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ihre Gefühle nicht zeigte, während Benedicte jede Form von Gefühlsausbruch parieren konnte. Wenn sie wollte, konnte sie ebenso scharf sein wie er, und nie hatte er den Eindruck, als wäre sie sonderlich beeindruckt von ihren kleinen Auseinandersetzungen.

      Wer wusste schon, was geschehen würde, wenn er eines Tages Julie gegenüber einen Moment die Kontrolle verlieren würde? Sie wäre vermutlich entsetzt. Oder? Im Grunde wusste er es nicht. Er hatte es nie ausprobiert. Ohne Julie und die Firma, die sie von ihrem Vater geerbt hatte, hätten er und Peter niemals dieses Imperium aufbauen können, über das sie heute herrschten. Jedenfalls nicht so schnell. Sicherlich war sein eigenes Vermögen in der Zwischenzeit so gewachsen, dass er auch ohne das Geld seiner Ehefrau zurechtkommen würde, der Gedanke lag ihm jedoch unendlich fern.

      Wir sind ein gutes Paar, dachte er, als er sich die Büroschuhe anzog. Vielleicht nicht die große Leidenschaft, aber gutes und stabiles Teamwork, das auf gegenseitiger Sympathie basierte. Es könnte schlimmer sein. Wenn Axel an Peter und all seine hektisch kurzen Beziehungen dachte, konnte er glücklich über seine Ehe sein. Heftige Gefühlsausbrüche erlebte er mit Benedicte und Peter genug. In seinen eigenen vier Wänden wollte er davon möglichst verschont bleiben.

      »Ich bin dann weg«, rief er durch die Badezimmertür seiner Frau zu.

      »Hab einen schönen Tag!«, rief Julie zurück. Er hörte, dass sie schon in der Badewanne lag. »Ich liebe dich!«

      »Ich dich auch.« Er sah sie vor sich, wie sie in dem heißen, parfümierten Wasser lag, doch nicht einmal der Gedanke an ihren nackten, fitnessgestählten Körper brachte Leben in seinen sonst so leicht beeinflussbaren Beckenbereich. Gleich würde sie aufstehen, ihre Haare trocknen und ein einwandfreies Make-up auflegen, bevor sie sich irgendein unglaublich teures, allerdings total unauffälliges Designerteil anzog und in ihr Geschäft nach Kopenhagen fuhr. Führte sie ein gutes Leben? War sie glücklich? Axel vermutete es nur, in Wahrheit hatte er keine Ahnung.

      In dem Augenblick, als er sich ans Steuer seines neuen Wagens setzte, war Julie aus seinem Bewusstsein verschwunden. Axel graute vor der Besprechung, die er heute mit Peter haben würde. Wenn Benedicte mit ihren Ahnungen recht hatte – und normalerweise war das so –, dann war die Kampagnenplanung bereits jetzt außer Kontrolle geraten. Sicher, gestern hatte er ihr erklärt, sich nicht einmischen zu wollen, in Wahrheit war er gezwungen, die Vorgänge im Auge zu behalten. Peter Münster-Smith war ein gottbegnadeter Kommunikator und von Anfang an das Gesicht der Firma nach außen gewesen. Er machte eine gute Figur in Nachrichtensendungen und Talkshows und hatte auch sonst ein untrügliches Gespür für alle Formen der Repräsentation. Dem eher vorsichtigen und konservativen Axel hatte er beigebracht, dass ein unbegrenztes Repräsentationskonto ein wesentlicher Faktor in jeder Baufirma ist. Auf die Idee zu Abendeinladungen mit gutem Wein kamen auch Amateure, Peter ließ Geschäftspartner zu einem Rockkonzert nach London fliegen, lud die wichtigsten Zulieferer zum Pokalfinale ins Fußballstadion ein oder arrangierte ein Golfturnier mit Weltstars in Südfrankreich. Das ist Kundenpflege, behauptete er, und Axel hatte ihm mit der Zeit und ein wenig widerwillig recht geben müssen, obwohl es ihn schmerzte, wenn er hinterher die Rechnungen zu sehen bekam.

      Peters Schattenseite kannten nur wenige Außenstehende. Sein nahezu manisch optimistisches Auftreten war teuer. Es kostete nicht nur bares Geld, sondern auch menschliche Ressourcen. Peter war ein miserabler Chef, das wusste auch Axel schon lange. Ständig stieß er seine Mitarbeiter vor den Kopf, delegierte in einem Augenblick und schränkte im nächsten die Befugnisse der Leute wieder ein. Axel hatte keine Ahnung, wie viele Marketingkoordinatoren und Pressemitarbeiter Peter inzwischen verschlissen hatte. Einige hatten es nur wenige Monate ausgehalten, andere waren geblieben, bis sie sich aufgrund des Stresses krankschreiben lassen mussten. Benedicte war mit ihren zweieinhalb Jahren tatsächlich kurz davor, in Peters Abteilung den Rekord als dienstälteste Kommunikationschefin zu brechen.

      Und jetzt dieser Werbefilm. Auch Axel war der Ansicht, dass es eine gute Idee war, die Präsentation der neuen Projekte in Südfrankreich in ordentlicher Qualität zu produzieren. Wollte man die französischen Behörden beeindrucken, brauchte es mehr als die üblichen guten Argumente. Außerdem gab es potenzielle Mitinvestoren, die sie unbedingt brauchten, um dieses ambitionierte Bauvorhaben durchführen zu können. Axel hatte keinen Zweifel an dem Nutzen von inspirierendem Präsentationsmaterial, dennoch gab es Grenzen, und die musste er Peter aufzeigen. Heute noch. Der Geldspeicher war nicht mehr ganz so unerschöpflich wie noch vor ein paar Jahren. Sogar Petax spürte die Finanzkrise.

      Axel parkte auf seinem üblichen Platz, schloss das Tor auf und betrat den Platz vor der Firma. Dort lagen noch immer Bretterstapel, notdürftig abgedeckt von einer blauen Plane, und am Ende des Hofes hatten die Handwerker einen großen, rostigen Container für den Bauschutt aufgestellt. Es ärgerte ihn, dass die Renovierung des Hinterhauses noch immer nicht abgeschlossen war. Der Umbau des Erdgeschosses, wo die Architekten der Firma ihre Büros hatten, war planmäßig verlaufen, als die Handwerker dann im ersten und zweiten Stock anfangen wollten, hatten sie Holzfäule in den tragenden Balken gefunden. Dieses Problem musste natürlich zuerst gelöst werden und hatte zu einer Verzögerung der Bauarbeiten von einem halben Jahr geführt. Axel ärgerte sich maßlos darüber, dass es so lange gedauert hatte.

      In den Büros der Architekten brannte Licht. Im Schutz der Toröffnung sah er jemanden durch den großen Raum gehen, eine jüngere Frau saß mit konzentriertem Gesichtsausdruck vor ihrem Bildschirm. Axel schaute nach oben in den ersten Stock, wo noch immer die Maler arbeiteten. Er hörte das durchdringende Jaulen irgendeiner Maschine. Laut Plan sollten sie Ende der kommenden Woche fertig sein. Dann fehlte nur noch die zweite Etage – er sah hinauf zu den dunklen Dachfenstern –, Gott weiß, wie lange sich das noch hinziehen wird.

      Axel drehte sich um und ging zurück zum Haupteingang.

      »Ist Peter schon da?«, fragte er seine Sekretärin, als sie seinen Mantel entgegennahm.

      »Ich glaube nicht«, erwiderte Inge Sejer und hob den Hörer. »Das lässt sich schnell feststellen.«

      Einen Augenblick später legte sie wieder auf. »Leider nein.«

      »Es ist nach halb zehn, versuchen Sie es auf seinem Handy«, forderte Axel sie auf, ohne zu versuchen, seine Irritation zu verbergen. Seine Sekretärin war die Einzige in der Firma, die über die Probleme zwischen den beiden Eigentümern Bescheid wusste. »Und auf dem Festnetz. Vielleicht pennt er ja noch.«

      Ohne Erfolg.

      Dann musste Axel sich allein mit den Spaniern treffen. Vielleicht ist das auch gut so, dachte er und griff nach den Unterlagen, um sie noch einmal durchzugehen. Zu diesem Zeitpunkt der Verhandlungen war Peters charmantes Wesen im Grunde überflüssig. Es ging um trockene Zahlen und ganz konkrete Vereinbarungen, das war Axels Gebiet.

      Er vertiefte sich in die Papiere und bemerkte kaum, dass Inge eine heiße Tasse Kaffee neben seinen Ellenbogen stellte. Am Rand der Untertasse lagen ein paar Vollkornkekse mit Schokoladenüberzug, sein kleines vormittägliches Laster. Die Sekretärin schloss leise die Tür hinter sich.

      4

      »Willst du sehen, wie weit ich gekommen bin, Jørn?«, fragte Christina. »Ich bin bereit für den letzten Schliff.«

      In den folgenden Minuten beurteilte der Altgeselle Christinas Arbeit mit kritischer Miene und gab ihr die notwendigen Anweisungen für die noch ausstehenden Arbeiten.

      »Ziemlich gut«, sagte er schließlich. Wie gewöhnlich wusste sie nicht genau, in welches seiner Augen sie schauen sollte, also richtete sie ihren Blick zwischen seine buschigen Augenbrauen. Jørns Gesicht war ebenso knochig und unharmonisch wie sein ganzer Körper, aber er hatte etwas Verletzliches, das ihr gefiel. Außerdem ließ sich über sein fachliches Können ebenso wenig diskutieren wie über seine sparsame Art zu loben. Gab es von Jørn einen positiven Kommentar, konnte man stolz sein. »Wenn du dich beeilst, kannst du heute Nachmittag die Glasfasermatten anbringen.«

      Jörn ging in den Flur, um sich umzuziehen. Kurz darauf rief er: »Wer hat meinen Overall weggenommen?«

      »Ich nicht!«, rief Christina zurück.

      »Ich

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