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Baby etwas passiert wäre, hätte sie sich ein Leben lang Vorwürfe gemacht, weil sie während der ganzen Schwangerschaft nicht ein einziges Mal beim Arzt war.«

      Dr. Sommer schüttelte den Kopf. »Das ist aber auch wirklich leichtsinnig von ihr gewesen. Ich verstehe nicht, warum diese jungen Frauen ein solches Risiko eingehen.«

      »Übertreib nicht, Schorsch. Susanne Hartwig dürfte in dieser Hinsicht eine Ausnahme gewesen sein.«

      Doch Dr. Sommer winkte ab. »Du ahnst nicht, wie oft Frauen zur Entbindung kommen, die nie beim Arzt waren. Aber es ist sinnlos, darüber zu sprechen. Die meisten sehen nicht einmal ein, daß sie ein unnötiges Risiko eingegangen sind.« Dann legte er Dr. Daniel kameradschaftlich eine Hand auf die Schulter. »So, Robert, jetzt komm. Fahren wir nach Hause.«

      »Deine Frau wird sich herzlich bedanken, wenn du mitten in der Woche mit einem ungebetenen Gast daherkommst«, wandte Dr. Daniel ein.

      »Unsinn«, entgegnete Dr. Sommer gelassen. »Erstens ist Margit nie böse, wenn du der unverhoffte Gast bist, und zweitens ist sie gar nicht zu Hause. Sie hat heute Klassentreffen.«

      »Ach, so läuft der Hause im Pfeffer«, meinte Dr. Daniel schmunzelnd. »Du hast mich so spontan eingeladen, weil du nicht allein sein wolltest.«

      Dr. Sommer drohte ihm scherzhaft mit dem Finger. »Laß gefälligst diese Unterstellungen.« Dann wurde er ernst. »Ich mache mir Sorgen um dich.«

      »Völlig unnötig, Schorsch. Ich komme gut zurecht«, behauptete Dr. Daniel, konnte seinen Freund dabei aber nicht in die Augen sehen.

      »Genauso schaust du aus«, meinte Dr. Sommer, und dabei klang in seiner Stimme eine Spur Sarkasmus mit. Dann schloß er die Beifahrertür seines Wagens auf und ließ Dr. Daniel einsteigen, bevor er hinter dem Steuer Platz nahm.

      Die Fahrt zu der hübschen Grünwalder Villa, die Dr. Sommer bewohnte, verlief nahezu schweigend. Dann verließen die beiden Männer das Auto, und Dr. Sommer schloß die Haustür auf.

      Schon beim Eintreten bemerkte Dr. Daniel die unnachahmliche Atmo­sphäre, die nur eine Frau verbreiten konnte, und dabei wurde ihm wieder einmal schmerzlich bewußt, wie sehr er Christine immer noch vermißte. In seiner Villa hatte früher ebenfalls diese Atmosphäre geherrscht, und obwohl sich Irene alle Mühe gab, war es einfach nicht so wie früher, und Dr. Daniel ahnte, daß es nie mehr so sein würde. Irene war seine Schwester, und er liebte sie sehr, aber Christine war ein Teil seines Herzens gewesen.

      »Meine Güte, Robert, was ist denn los?« Dr. Sommers erschrockene Stimme riß ihn aus seinen Gedanken. »Du bist weiß wie die Wand. Fühlst du dich nicht wohl?«

      Mit einer Hand bedeckte Dr. Daniel seine Augen und unterdrückte nur mit Mühe ein schmwezvolles Schluchzen.

      »Ach, Schorsch, es ist verdammt schwer«, seufzte er. Dr. Sommer begriff sofort.

      »Setz dich, Robert. Ich bringe dir einen Cognak.« Er lächelte. »Das ist mein ganz spezieller Zaubertrank, und in manchen Fällen wirkt er wahre Wunder.«

      Dr. Sommer sah zu, wie sein Freund das Glas leerte und sich dann zurücklehnte. Er war noch immer sehr blaß, wirkte aber ein wenig gelöster als zuvor.

      »Es war zu früh, nicht wahr?« fragte Dr. Sommer, während er sich seinem Freund gegenübersetzte.

      Dr. Daniel wußte, was er meinte. »Nein, Schorsch, es war höchste Zeit für mich, nach Steinhausen zurückzukehren. Ich habe meine Praxis fünf Jahre lang geschlossen gehalten, und ich kann von Glück sagen, daß mir während dieser langen Zeit nicht alle Patientinnen davongelaufen sind.« Er brachte ein zaghaftes Lächeln zustande. »Stell dir vor, die meisten haben sogar den Weg von Steinhausen nach München in Kauf genommen, nur um sich von mir behandeln zu lassen.«

      »Und du hast dich kopfüber in die Arbeit gestürzt, um zu vergessen«, vermutete Dr. Sommer.

      Dr. Daniel nickte. »Nur in der Praxis war die Sehnsucht nach Christine einigermaßen erträglich. Und jetzt…« Er senkte den Kopf. »Irene hilft mir so gut sie kann, und ich habe das Haus größtenteils anders eingerichtet, aber…« Er zuckte die Schultern.

      »Es war doch zu früh«, wiederholte Dr. Sommer. »Du gehörst nicht zu der Sorte von Menschen, die schnell vergessen können. Das zeigt sich auch am Beispiel deiner Kinder. Stefan ist vor vier Jahren von zu Hause ausgezogen, aber du leidest noch immer darunter. Und mit Christine ist es tausendmal schlimmer. Ihr beide seid ein Traumpaar gewesen, ihr habt euch ideal ergänzt, und als ich von Christines Tod erfuhr, da… da hatte ich schreckliche Angst um dich. Ich fürchtete, du würdest daran zugrunde gehen.«

      Noch immer hielt Dr. Daniel den Kopf gesenkt. Es erstaunte ihn ein wenig, daß Dr. Sommer ihn so gut kannte und seine Reaktionen und Empfindungen nahezu perfekt einschätzen konnte.

      »Ich wäre auch daran zugrunde gegangen«, gestand er leise. »Wenn Karina und Stefan nicht gewesen wären… ich weiß nicht, was ich getan hätte. Meine Kinder waren mein einziger Halt. Und als Stefan ausgezogen ist…« Er winkte ab. »Bitte, Schorsch, laß uns von etwas anderem sprechen.«

      Doch Dr. Sommer schüttelte den Kopf. »Hilft nichts, mein Freund, da mußt du schon durch. Seit fünf Jahren verdrängst du alles, was mit Christines Tod zusammenhängt. Wenn du in Steinhausen wirklich neu anfangen willst, dann mußt du zuerst einmal deine Vergangenheit verarbeiten. Also, sprich weiter. Was war, als Stefan ausgezogen ist?«

      Dr. Daniel seufzte. »Ich fühlte mich verraten. Und… obwohl Karina bei mir war, kam ich mir einsam vor. Ich konnte den Gedanken nicht mehr loswerden, daß ich von jedem Menschen, den ich liebte, verlassen werde.«

      »Das letzte Wort war Gegenwart«, stellte Dr. Sommer fest. »Du schleppst also noch immer Verlassenheitsängste mit dir herum.«

      »Nein, jetzt nicht mehr«, behauptete Dr. Daniel.

      »Lüg mich nicht an, Robert. Also, komm schon, raus damit.«

      »Verdammt, Schorsch, merkst du denn nicht, wie weh du mir tust, wenn du mich zwingst…«

      »Doch, natürlich merke ich das«, fiel Dr. Sommer ihm ins Wort. »Aber ich habe dir vorhin schon gesagt: Da mußt du durch. Also, Robert, sprich darüber. Und wenn du weinen mußt, dann tu’s. Du bist bei deinem besten Freund, und es ist niemand hier, vor dem du dich deiner Tränen schämen müßtest.«

      Allein diese Worte trieben Dr. Daniel bereits das Wasser in die Augen.

      »Ich werde nicht weinen«, brachte er ein wenig mühsam hervor. »Seit Christines Tod habe ich schon viel zuviel geweint. Und als Stefan ging… und Karina…« Er brachte den Satz nicht zu Ende.

      »Du nimmst den Auszug deiner Kinder zu persönlich«, meinte Dr. Sommer ernst. »Schau, Robert, dein Stefan ist vierundzwanzig, und Karina ist drei Jahre jünger, wenn ich mich recht erinnere. Die beiden sind erwachsen und wollen ihre eigenen Wege gehen. Das hast du in ihrem Alter auch getan, und wenn Christine noch am Leben wäre, dann wärst du nie auf den Gedanken gekommen, daß deine Kinder dich verlassen würden, nur weil sie sich eine eigene Wohnung gesucht haben.«

      Dr. Daniel runzelte nachdenklich die Stirn. Von diesem Standpunkt hatte er die ganze Sache noch nicht betrachtet. Natürlich, alle jungen Leute wollten irgendwann ein eigenes Leben zu führen beginnen, und seine Kinder machten da keine Ausnahme. Bei ihm kam lediglich erschwerend hinzu, daß er Witwer war und sich mit seiner ganzen Liebe an Karina und Stefan gehängt hatte.

      Doch da war auch noch etwas anderes – etwas, das sehr viel schwerer wog.

      »Ich fühle mich für Christines Tod verantwortlich.«

      Die Worte kamen wie von selbst, und fast erschrak Dr. Daniel ein wenig darüber. Bisher hatte er diesen Gedanken fest in sich verschlossen gehalten. Mit niemandem hatte er jemals darüber gesprochen.

      »Wie bitte?« brachte Dr. Sommer nach Sekunden des Schweigens endlich hervor. Die Worte seines Freundes hatten ihn so geschockt, daß er eine Weile sprachlos gewesen war. Er hatte ja fast mit allem gerechnet, aber damit nicht.

      »Warum,

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