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      Eine eisige Luft strich dieses Seitental entlang. Man spürte die Nähe des Gletschers immer mehr. Rechts von uns wieder himmelhohe Wände, alles dunkler Granit.

      Stellenweise war der Pfad von Steinlawinen völlig bedeckt, die im Frühjahr bei der Schneeschmelze hervorgerufen wurden und dann ein Passieren dieses Weges zu einer steten Lebensgefahr machten.

      Die Kletterei war ermüdend. Der Gletscherbach führte sehr viel Wasser. Wir mußten häufig nach rechts ausbiegen und ein Stück aufwärts klimmen.

      Als wir gerade abermals einer überfluteten Stelle dieses jämmerlichen Weges, der diese Bezeichnung gar nicht verdiente, ausgewichen waren und zwischen Steinschutt mitten auf einem sanft ansteigenden Geröllfelde dahinschritten, blieb Harald plötzlich stehen. Er war mir stets ein paar Schritte voraus.

      „Da ist es wieder!“ sagte er seltsam erregt und deutete nach oben, wo die Steilwände sich wie finstere Riesenmauern emporreckten.

      Ich folgte mit den Augen der Richtung seiner Hand und gewahrte nun ein schwaches Licht, das sich etwa zweihundert Meter rechts in der Höhe hin und her bewegte.

      „Wenn ich nicht wüßte, daß Raupach-Ruperti noch im Hotel Hardanger weilte, als wir es verließen,“ fügte Harst leise und grüblerisch hinzu, „dann könnte ich fast fürchten, wir –“

      Ein schwacher Knall von rechts oben schnitt ihm das Wort ab.

      Wir stierten aufwärts.

      Das Licht war verschwunden.

      Dann – dann dort oben ein Poltern und Krachen, das im Moment zu einem wahnwitzigen Getöse anschwoll.

      „Eine Steinlawine!“ brüllte Harald. Und noch nie habe ich aus seiner Stimme ein solches Entsetzen herausgehört wie damals.

      Er packte meinen Arm, riß mich mit sich, keuchte.

      „Schnell – schnell. Da, zehn Schritt zurück. Die Felsspalte. Die einzige Rettung –“

      Die ersten Steine sausten an uns vorüber – die Vorläufer der eigentlichen Lawine.

      Sie kamen herab wie Kanonenkugeln, schlugen auf das Geröll auf, prallten ab, zerbarsten zum Teil.

      Steinsplitter drangen mir in die Hand, die die Laterne hielt.

      Und Harald riß mich weiter, riß mich zu Boden. Meine Laterne ging in Scherben.

      Da war eine meterbreite Spalte, die sich schräg nach abwärts zog – mit zackigen Wänden.

      Harst drängte mich hinein.

      „Hinab – hinab, – so tief Du kannst!“

      Wie ich damals dort hinabgeklettert bin, – ich weiß es nicht! Ich weiß nur so viel, daß Harst mir plötzlich ins Genick fiel, daß wir beide ein Stück abwärtsrutschten, uns die Gesichter blutig rissen an den Zacken und Vorsprüngen.

      Und über uns raste nun wie ein Heer wilder Teufel die Steinlawine dem Gletscherbache zu – hüpfend, polternd, sausend, pfeifend – ein ohrenbetäubender Lärm. –

      Nur wenige Steine fielen in die Spalte hinein, da ein paar riesige Blöcke diese oben sofort fast ganz verrammelt hatten.

      Dann Stille – eine fast unheimliche Stille.

      Harald hatte seine Laterne längst ausgelöscht, flüsterte nun, indem er tief Atem holte:

      „Das war einmal ein Attentat besonderer Art, mein Alter! Die Schurken waren also auf alles vorbereitet, wußten, daß wir in Odda waren, wußten es, bevor noch Raupach-Ruperti uns im Speisesaale sah –“

      „Der Rechtsanwalt Granjelm?“ fragte ich atemlos.

      „Ja, natürlich! Granjelm muß schon in Christiania uns beobachtet haben. Als wir nach Skien fuhren, wählte er den Weg über Bergen nach Odda, den er in zwei Tagen schafft – Bahn und Dampfer. Und dann haben die beiden alles genau vereinbart. Granjelm lauerte uns hier auf, sah uns mit den Rädern kommen, eilte uns voraus, sprengte eine bröckelige Stelle der Steilwand ab, erzeugte künstlich eine Steinlawine. Nun werden sie sehr bald nach uns suchen, die beiden Schurken. Und wenn sie uns nicht finden, werden sie annehmen, wir lägen unter den am Bachrande aufgehäuften Steinen begraben, denn – daß wir uns gerettet haben könnten, das glauben sie niemals! Granjelm sah ja, daß der Lichtschein unserer Laternen mitten im Hagel der Steingeschosse sich befand und dann plötzlich erlosch! Einer Steinlawine entgeht niemand, der so wie wir auf einem langen Geröllfelde sich befindet –“

      Mir tobte die wilde Aufregung der letzten Minuten noch in allen Nerven. Unsere Rettung erschien mir wie ein Wunder.

      „Und doch sind die Schurken dumm gewesen,“ flüsterte Harald nach kurzer Pause weiter. „Das sich bewegende Licht dort oben hatte mich schon vorher argwöhnisch gemacht. Es blieb stets schräg vor uns. Daß ich dann an die Spalte dachte, war kein Gedanke des Augenblicks. Ich rechnete halb und halb mit etwas Ähnlichem –“

      Er schwieg, drückte meinen Arm.

      Draußen auf dem Geröllfeld Geräusche – Schritte – Stimmen.

      „Drücke Dich ganz eng an die Wand,“ hauchte Harald.

      Nun über uns eine Stimme, deutsche Worte:

      „Die beiden sind erledigt! Laß doch das Suchen!“

      Der, der dies rief, war kein Deutscher. Es mußte Granjelm sein.

      Ein dünner Lichtstrahl glitt über die andere Wand der Spalte.

      „Man muß vorsichtig sein,“ meinte eine andere Stimme. Und das war die Rupertis. „Dieser Harst ist schon ganz anderen Leuten entwischt als uns Dilettanten!“

      Der Lichtstrahl verschwand zum Glück wieder. Die Schritte entfernten sich.

      Mein Herzschlag beruhigte sich langsam. Hätte Ruperti uns hier entdeckt – hier in diesem schmalen Felsloche, wo wir uns nicht wehren konnten, dann – dann hätte man von Harst und Schraut wohl nie mehr eine Spur gefunden.

      Wir standen noch immer regungslos.

      Dann brachte Harald seinen Mund an mein Ohr.

      „Ich hatte die Clement in der Hand, mein Alter. Der erste Lichtstrahl, der uns von Rupertis Laterne umspielt hätte, wäre von mir mit einer Kugel beantwortet worden.“

      Wir warteten noch zwei Stunden. Dann zündete Harald seine Laterne an.

      „Wir können es nun wagen,“ flüsterte er. „Es ist jetzt ein Uhr nachts –“

      Er kletterte langsam empor. Die Spalte war gut sechs Meter tief. Ich folgte vorsichtig. Zwischen zwei Steinblöcken hindurch zwängten wir uns ins Freie. Harald löschte die Laterne sofort wieder aus. Schritt für Schritt tasteten wir uns weiter bis zu einem Gebüsch neben dem Fußpfade.

      Hier setzten wir uns nieder. Der Gletscherbach brauste und tobte. Der weiße Gischt leuchtete gespenstisch durch die Nacht. Über uns der ausgestirnte Nachthimmel und die schmale Mondsichel.

      Wir froren. Selbst das Fläschchen Kognak, das Harald vorsorglich eingesteckt hatte, half nicht viel.

      Wir froren und hielten doch aus, bis der Morgen graute. Es wurde hell.

      „So – nun vorwärts!“ meinte Harald. „Wir werden die beiden wohl in der Steinhütte überraschen –“

      Wir kletterten den Pfad weiter bergan. Rechts tauchte ein kleiner Bauernhof auf; dann das Holzhäuschen, in dem die Besucher des Buarbrä-Gletschers Erfrischungen und natürlich – Ansichtskarten erhalten können.

      Der Wirt dieses primitiven Restaurants war bereits munter und musterte uns wie Wundertiere. Morgens um sieben Uhr hatte er wohl noch nie Touristen bedient. Wir bestellten Kaffee, Setzeier und belegte Brote.

      „Die Herren haben wohl im Hotel Frühstück nicht erhalten,“ meinte der

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