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      Die kleine norwegische Industriestadt Odda am Ende des bekannten Hardanger-Fjords beherbergte seit fünf Tagen eine internationale Berühmtheit: den Liebhaberdetektiv Harald Harst, jenen genialen Mann, dessen Taten und Abenteuer ich, sein Freund und Privatsekretär, hier schildern darf.

      „Zwei Wochen lang faulenze ich jetzt nach Herzenslust, mein Alter,“ hatte Harald erklärt. „Mag kommen, was da will: ich übernehme erst nach Ablauf von zwei Wochen einen neuen Fall! Hier in Odda werden wir ja wohl auch vor Aufträgen sicher sein: hierher wird sich kein Mandant verirren. Die Reise ist zu umständlich.“ –

      Harald vergaß zweierlei, als er diese Sätze aussprach. Erstens: daß die norwegischen Zeitungen über unsere Erlebnisse auf dem Gletscher bereits am folgenden Tage ganz eingehend berichtet hatten. Und zweitens: daß ein Mandant auch schreiben konnte und gar nicht persönlich in Odda zu erscheinen brauchte! –

      Am sechsten Urlaubstage erhielt Harald dann den Brief des Herrn Ingenieurs Holger Sondbör aus Trollhätta.

      Das Schreiben wurde ihm von dem Hoteldiener ausgehändigt, als wir gerade morgens um acht Uhr eine Fußtour unternehmen wollten.

      „Vorgestern in Göteborg aufgegeben,“ sagte er wie zu sich selbst. „Auf der Rückseite steht als Absender „Holger Sondbör, Ingenieur, Trollhätta“. Hm – Herr Sondbör hat den Brief also mit nach Göteborg genommen und dort in den Kasten gewor–“

      Das „geworfen“ wurde nicht beendet, sondern die letzte Silbe durch ein lautes „Ah! Geöffnet, wieder verklebt und mit einem heißen Bügeleisen geglättet!“ ersetzt.

      Dann reichte er mir den Brief.

      „Da, sieh Dir mal die Briefklappe an!“

      Ich tat es, nickte und bestätigte: „Geöffnet, wieder zugeklebt und gebügelt, damit das unerlaubte Öffnen nicht auffällt!“

      „Ganz recht. Mithin hat nicht Holger Sondbör den Brief nachher wieder geöffnet, sondern jemand anders. Sondbör hätte sich die Mühe des Bügelns erspart.“

      Dann las er vor:

      Trollhätta, den 3. August 19…

      Sehr geehrter Herr Harst! Aus den Zeitungen ersah ich, daß Sie sich zur Zeit in Odda im Hotel Hardanger mit Ihrem Freunde, Herrn Schraut, aufhalten.

      Gestatten Sie, daß ein Mann, der seit langem Ihr glühender Bewunderer ist, Ihnen einige Tatsachen mitteilt, die vielleicht etwas Besonderes verbergen.

      Seit zehn Tagen wohnt hier in Trollhätta ein Franzose namens Jacques Dalcroix. Ich bin sein Stubennachbar bei der Witwe Svendsen, die von ihrer im ersten Stock eines hübschen Blockhauses gelegenen Wohnung drei Zimmer möbliert vermietet. Zwei davon hat Dalcroix inne, das dritte ich selbst.

      Ich wohne bei Mutter Svendsen bereits zwei Jahre. Ich bin hier Ingenieur beim Trollhätta-Kraftwerk. Sie wissen ja, daß die berühmten Trollhätta-Fälle jetzt zur Kraftstromerzeugung ausgenutzt werden.

      Am zweiten Abend nach Monsieur D’s Einzug stellte ich gegen 11 Uhr zufällig fest, daß D. trotz des starken Regens das Haus auf dem etwas ungewöhnlichen Wege durch das Fenster mit Hilfe einer Strickleiter verließ.

      Er kehrte erst gegen drei Uhr heim – auf demselben Wege. Die Strickleiter hatte er hängen lassen.

      Meine Aufmerksamkeit war erregt, – mehr noch: mein Argwohn! Ich habe seitdem allnächtlich mehrere Stunden den Schlaf geopfert und bin so in der Lage, behaupten zu dürfen, daß Monsieur Jacques Dalcroix eine anrüchige Persönlichkeit sein muß, denn – er hat sich jede Nacht bisher aus dem Hause durch das Fenster für längere Zeit entfernt.

      Heute nacht geschah nun etwas neues. Ich möchte diese Nacht eingehender schildern.

      Zunächst noch einige Einzelheiten über Dalcroix selbst.

      Er ist mittelgroß, kräftig, bartlos, hat etwas stechende Augen, stellt jedoch im übrigen ganz den Typ des liebenswürdigen, vielseitig gebildeten Franzosen mit dem dieser Nation nie fehlenden Selbstbewußtsein dar. Wir sind miteinander bekannt geworden. Eine Unterhaltung zwischen uns stößt leider auf Schwierigkeiten, da Dalcroix meine Muttersprache nur mühselig radebrecht und ich wieder das Französische nicht beherrsche, wenigstens nicht fließend. – Jacques Dalcroix behauptet, Maler zu sein. Er läuft denn auch den Tag über mit einer Staffelei und einem Malkasten umher. Ob er tatsächlich etwas malt, weiß ich nicht. Mutter Svendsen will bei ihm einige Ölskizzen der Fälle gesehen haben. Er selbst erklärte mir, er zeige seine unfertigen Bilder niemals Fremden: es sei das eine Marotte von ihm. –

      Nun zu der soeben vergangenen Nacht, denn ich schreibe diesen Brief am frühen Morgen.

      Ich hatte mir vorgenommen, Dalcroix einmal heimlich zu folgen. Abends sagte ich ihm, ich hätte Nachtdienst im Kraftwerk. Ich wollte meine Abwesenheit von Hause nur irgendwie begründen.

      Mutter Svendsens Häuschen liegt etwas außerhalb des Ortes nach dem Bahnhof zu. Es ist von einem Garten umgehen. Mithin war es mir leicht, mich in der Nähe zu verbergen.

      Gegen Mitternacht bemerkte ich Dalcroix, dessen Zimmerfenster nach vorn hinausliegen, mit seiner Strickleiter am linken Eckfenster. Die Nacht war hell und sternenklar. Er kletterte wie immer sehr gewandt nach unten, verbarg die Strickleiter in dem wilden Wein, der die Vorderfront recht dicht umrankt, und schlich durch den Vorgarten der Straße zu.

      Trollhätta ist nur ein kleines Städtchen. Nachts sind die Straßen wie ausgestorben.

      Bei solcher Stille und in unseren hellen, nordischen Sommernächten jemandem unbemerkt zu folgen, ist nicht einfach, besonders wenn man hierin so gar keine Erfahrungen besitzt.

      Ich mußte daher auch ein gutes Stück hinter Dalcroix bleiben, sonst hätte er mich erkannt, wenn er vielleicht argwöhnisch geworden wäre und sich umgedreht hätte.

      Immerhin gelang es mir, festzustellen, wohin er seine Schritte lenkte. Er wanderte wie in den vorhergehenden Nächten den Fällen zu. Ich hatte von meinem Fenster aus ihn ja stets eine Strecke weit beobachten können.

      Dann bog er jedoch dicht an der alten Schneidemühle nach links ab und betrat eine Baracke von Häuschen, in der ein buckliger Mensch namens Olaf Aarström wohnt, der sich nicht gerade des besten Rufes erfreut.

      Diesen Aarström, einen Tagedieb und heimlichen Trunkenbold, hatte Dalcroix schon am zweiten Tage nach seiner Ankunft als Träger für seine Staffelei gemietet. Außerdem mußte der Bucklige auch den Rucksack schleppen, den der Maler stets mitnimmt, da er sein Mittagessen immer in Gestalt kalter Speisen im Freien verzehrt. –

      Ich war recht überrascht, daß Dalcroix’ nächtliche Gänge gerade Olaf Aarström galten. Mehr noch: ich war zuerst enttäuscht!

      Aber dann sagte ich mir, es müßten doch wohl zwischen den beiden Beziehungen bestehen, die das Licht des Tages zu scheuen hätten.

      Ich möchte bemerken, sehr geehrter Herr Harst, daß ich keineswegs eine abenteuerliche Natur bin. Nein – ich hätte mich niemals auf diese Beobachtung des Malers eingelassen, wenn nicht seine merkwürdigen nächtlichen Ausflüge jene Neugier in mir geweckt haben würden, der wir alle wohl unter bestimmten Umständen unterliegen.

      Dieses Interesse verführte mich nun auch dazu, mich nach einer geraumen Weile an Aarströms Häuschen heranzupirschen. Es ist für einen Laien in solchen Dingen recht schwer, lautlos und unter Ausnutzung aller Vorteile der Örtlichkeit bis zu einem erhellten Fenster zu gelangen. Ich brauchte deshalb auch eine Viertelstunde, bis ich mich unter dem an der Rückseite der Baracke liegenden Fenster, dem einzigen erleuchteten, aufrichten und durch die erblindeten Scheiben einen Blick in die armselige Stube werfen konnte.

      In der Mitte sah ich einen Tisch mit einer hellen Wachstuchdecke. An dem Tisch saßen Dalcroix und Aarström sich gegenüber. Links stand auf der Tischplatte eine Petroleumlampe ohne Glocke. Ihr rötliches Licht bestrahlte die erregten Gesichter – zweier Kartenspieler! –

      Sie

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