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jetzt brauchte. Sie hörte Schritte in der Etage über ihr. Es war fast neun. Also kamen jetzt Nachrichten im Fernsehen, und Mutter trug das Tablett mit dem Tee ins Wohnzimmer. Christina sah ihren im Rollstuhl zusammengesunkenen Vater vor sich, das gestreifte Plaid über den Beinen.

      Einen Moment blickte sie in den leeren Kühlschrank, außerstande, sich zu entscheiden. Hier unten herrschten Stille und Ruhe – aber auch nicht viel mehr. Dort oben erwarteten sie der Redestrom ihrer Mutter, die Blicke ihres Vaters und ein plappernder Fernseher. Außerdem eine warme Mahlzeit und eine Badewanne. Die Badewanne gab den Ausschlag. Christina löschte das Licht im Wohnzimmer, ging durch den gemeinsamen Waschkeller und stieg mit drei großen Schritten die Treppe zur Wohnung ihrer Eltern hinauf.

      2

      »Musst du schon gehen?«

      »Allzu lange kann ich nicht bleiben.« Axel Holkenfeldt bückte sich und küsste ihre nackte Schulter. »Aber im Moment will ich mir nur ein kaltes Bier holen. Soll ich dir eins mitbringen?«

      »Ja, gern.« Benedicte zog die Bettdecke über sich. Es war kühl im Ferienhaus, obwohl sie die ferngesteuerte Wärmepumpe schon einige Stunden vor ihrem Eintreffen aktiviert hatte. Sie tastete nach dem Mobiltelefon auf dem Nachttisch. Es gab zwei unbeantwortete Anrufe, beide von Anton. Und drei Kurznachrichten. Eine von einer Werbeagentur, eine von ihrer Schwester und eine von Anton.

      Sie öffnete die letzte. Wann kommst du nach Hause?, stand auf dem Display, abgeschickt vor über einer Stunde. Benedicte schaltete die Nachttischlampe ein und rief ihn an.

      Ihr Sohn war sofort am Apparat. »Wo bist du?«, fragte er ohne weitere Einleitung.

      »Ich habe eine Sitzung in der Stadt, Schatz. Hat Papa das nicht gesagt?«

      »Er ist auch nicht zu Hause.«

      Sie setzte sich im Bett auf. »Ist er nicht?«

      »Nee.«

      »Hat er gesagt, wo er hinwollte?«

      »Nee.«

      »Aber er hat doch sicher angerufen, oder?«

      »Er hat um fünf angerufen und gesagt, dass er gegen sieben kommen würde. Er wollte bei McDonald’s vorbeifahren und was zu essen kaufen.«

      »Und er ist noch nicht da?«

      »Nee.«

      »Hast du versucht, ihn zu erreichen?«

      »Ständig. Aber er geht nicht ran. Und du auch nicht.«

      Das schlechte Gewissen überrollte sie wie eine Welle bei dem Gedanken, was sie getan hatte, während ihr kleiner Sohn versuchte, sie zu erreichen. »Tut mir leid, Schatz. Ich hatte während der Sitzung das Handy stumm gestellt.«

      »Mmm.«

      »Und jetzt bist du ganz allein?«

      »Mmm.«

      »Hast du was gegessen?«

      »Ja, ja, ich habe mir eine Pizza aus der Gefriertruhe geholt.«

      Benedicte sah auf ihre Armbanduhr. »Meine Sitzung ist vorbei, aber ich bin noch in einem Restaurant in Kopenhagen, ich kann erst in einer Stunde zu Hause sein. Ist das okay?«

      »Ja, ja.«

      »Putz dir schon mal die Zähne und geh ins Bett. Du kannst dir gern eine DVD ansehen, bis du einschläfst.«

      »Okay.«

      »Du hast doch keine Angst, oder?«

      Die Pause dauerte nur einen kleinen Moment. »Mama, ich bin elf!«

      »Ich beeile mich.«

      Axel stand mit zwei Gläsern Bier an der Tür zum Schlafzimmer. »Was ist los?«, fragte er, als er sah, dass sie sich hastig anzog.

      »Dieser Blödmann ist nicht heimgekommen, und Anton sitzt ganz allein zu Hause.« Benedicte zog den Reißverschluss an einem ihrer langen schwarzen Stiefel hoch, das Leder schmiegte sich eng um ihren schmalen Unterschenkel. »Ich erschlage ihn, das schwöre ich dir.«

      »Wen, Anton?«

      »Nein, du Idiot. Martin natürlich.«

      »Und was ist jetzt damit?« Axel hielt ihr die beiden Gläser hin.

      »Die kannst du auskippen«, sagte sie. »Ich kann hier nicht sitzen und Bier trinken, wenn ich weiß, dass Anton allein zu Hause ist.«

      Axel leerte eines der Gläser in einem Zug. »Es muss ja nicht ganz umkommen«, erklärte er.

      »Zieh dich endlich an.« Benedicte hob seine Boxershorts auf. »Wir müssen los.«

      »Okay, okay«, erwiderte Axel. Er stellte die Gläser auf die Kommode. »Ich bin dir stets zu Diensten, Benedicte. Das weißt du doch?«

      Benedicte war vollständig angezogen und richtete ihr Haar. Sie begegnete im Spiegel dem Blick ihres Liebhabers.

      »Es war ein schöner Abend«, sagte sie.

      »Da hast du recht.« Nur in Boxershorts, Socken und Hemd kam er zu ihr und legte von hinten die Arme um sie. Sein Schnurrbart kitzelte sie im Nacken, während sie die Reste ihres Augen-Make-ups überprüfte. »Es ist immer noch schön«, murmelte er und presste sich an ihre Hinterbacken. »Spürst du, wie schön es ist?«

      Sie schob ihn beiseite. »Nicht jetzt, Axel … Ich muss nach Hause.«

      Sie fuhren in ihrem kleinen Peugeot zurück nach Christianssund. Axel wäre lieber standesgemäß in seinem Wagen zu dem Ferienhaus gefahren, aber Benedicte hatte sich durchgesetzt. Die Anwesenheit ihres Wagens in der Einfahrt konnte sie jederzeit erklären, doch ein BMW der Oberklasse hätte Aufsehen erregt, vor allem außerhalb der Saison. Das Risiko, dass jemand sich an den Wagen erinnerte und es ihrem Mann gegenüber erwähnte, war einfach zu groß.

      »Wie ist die Sitzung heute eigentlich gelaufen?«, erkundigte sich Axel, während sie über die kleinen, kurvigen Straßen fuhr.

      »Die Kampagnensitzung? Gut. Die Agentur hat ein paar tolle Ideen.«

      »Peter war also zufrieden?«

      »Er soll die Hauptrolle in einem halbstündigen Werbefilm spielen. Also, was glaubst du wohl? Er hat beinahe geschnurrt.«

      Axel lachte. »Das kann ich mir vorstellen. Er liebt es, wenn man dem Schauspieler in ihm schmeichelt.«

      »Wir müssen noch einmal über das Budget reden. Es wird deutlich teurer als geplant«, fügte Benedicte hinzu.

      »Womit hattest du gerechnet?«

      »Jedenfalls nicht mit so erheblichen Mehrkosten. Peter hatte heute die Spendierhosen an.«

      »Das musst du mit ihm klären. Ich werde mich nicht in seine Planung einmischen. Unsere Vereinbarung ist eindeutig, das weißt du doch, Benedicte.«

      »Ja, ja, aber wenn er seine Budgets überzieht, betrifft das auch dich. Schließlich gehört euch die Firma gemeinsam.«

      »Ich vertraue Peter«, unterbrach er sie.

      Benedicte warf ihm einen Blick zu. Er starrte geradeaus. »Selbstverständlich. Entschuldige. Ich wollte dich nicht bevormunden.«

      Er nickte einmal und zuckte kurz mit dem Kinn, ohne zu antworten.

      Sie fuhren auf die Autobahn, Benedicte beschleunigte. Es hatte wieder angefangen zu schneien, winzige Flocken wirbelten auf die Scheibe und wurden von den Scheibenwischern beiseitegewischt.

      »Wann sehen wir uns wieder?«, fragte er, als sie die Abfahrt Christianssund-Ost erreichten. »Irgendwann nächste Woche vielleicht?«

      »Ich habe meine Termine nicht im Kopf«, erwiderte sie und blinkte, bevor sie nach rechts auf den Søndervangsvej bog. »Nächsten Freitag ist ja schon Weihnachten, und ich muss in den kommenden Tagen noch einiges erledigen.«

      Benedicte hielt vor dem Hauptsitz

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