschwester. Und Magda? Warum hat sie sich an den haltlosen Doktor Freytag verloren und nicht den zuverlässigen, anständigen Doktor Müller vorgezogen?

      »Ich werde Ihnen alles erzählen, was ich weiß«, fährt sie bedeutend ruhiger fort. Wenn Doktor Müller die Oberschwester liebt, dann wird er versuchen, sie unter allen Umständen zu schützen. Das gibt ihr den Mut, sich alles von der Seele zu reden.

      Doktor Müller hört mit ungeteilter Aufmerksamkeit zu. Manchmal neigt er den Kopf ein wenig, als wolle er Anitas Worte bestätigen. Als sie geendet hat, bleibt er lange in Gedanken versunken.

      »Was werden Sie unternehmen?« fällt Anitas erregte Stimme in die Stille. »Es muß doch irgend etwas geschehen.«

      »Sicher muß etwas geschehen«, bestätigt er tiefernst. »Vor allem müssen Sie Doktor Freytag weiterhin in Sicherheit wiegen. Er wird, nachdem Sie da­vongelaufen sind, annehmen, Sie spielen die Verräterin. Diesen Eindruck müssen Sie verwischen. Verstehen Sie mich?«

      Hilflos blickt sie auf. Der Ekel schüttelt sie. Wenn er sie nun ebensowenig liebt wie Magda? In ihr nur ein Mittel zum Zweck sieht?

      »Sie brauchen sich nicht zu sorgen, Schwester Anita. Ihnen geschieht nichts, ich verbürge mich mit meinem Ehrenwort dafür. Aber Sie sehen doch ein, daß dieser Doktor Freytag eine Gefahr ist. Man muß ihn überführen.«

      »Und das – das soll ich tun?« Ihr schnürt die Angst fast die Kehle zu. »Ich bin eine schlechte Schauspielerin.«

      »Sie zögern? Ich kann das verstehen. Am liebsten würde ich zu Professor Becker gehen und ihm alles erzählen. Aber wir wissen nur, daß er Morphinist ist. Oberschwester Magda kann nicht sprechen, und es fragt sich, ob sie es tun wird. Sie – sie liebt leider diesen Freytag.«

      Anita schüttelt heftig den Kopf. »Ich glaube eher, daß sie ihn haßt.« Sie strafft die junge Gestalt und reicht dem Arzt die Hand. »Gut, Doktor Müller«, sagt sie entschlossen. »Ich werde versuchen, die Beweise zu liefern. Vielleicht steckt er auch hinter den Gerüchten, die über Doktor Romberg im Umlauf sind? Niemals glaube ich an ein Versagen unseres Oberarztes. Er ist die Gewissenhaftigkeit in Person. Nein! Niemals trifft ihn im Falle Stücker irgendeine Schuld.«

      »Aber das Röntgenbild«, gibt Doktor Müller zu bedenken.

      »Ja – das Röntgenbild«, wiederholt Anita. »Kann es nicht vertauscht worden sein?«

      Unter halbgeschlossenen Lidern blickt Müller zu ihr auf. Er denkt angestrengt nach. Im Geiste ruft er die Vorgänge in jener Nacht, in der man ihn aus dem Schlaf gerissen hat, in sein Gedächtnis zurück.

      Freytag war betrunken ins Krankenhaus gekommen. Es war sein eigener Schwager. Weshalb sollte er ein Interesse an der Vernichtung des Röntgenbildes gehabt haben. Oder an seiner Beseitigung?

      »Ich weiß nicht«, murmelt er. »Soviel ich auch grüble, ich finde das Motiv nicht, das Freytag dazu getrieben hätte.«

      »Vielleicht gelingt es mir, Freytag zum Sprechen zu bringen. Sie können sich auf mich verlassen, so schwer es mir auch fällt.«

      Ihr sonst so fröhliches junges Gesicht trägt plötzlich einen herben, beinahe verbissenen Ausdruck.

      Doktor Müller erhebt sich. Er ist überzeugt, daß sie ihre Sache gut machen wird. »Wollen Sie solange bei Oberschwester Magda bleiben?« fragt er und reicht ihr noch einmal die Hand. »Sollte eine Veränderung eintreten, rufen Sie mich bitte. Sie wird noch ein paar Stunden schlafen. Schlaf ist im Augenblick das wichtigste für sie.«

      Anita nimmt am Bett Oberschwester Magdas Platz. Während sie das schmale, leidend aussehende Gesicht mitleidig betrachtet, überlegt sie kühl und sachlich, wie sie sich in Zukunft Doktor Freytag gegenüber verhalten wird.

      *

      Sekundenlang verharren die beiden Ärzte auf der Schwelle des Ärztezimmers. Aus dem Lichtkreis der Leselampe löst sich eine Gestalt im weißen Kittel. Dicke Augengläser blitzen im Schein der Stehlampe auf. Fast gleichzeitig kommt es von ihren Lippen:

      »Herr Professor Becker?« Becker hat die Hände in die Taschen seines Kittels vergraben.

      »Ja, ich bin noch einmal zurückgekommen«, sagt er und kommt in die Mitte des Zimmers. »Waren Sie noch einmal bei der Patientin auf Zimmer 64?«

      Zuerst ist Romberg ein wenig betroffen, doch dann hat er sich schnell wieder gefaßt. Wann wäre der Professor einmal um diese Zeit im Krankenhaus aufgetaucht? Höchstens bei Fällen, die er sich eigens zur Operation vorbehalten hat.

      »Wir kommen soeben von ihr.« Romberg wirft einen schnellen Seitenblick auf die neben ihm stehende Ärztin. Auch in ihren Zügen glaubt er Erstaunen zu bemerken. Ruhig spricht er weiter. »Ich halte es doch für Blind-darmentzündung und möchte schnellstens operieren.«

      »Ich auch«, erwidert der Professor. »Ich werde operieren. Sie können beide assistieren.«

      Ohne eine Erwiderung abzuwarten, geht er aus dem Raum. Jetzt treffen sich die Blicke der beiden Ärzte. Sie zucken die Schultern und schließen sich dem Professor an.

      In wenigen Minuten läuft der Apparat auf Hochtouren, und alles wird zur Operation vorbereitet. Die Patientin, eine noch junge Frau, hat eine Beruhigungsspritze bekommen. Sie liegt blaß, aber gefaßt auf dem Operationstisch. Die Ärzte nehmen ihre Plätze ein, und der Professor beginnt die Operation.

      Romberg macht alle Handreichungen wie im Traum. Er sieht nur die Hand des Professors, die sicher arbeitet. Knapp fallen seine Befehle. Fast lautlos spielt sich der Vorgang im Operationssaal ab, weil jeder Griff hundertmal getan ist und jeder weiß, welche Handreichungen er zu machen hat.

      Es ist wie sonst bei den Operationen – und doch ganz, ganz anders. Eine unheilvolle Stille, die mit ungeheurer Spannung geladen ist.

      Die Patientin liegt bereits wieder auf der fahrbaren Trage. Die OP-Schwester überwacht den Abtransport.

      »Danke«, sagt der Professor kurz und verschwindet in den Waschraum.

      Wie in stiller Übereinkunft zögern Romberg und Sybilla, und als sie später den Waschraum betreten, ist er bereits leer.

      Neben Romberg steht Sybilla und läßt das Wasser über die schöngeformten Hände laufen. Langsam wendet sie Romberg den Kopf zu.

      »Komisch«, sagt sie leise. »Seit wann nimmt der Professor eine einfache Blinddarmoperation selbst vor?«

      »Das frage ich mich auch die ganze Zeit«, erwidert Romberg. Er greift zu dem Handtuch. Seine Züge sind schärfer denn je und auch verschlossener als gewöhnlich.

      Sybilla spürt ihr Herz bis zum Halse herauf klopfen. Da ist sie

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