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ich auch gern getan – nicht nur wegen der Praxis, sondern von allem wegen der Medizin.« Sie zuckte die Schultern. »Mein älterer Bruder wird in die Fußstapfen meines Vaters treten. Er macht nächstes Jahr sein Examen, und wenn er die Assistenzzeit hinter sich hat, wird er seinen Facharzt in Gynäkologie machen.«

      Markus schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht. Auch wenn dein Bruder Arzt wird – was spricht dagegen, daß du ebenfalls Medizin studierst?«

      Da lachte Karina. »Ach, weißt du, Markus, das habe ich mir auch eine Weile überlegt, aber… Vater Arzt, Sohn Arzt – ich glaube, das reicht für eine Familie.«

      »Da hast du natürlich auch wieder recht«, stimmte Markus zu, dann sah er durch die Windschutzscheibe auf das vor ihnen auftauchende Steinhausen. »Meine Güte, ich war ja schon eine Ewigkeit nicht mehr hier.«

      »Ich komme fast jedes Wochenende her«, erklärte Karina. »Mein Vater freut sich immer sehr, wenn wir ihn besuchen. Leider hat mein Bruder nur selten Lust dazu. Er und Papa stehen meistens ein bißchen auf Kriegsfuß miteinander, obwohl sie sich im Grunde wirklich sehr lieben.«

      »Vater und Sohn«, murmelte Markus. »Das ist meistens ein Kapitel für sich.«

      Karina warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. »Mir scheint, da spricht jemand aus Erfahrung.«

      »Stimmt«, gestand Markus mit einem etwas schiefen Lächeln, dann wurde er wieder ernst. »Mein Vater ist über mein Studium nicht sehr glücklich, weißt du. Er ist zwar nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, trotzdem hat er etwas gegen Richter und Anwälte. Paragraphenhengste nennt er sie, und es trifft ihn hart, daß ausgerechnet sein Sohn ein solcher Paragraphenhengst werden will. Er hat immer gehofft, daß ich irgendwann seine Autowerkstatt übernehme, aber ich bin nun mal kein Handwerker. Da habe ich die sprichwörtlichen zwei linken Hände.« Er grinste. »Ich glaube, es gibt in meiner Wohnung nicht einen einzigen Nagel, der nicht krumm ist.«

      »Und über dein Auto brauchen wir gar nicht erst zu sprechen«, meinte Karina lächelnd.

      Markus winkte ab. »Ach, die alte Rostlaube taugt eh nichts mehr. Allerdings… etwas anderes kann ich mir im Moment einfach nicht leisten. Ich werde mich also nächste Woche noch einmal mit der Kiste beschäftigen, um sie wieder flott zu kriegen.«

      Wieder sah Karina ihn kurz an, und sie stellte fest, daß er ihr immer besser gefiel, je mehr er über sich erzählte. Das berühmte Herzklopfen hatte sich bei ihr zwar immer noch nicht eingestellt, aber vielleicht gab es so etwas wirklich nur im Roman.

      *

      Es war reine Neugierde, die Stefan Daniel an diesem Sonntagmorgen nach Steinhausen trieb – auch wenn er versuchte, sich etwas anderes einzureden. Er wollte diesen Markus Wagner sehen, und nachdem er Karina am Tag zuvor aus irgendeinem Grund nicht abgeholt hatte, mußte Stefan die Fahrt nach Steinhausen schon in Kauf nehmen, um den Freund seiner Schwester begutachten zu können. Und dazu hatte er in seinen Augen nicht nur das Recht – es war vielmehr seine Pflicht, auf Karina aufzupassen, damit sie nur ja nicht an den Falschen geriet. Schließlich war er als ihr älterer Bruder irgendwie für sie verantwortlich – noch dazu, wo sie jetzt sogar bei ihm wohnte. Das alles sagte sich Stefan so lange vor, bis er es selbst glaubte.

      Dr. Daniel staunte nicht schlecht, als der blaue Kleinwagen seines Sohnes am frühen Sonntagmorgen auf den Patientenparkplatz bog. Rasch verließ er die Villa und ging auf das Auto zu.

      »Stefan, das ist ja eine Überraschung«, meinte er, nachdem sein Sohn ausgestiegen war. »Mit dir hatten wir nicht mehr gerechnet, vor allem, nachdem Karina erzählt hat, du hättest wieder mal keine Lust gehabt herzukommen.«

      Die Bemerkung »wieder mal« hätte Stefan normalerweise geärgert, doch heute beschäftigte ihn etwas anderes viel mehr. Er konnte das Auto seiner Schwester nämlich nirgends entdecken!

      »Ist Karina schon weg?« fragte er, ohne auf die Worte seines Vaters einzugehen.

      Im selben Moment wußte Dr. Daniel, was Stefan nach Steinhausen getrieben hatte.

      »Ach so«, meinte er schmunzelnd. »Da ist jemand neugierig.«

      Stefan errötete bis unter die Haarwurzeln, was einem Geständnis gleichkam.

      »Unsinn«, widersprach er dennoch. »Es ist nur… ich kann meine Schwester doch nicht einfach mit einem wildfremden Kerl weggehen lassen.«

      »Und was hättest du dagegen tun wollen?« Dr. Daniel amüsierte sich über Stefans verändertes Verhalten. Vorher hatte es ihn nämlich herzlich wenig interessiert, was seine Schwester so im allgemeinen tat.

      Stefan bemerkte natürlich, was in seinem Vater vorging, und das machte ihn plötzlich wütend.

      »Darf ich mir um meine Schwester vielleicht keine Sorgen machen?« brauste er auf.

      »Doch, natürlich«, antwortete Dr. Daniel gelassen. »Aber was dich heute hierhergetrieben hat, mein Sohn, ist keine Sorge, sondern reine Neugier.«

      »Das ist überhaupt nicht wahr!« widersprach Stefan heftig, doch sein erneutes Erröten bewies, daß sein Vater genau ins Schwarze getroffen hatte.

      Jetzt zuckte Dr. Daniel die Schultern. »Wie dem auch sei – du bist jedenfalls zu spät gekommen. Karina ist bereits weg.«

      Mit weit aufgerissenen Augen starrte Stefan seinen Vater an. »Wie bitte? Um diese Zeit?«

      »Die beiden wollten einen Ausflug machen«, erklärte Dr. Daniel. »Karina hat den jungen Mann bereits um halb sieben abgeholt.«

      »Und wo wollten sie hin?«

      Dr. Daniel lächelte. »Selbst wenn ich es wüßte, würde ich es dir nicht sagen, denn du wärst imstande, den beiden nachzufahren, und das, mein lieber Stefan, gehört sich nun wirklich nicht. Immerhin ist deine Schwester bereits erwachsen.«

      »Und dich läßt es offenbar völlig kalt, daß deine geliebte Tochter mit einem Mann unterwegs ist«, entgegnete Stefan voller Bitterkeit.

      »Nein, das läßt mich absolut nicht kalt. Du weißt ja, wie Väter in dieser Beziehung sind, aber daß auch du eifersüchtig bist, ist für mich eine große Überraschung.«

      »Du bist ja wohl verrückt!« entfuhr es Stefan. »Ich bin überhaupt nicht eifersüchtig!« Und dabei gestand er sich nicht ein, wie sehr es ihn wurmte, daß seine Schwester mit einem ihm fremden jungen Mann unterwegs war.

      *

      Karina ahnte nicht einmal, wie sehr es ihren Bruder und auch ihren Vater herumtrieb, weil sie ein Rendezvous hatte. Sie war an diesem strahlend schönen März-Sonntag einfach nur glücklich. Zusammen mit Markus war sie zum Sylvenstein-Speicher gefahren, doch das lange versunkene Fall war wegen der Schneeschmelze und der Regenfälle der vergangenen Wochen nicht zu sehen.

      »Normalerweise schaut die Kirchturmspitze aus dem See«, erklärte Karina, während Markus vol­ler Ergriffenheit ins Wasser schaute. Es schien ihm unvorstellbar, daß dort unten ein ganzes Dorf stand. »Und wenn es sehr lange Zeit trocken war, kann man sogar das Dach eines Bauernhauses sehen.«

      »Wahnsinn«, meinte Markus und schüttelte dabei fassungslos den Kopf. »Es muß für die Leute damals schlimm gewesen sein, ihr Haus zu verlassen und in einem neuerbauten Dorf ganz von vorn zu beginnen.«

      Karina nickte. »Ja, das muß furchtbar gewesen sein. All die Erinnerungen, die an einem Haus hängen.« Und dabei fühlte sie sich Markus sehr verbunden, weil er genauso dachte wie sie. Noch einmal blickte sie ins Wasser, sah die dunklen Schatten der Häuser und wandte sich dann ab.

      »Eigentlich wollten wir ja nicht in trübsinnige Stimmung verfallen«, erklärte sie und zwang sich dabei zu einem Lächeln. »Es sollte doch ein schöner Tag werden.«

      »Du hast recht«, stimmte Markus zu, dann berührte er mit einer zarten, fast schüchternen Geste ihren Arm. »Fahren wir weiter?«

      Karina nickte. »Ich habe für heute noch eine Menge geplant.«

      Markus lächelte sie an. »Da bin ich aber gespannt.«

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