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ihm, und hinter mir ritt Halef. Der Weg nahm unsere Aufmerksamkeit so in Anspruch, daß nur wenig gesprochen wurde. So waren wir bereits über drei Stunden unterwegs, als sich Sadek zu mir wandte: »Nimm Dich in Acht, Sihdi! Jetzt kommt die schlimmste Stelle des ganzen Weges.«

      »Warum schlimm?«

      »Der Pfad geht oft durch hohes Wasser und ist dabei auf eine lange Strecke so schmal, daß man ihn mit zwei Händen bedecken kann.«

      »Bleibt der Boden stark genug?«

      »Ich weiß es nicht genau; die Stärke unterliegt oft großen Veränderungen.«

      »So werde ich absteigen, um die Last zu halbieren.«

      »Sihdi, thue es nicht. Dein Pferd geht sicherer als Du.«

      Hier war der Führer Herr und Meister; ich gehorchte ihm also und blieb sitzen. Doch noch heute denke ich mit Schaudern an die zehn Minuten, welche nun folgten; zehn Minuten nur, aber unter solchen Verhältnissen sind sie eine Ewigkeit.

      Wir hatten ein Terrain erreicht, auf welchem Thal und Hügel wechselte. Die wellenförmigen Erhebungen bestanden zwar aus hartem, haltbarem Salze, die Thalmulden aber aus einer zähen, breiartigen Masse, in welcher sich nur einzelne schmale Punkte befanden, auf denen Mensch und Thier nur unter höchster Aufmerksamkeit und mit der größten Gefahr zu fußen vermochten. Und dabei ging mir, trotzdem ich auf dem Pferde saß, das grüne Wasser oft bis an die Oberschenkel heran, so daß die Stellen, auf denen man fußen konnte, erst unter der Fluth gesucht werden mußten. Dabei war das Allerschlimmste, daß der Führer und dann wieder auch die Thiere diese Stellen erst suchen und dann probiren mußten, ehe sie sich mit dem ganzen Gewichte darauf wagen konnten, und doch war dieser Halt so gering, so trügerisch und verrätherisch, daß man keinen Augenblick zu lange darauf verweilen durfte, wenn man nicht versinken wollte – es war fürchterlich.

      Jetzt kamen wir an eine Stelle, welche uns auf wohl zwanzig Meter Länge kaum einen zehn Zoll breiten, halbwegs zuverlässigen Pfad bot.

      »Sihdi, aufgepaßt! Wir stehen mitten im Tode,« rief der Führer. Er wandte sich während des Forttastens mit dem Gesichte nach Morgen und betete mit lauter Stimme die heilige Fatcha: »Im Namen des allbarmherzigen Gottes. Lob und Preis Gott, dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrscht am Tage des Gerichtes. Dir wollen wir dienen und zu Dir wollen wir flehen, auf daß Du uns führest den rechten Weg, den Weg derer, die Deiner Gnade sich freuen und nicht den Weg derer, über welche – – –«

      Halef war hinter mir in das Gebet eingefallen; plötzlich aber verstummten Beide zu gleicher Zeit: – zwischen den zwei nächsten Wellenhügeln hervor fiel ein Schuß. Der Führer warf beide Arme empor, stieß einen unartikulierten Schrei aus, trat fehl und war im nächsten Augenblick unter der Salzdecke verschwunden, die sich sofort wieder über ihm schloß.

      In solchen Augenblicken erhält der menschliche Geist eine Spannkraft, welche ihm eine ganze Reihe von Schlüssen, zu denen sonst Viertelstunden oder gar Stunden gehören, mit der Schnelligkeit des Blitzes und tageshellen Deutlichkeit zum Bewußtsein bringt. Noch war der Schuß nicht verhallt und der Führer nicht ganz versunken, so wußte ich bereits Alles. Die beiden Mörder wollten ihre Ankläger verderben; sie hatten ihren Führer um so leichter gewonnen, als derselbe auf den unserigen eifersüchtig war. Sie brauchten uns gar kein Leid zu thun; wenn sie unsern Führer tödteten, waren wir unbedingt verloren. Sie lauerten also hier bei der gefährlichsten Stelle des ganzen Weges und schossen Sadek nieder. Nun brauchten sie nur zuzusehen, wie wir versanken.

      Daß Sadek von der Kugel in den Kopf getroffen war, merkte ich trotz der Schnelligkeit, mit der Alles geschah. Hatte die durchfahrende Kugel auch mein Pferd gestreift, oder war es der Schreck über den Schuß? Der kleine Berberhengst zuckte heftig zusammen, verlor hinten den Halt und brach ein.

      »Sihdi!« brüllte hinter mir Halef in unbeschreiblicher Angst.

      Ich war verloren, wenn mich nicht Eins rettete: noch während das Pferd im Versinken war und sich mit den Vorderhufen vergeblich anzuklammern suchte, stützte ich die beiden Hände auf den Sattelknopf, warf die Beine hinten in die Luft empor und schlug eine Volte über den Kopf des armen Pferdes hinweg, welches durch den hierbei ausgeübten Druck augenblicklich unter den Salzboden gedrückt wurde. In dem Augenblick, während dessen ich durch die Luft flog, hat Gott das inbrünstigste Gebet meines ganzen Lebens gehört. Nicht lange Worte und viele Minuten gehören zum Gebete; wenn man zwischen Leben und Tod hindurchfliegt, gibt es keine Worte und keine Zeit zu messen.

      Ich bekam festen Boden; er wich aber augenblicklich unter mir; halb schon im Versinken, fußte ich wieder und raffte mich empor; ich sank und erhob mich, ich strauchelte, ich trat fehl, ich fand dennoch Grund; ich wurde hinabgerissen und kam dennoch vorwärts und ging dennoch nicht unter; ich hörte nichts mehr, ich fühlte nichts mehr, ich sah nichts mehr als nur die drei Männer dort an der Salzwelle, von denen zwei mit angeschlagenem Gewehre mich erwarteten.

      Da, da endlich hatte ich festen Boden unter den Füßen, festen, breiten Boden, zwar auch nur Salz, aber es trug mich sicher. Zwei Schüsse krachten – Gott wollte, daß ich noch leben sollte; ich war gestolpert und niedergestürzt; die Kugeln pfiffen an mir vorüber. Ich trug mein Gewehr noch auf dem Rücken; es war ein Wunder, daß ich es nicht verloren hatte; aber ich dachte jetzt gar nicht an die Büchse, sondern warf mich gleich mit geballten Fäusten auf die Schurken. Sie erwarteten mich nicht einmal. Der Führer floh; der Ältere der Beiden wußte, daß er ohne Führer verloren sei, und folgte ihm augenblicklich; ich faßte nur den Jüngeren. Er riß sich los und sprang davon; ich blieb hart hinter ihm. Ihm blendete die Angst und mir der Zorn die Augen; wir achteten nicht darauf, wohin uns unser Lauf führte – er stieß einen entsetzlichen, heiseren Schrei aus, und ich warf mich sofort zurück. Er verschwand unter dem salzigen Gischte und ich stand kaum dreißig Zoll vor seinem heimtückischen Grabe.

      Da ertönte hinter mir ein angstvoller Ruf.

      »Sihdi, Hülfe, Hülfe!«

      Ich wandte mich um. Grad an der Stelle, wo ich festen Fuß gefaßt hatte, kämpfte Halef um sein Leben. Er war zwar eingebrochen, hielt sich aber an der dort zum Glücke sehr starken Salzkruste noch fest. Ich sprang hinzu, riß die Büchse herab und hielt sie ihm entgegen, indem ich mich platt niederlegte.

      »Fasse den Riemen!«

      »Ich habe ihn, Sihdi! O, Allah illa Allah!«

      »Wirf die Beine empor; ich kann nicht ganz hin zu Dir. Halte aber fest!«

      Er wandte seine letzte Kraft an, um seinen Körper in die Höhe zu schnellen; ich zog zu gleicher Zeit scharf an, und es gelang – er lag auf der sichern Decke des Sumpfes. Kaum hatte er Atem geschöpft, so erhob er sich auf die Knie und betete die vierundsechzigste Sure: »Alles, was im Himmel und auf Erden ist, preiset Gott; sein ist das Reich, und ihm gebührt das Lob, denn er ist aller Dinge mächtig!«

      Er, der Muselmann, betete; ich aber, der Christ, ich konnte nicht beten, ich konnte keine Worte finden, wie ich aufrichtig gestehe. Hinter mir lag die fürchterliche Salzfläche so ruhig, so bewegungslos, so gleißend, und doch hatte sie unsere beiden Thiere, und doch hatte sie unseren Führer verschlungen, und vor uns sah ich den Mörder entkommen, der dies Alles verschuldet hatte! Jede Faser zuckte in mir, und es dauerte eine geraume Weile, bis ich ruhig wurde.

      »Sihdi, bist Du verwundet?«

      »Nein. Aber Mensch, auf welche Weise hast Du Dich gerettet?«

      »Ich sprang vom Pferde, grad wie Du, Effendi. Und weiter weiß ich nichts. Ich konnte erst dann wieder denken, als ich dort am Rande hing. Aber wir sind nun dennoch verloren.«

      »Warum?«

      »Wir haben keinen Führer. O, Sadek, Freund meiner Seele, Dein Geist wird mir verzeihen, daß ich Schuld an Deinem Tode bin. Aber ich werde Dich rächen, das schwöre ich Dir bei dem Barte des Propheten; rächen werde ich Dich, wenn ich nicht hier verderbe.«

      »Du wirst nicht verderben, Halef.«

      »Wir werden verderben, wir werden verhungern und verdursten.«

      »Wir werden einen Führer haben.«

      »Wen?«

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