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      »Morgen früh? Ich bin um neun dort.«

      Es fiel ihr schwer, das Angebot abzulehnen, also stimmte sie zu und räumte weiter auf, während Nick die Schleifarbeiten beendete. Sie ging mit einem Müllsack durch die gesamte Etage und sammelte den Müll ein. Leere Farbdosen, Jørns Pizzaschachteln, ein paar flach getretene Milchkartons und vieles mehr. Als sie den Sack in den Container im Hof geworfen hatte, hatte sie für heute Feierabend. Sie streckte sich und ging zu ihren beiden Kollegen.

      Die Polizei war offenbar fertig mit dem Treppenaufgang und der Dachetage, aber noch immer sperrte ein rot-weiß gestreifter Plastikstreifen den Treppenabsatz, sodass man ohne eine besondere Erlaubnis nur bis zum ersten Stock kam.

      Die beiden Gesellen redeten noch immer über den Mord. Christina hörte zu, während sie ihr Bier trank. Sie fand das alles ziemlich unangenehm, und es fiel ihr schwer, sich an dem morbiden Rätselraten über die Mordmethode, den Spekulationen über die Identität der Leiche und die ekelhaften Geschichten über andere Leichenfunde in der letzten Zeit zu beteiligen.

      »Danke für das Bier«, sagte sie und stand auf, als sie den letzten Schluck getrunken hatte. »Und schönes Wochenende.«

      Während der Fahrradfahrt nach Hause war es noch kälter als am Tag zuvor, und es schneite immer stärker, also trat sie nur noch fester in die Pedale. Als sie den letzten Hügel hinauffuhr, spürte sie, wie der Schnee schmolz und die Vorderseiten ihrer Hosenbeine durchweichte. Mistwetter.

      Christina ging direkt in den Waschkeller und steckte ihre nassen Sachen in die Waschmaschine, bevor sie den viel zu großen Bademantel und die Hausschuhe anzog und die Treppe zur Wohnung ihrer Eltern hinaufging.

      »Christina!«, rief ihre Mutter beim Anblick ihrer durchfrorenen Tochter aus. »Du siehst ja aus wie eine ertrunkene Maus.«

      »So fühle ich mich auch.« Christina stellte verblüfft fest, dass ihre Stimme bebte.

      »Ist irgendetwas nicht in Ordnung, Schatz?« Kirsten Isakson legte einen Arm um ihre Tochter, und plötzlich löste sich etwas in Christina. Die ganze Geschichte sprudelte aus ihr heraus, wobei sie untröstlich schluchzte. Alles, was sie den ganzen Tag über in sich hineingefressen hatte, damit ihre Kollegen sich nicht über sie lustig machten.

      »Möchtest du eine Tasse heißen Kakao?«, erkundigte sich ihre Mutter, als der Redestrom und die Tränen allmählich nachließen.

      »Ja danke.« Christina putzte sich die Nase. »Und danach würde ich gern ein heißes Bad nehmen, wenn das okay ist.« Sie wischte sich die Tränen mit dem Ärmel ihres Bademantels aus dem Gesicht.

      Erst jetzt bemerkte sie, dass auch ihr Vater in die Küche gekommen war. Er saß mit einem gestreiften Plaid über den Beinen in seinem Rollstuhl und sah sie an.

      Christina umarmte ihn. »Mach dir keine Sorgen, Papa. Ich bin okay.«

      »Wissen sie inzwischen, wer es ist?«, fragte ihr Vater und fischte seine Zigaretten aus der Brusttasche. »Also der Tote.« Er ignorierte den Blick seiner Frau und bot seiner Tochter eine Zigarette an.

      »Nein.« Christina zündete sich eine Zigarette an und inhalierte dankbar. »Oder sie haben es uns noch nicht erzählt.«

      »Könnt ihr nicht in den Wintergarten gehen, wenn ihr unbedingt rauchen müsst?«, fragte Kirsten. »Ich bringe euch den Kakao. Willst du auch eine Tasse, Villy?«

      In dem gut isolierten Wintergarten herrschte eine angenehme Temperatur, denn hier hielt sich Villy Isakson den größten Teil des Tages auf. Hier bastelte er an seinen Projekten – Konstruktionen aus Streichhölzern ohne Zündköpfe, die er tütenweise kaufte. Hier stand alles aufgereiht, von kleinen Häuschen bis zu groß angelegten Nachbauten der Domkirche von Christianssund und des Kopenhagener Rathauses. Die Streichholzhäuschen waren seine mentale Rettung, seit er nach einem Arbeitsunfall vor einigen Jahren querschnittsgelähmt war. Die Basteleien zeigten seine große handwerkliche Begabung, und sie machten ihn stolz. Er behauptete, dass er ohne diese Beschäftigung wahnsinnig werden würde.

      Außerdem konnte er hier in Ruhe seine geliebten Zigaretten rauchen. »Die nimmst du mir nicht weg, Kirsten«, sagte er regelmäßig zu seiner Frau, wenn sie mehr oder weniger direkt versuchte, ihn darauf aufmerksam zu machen, wie gefährlich das Rauchen für einen übergewichtigen, zum Sitzen verurteilten Mann ist.

      »Macht die Tür zum Wohnzimmer zu, und kippt das oberste Fenster an«, sagte sie zu ihrer Tochter. »Dann müssen wir uns nicht streiten.« Sie zwinkerte ihrer Tochter zu.

      »Was baust du gerade, Papa?«, wollte Christina wissen, die mit schlechtem Gewissen bemerkte, dass er mit einem Projekt nahezu fertig war, an das sie sich einfach nicht erinnern konnte. Hatte sie ihn wirklich so lange nicht gesehen?

      »Erkennst du es nicht? Es ist das neue Firmengebäude von Petax Entreprises. Arbeitest du nicht im Augenblick dort?«

      »Im Hinterhaus, ja. Das Vorderhaus sehen wir nicht so oft, aber jetzt, wo du es sagst, erkenne ich es natürlich.« Sie hielt ihren Bademantel am Hals zusammen, während sie sich über das Streichholzgebäude beugte und die zierliche Konstruktion bewunderte. »War das nicht schwierig, diese Bögen über den Fenstern zu bauen?«, fragte sie und strich die Asche ihrer Zigarette in dem bereits übervollen Aschenbecher ab.

      »Nein, man muss nur wissen, wie es geht.« Villy nahm ein Streichholz und ein Skalpell und zeigte seiner Tochter, wie er eine Reihe feiner Kerben in eine Seite des Streichholzes schnitt.

      »Dann lege ich es in kochendes Wasser, und nach einer Weile kann man es so biegen, wie man es braucht.«

      »Clever.« Christina richtete sich auf.

      Kirsten Isakson kam mit zwei dampfenden Bechern in den Händen. »Puh, ist es hier zugequalmt«, beschwerte sie sich.

      »Wir haben das Fenster aufgemacht«, erwiderte Christina und nahm ihr einen Becher ab.

      »Wenn wenigstens du damit aufhören würdest, Schatz.«

      »Darüber will ich jetzt nicht diskutieren.« Christina pustete auf den heißen Kakao.

      Sie saßen eine halbe Stunde zu dritt im Wintergarten, und Christina merkte, wie sich ihr Nervensystem allmählich beruhigte.

      Nach einem langen Bad und einer Portion Würstchen zog sie sich in ihren Keller zurück. Auf ihrem Handy, das sie absichtlich unten hatte liegen lassen, fand sie einige Kurznachrichten von Freundinnen, die mit ihr ausgehen wollten. Sie schaute eine Weile auf die letzten Nachrichten und überlegte. Dann antwortete sie kurz angebunden, dass sie andere Pläne hätte, stellte das Handy ab und kroch mit Sturmhöhe ins Bett. Sie las es schon mindestens zum siebten Mal.

      7

      »Wie oft machen Sie hier sauber?« Frank Janssen sah sich in dem imponierenden Wohnzimmer von Peter Münster-Smith um. Jede Spur menschlichen Lebens schien wie weggeblasen, sämtliche Flächen – Glas, Stahl, Leder, Granit, sogar die großen Gemälde an der fensterlosen Wand des Raumes – waren fleckenfrei und glänzten klinisch sauber. Es sah aus wie der Lounge-Bereich eines gerade eröffneten Luxushotels.

      »Jeden Tag.« Die etwas ältere Frau sah ihn mit einem leicht brüskierten Gesichtsausdruck an. »Was sonst?«

      »Wohnen Sie auch hier?«, erkundigte sich Pia Waage und riss sich von der Aussicht los, einem Hundertachtziggrad-Panoramablick über Christianssund, den Hafen und den Fjord. Die Lichter der Stadt glitzerten in der Dunkelheit.

      »Selbstverständlich. Schließlich bin ich die Haushälterin, nicht wahr?« Vera Kjeldsen blieb mit verschränkten Armen stehen. Wenn man genau hinsah, ließ sich erahnen, dass ihre Augen und ihre Nasenlöcher eine Spur gerötet waren, sonst sah man ihr nicht an, ob der Tod ihres Arbeitgebers sie berührt hatte.

      »Dürfen wir Ihr Zimmer sehen?«

      Die Haushälterin erwiderte den Blick der Polizeiassistentin. »Ich habe doch nichts verbrochen, oder?«

      »Beruhigen Sie sich«, sagte Pia mit einer Stimme, die frei von jeder Aggression war.

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