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das ganze, das furchtbare Elend von Trawies an ihr Herz schlug. Da konnte sie nicht lächeln, nicht hoffen, nicht beten, da wußte sie sich nicht anders zu helfen, als daß sie das Auge ihrer Seele zuthat und alles andere aus dem Sinne schlug.

      Auch heute war sie zum Kreuze gekommen, ohne recht zu wissen warum. Der verdorrte Wald war nicht darnach angethan, ihr Gemüth aufzuschließen. Nun sie aber den geliebten Jüngling so still vor dem Kreuze knien, so andächtig beten sah, kam es auch über sie. Wie kühlender Thau kam es über sie, dann kniete sie hin und konnte beten – beten, wie schon lange nicht mehr. Dabei wurde ihr so weich, so leicht, vor Freude darüber hub sie zu schluchzen an.

      Die Herren draußen in der Welt, die den Feuerbrand geschleudert hatten in dieses stille Thal, wenn sie das Paar hier knien gesehen hätten im schattenlosen Hochwald vor dem verlorenen Kreuze, jetzt noch schuldlos, aber von den höllischen Gewalten eines Flammenringes enger und immer enger umlodert!

      Keiner hat sie gesehen, auch nicht in Gedanken gesehen. Zu Trawies ist die Empörung, ist das Laster, ist die Hölle, sonst dachten sie nichts. Und Sela und Erlefried, die Kinder der Empörer, sie waren verlassen.

      Erlefried stand endlich vom Gebete auf, setzte sich in den Schatten einiger dicken Stämme, that seinen Mundvorrath heraus und bereitete für Sela den Tisch. Sie sind nebeneinander gesessen, haben still das Brot verzehrt, und der Sonnenstern wendete sich abendwärts. Sie ruhten und Erlefried richtete sein Angesicht dem blauen Himmel zu, aber das dürre Gezweige flocht sich wie ein ungeheures Spinnengewebe zwischen den beiden Menschen und dem Himmelszelt. Und als Erlefried so dalag, sagte er plötzlich das Wort: »Sela, ich habe Dich immer noch mehr lieb!«

      »Wie werden wir heute heimkommen!« sagte das Mädchen.

      »Es wird ein schöner Weg sein,« versetzte der Jüngling, »die Sonne wird nicht mehr brennen und die Luft wird kühl sein.«

      »Ich fürchte, wir verirren uns!« Sela sagte es nicht, aber sie dachte es. Ihr war bange, sie wußte nicht, warum. Wieso, daß heute außer ihnen kein Mensch zu diesem Kreuze kommt? Hätte sie das geahnt, sie wäre nicht mit Erlefried gegangen, sie hätte auch ihn nicht gehen lassen. Am liebsten möchte sie jetzt auf dem abendlichen Heimweg anfangen und ihn mit Gespenster- und Räubergeschichten ängstigen, aber dann wird ihr selbst das Grauen kommen, und er wird darüber lachen.

      Sie versucht es wirklich, spricht zagend von Strolchen, die den Tärn durchziehen.

      »Ja,« sagte Erlefried, »darum meine ich, daß wir den Weg meiden und im dichtesten Bestände dahinschleichen sollen, daß wir nicht bemerkt werden können.«

      »Der bösen Traut und dem Anweil kann man nicht entgehen.«

      »Gegen solche Gespenster ist das beste Mittel, wenn wir uns nahe zusammenhalten.«

      Er faßte sie mit einem Arm frisch um den Leib: »Ich bin stark, Sela, mir magst Du vertrauen.«

      Sie blickte ihn an. Das war ein tiefer, schwerer, ein seltsamer Blick – bittend, vorwurfsvoll, hoffend, bangend, das alles zugleich. Vor dem Kreuze warf sie sich noch einmal nieder: »Schütze uns! Schütze uns heute!«

      Hierauf eilten sie davon, durch den Tärn jenen abendlichen Höhen zu, hinter denen wie ein blaues fernes Dreieck der Kegel des Johannesberges ragte. Dichter Höhenrauch lag über der Gegend und die Luft war schwül. Am Himmel hatten sich Wolken gebildet, die bald in zahllose Stückchen zerfielen, als hätte sie eine unsichtbare Hand mit dem Hammer zertrümmert. An anderer Stelle zogen sich zarte Streifen hin, von einem lebhaften Winde zeugend in der Höhe, während über dem Walde tiefe Stille lastete.

      Als unsere Wanderer zu einem grünen Anger kamen, der in versteckter Thalschlucht lag, um welchen gewaltige Stämme des Urwaldes nackt und knorrig standen und wo es so lautlos war, als wäre selbst die alte Fädenspinnerin Einsamkeit einschlummert, da schlug Erlefried ein Rasten vor. Sela sah ihn noch einmal an, trat ein wenig beiseite und war verschwunden.

      Der Bursche ging hin und her, von Stamm zu Stein, von Strupp zu Strauch und suchte. Suchte so lange, bis ihn plötzlich ein heiseres Lachen erschreckte. Was da lachte, es lag ganz in seiner Nähe zwischen zwei Steinen. Eine magere Hand in Fetzen langte hervor, dann das struppige, grinsende Haupt des Stromers Roderich.

      »Junger Mann,« schnüffelte er jetzt, als Erlefried stehen blieb und finster auf ihn hinschaute, »Dir ist zur unrechten Zeit Dein Schatz davon.«

      »Geht’s Dich was an, alter Tagedieb?« sagte Erlefried trotzig.

      »Ein so kerngesunder Bursch’ und ein solches Unglück! Es ist unglaublich,« versetzte der Stromer. Dan richtete er sich halb auf, daß es aussah, als wollte hier ein Lazarus dem Grabe entsteigen, und fuhr fort: »Mache Dir aber nichts d’raus, schöner Knab’, ich will Dir was sagen. Ich habe Dir schon eine Weil’ zugeschaut und mir gedacht: Wie der’s angeht, da kommt er nicht vorwärts. Lugst hin und schaust her und frägst an und duckst ab und hast nichts. Willst was haben, so mach’s wie Andere, verschreib’ Dich dem Teufel.«

      »Ist mir schon Ein Ding, ich verschreib’ mich dem Teufel!« knirschte der vor Aufregung bebende Bursche. Begierde und Zorn verwirrten seine Gedanken und auch er war ein Kind seiner Zeit.

      »Willst Du mit mir kommen, so wirst Du noch an diesem Abend Freude haben,« sagte der Alte lauernd, »aber Du mußt mich stützen, ich habe heute bösen Tag gehabt. Ich ward von Räuberb angefallen, sie haben mir den Fuß zerschlagen; ich liege hier schon den halben Tag und kann nicht weiter. Führst Du mich in die Schlucht hinaus bis gegen die Felswand dort, so mache ich Dir eine gute Nacht.«

      Der Stromer sagte selbstverständlich nicht die Wahrheit. Der böse Fuß war da, das Unvermögen, ohne Stütze weiter zu gehen, war auch da; aber nicht die Räuber hatten ihn angefallen, sondern er selbst war auf seinem Raubzuge verunglückt, hatte sich im Hause des Bart bei dem Sprunge aus dem Fenster den Fuß beschädigt. Bis hierher hatte er sich mühsam geschleppt, weiter konnte er nicht mehr, so suchte er den Burschen an sich zu locken. Erlefried ahnte nicht, daß der Dieb vor ihm kauerte, den er in der vorigen Nacht von dem Kleiderschranke der Sela verscheucht hatte. Ihm war nur klar, daß hier ein samaritisches Werk gethan werden mußte. Und er that’s. Er schleppte den alten Gauch die Schlucht entlang und spähte stets nach links und rechts, ob Sela sich nicht doch irgendwo zeigte.

      »Du schaust umsonst,« sagte ihm Roderich, und stützte sich recht tapfer auf den kräftigen Burschen. »Wie ich diese Gattung von Weibsleuten kenne, lassen sie sich im Walde nicht erwischen, laufen der Kirchen zu und auf den Altarstufen erwarten sie den Liebsten. Geheiratet wollen sie sein, nachher geben sie sich zufrieden. Maßen wir jetzund aber keine Kirchen haben, so mußt Dir Dir schon anderswo was bereiten. Hat der Herr Vater den Pfarrer erschlagen, so wird’s der Sohn auch leicht ohne den Pfarrer richten. Glaubsr, Junge, ich kenne Dich nicht? Schau mich nicht so schwarz an, Du Sohn des großen Wahnfred, der das Leutumbringen in Schwung gebracht hat und das Stehlen abbringen will, ich verrathe Dich nimmer, Du versteckst Dich im Tärn, wie ich, willst nicht mithalten draußen beim Rauben und Plündern, wie ich. Recht hast, wer für sich ist, dem geht’s besser. Nur schade, daß es auch Andere wissen werden, der todte Erlefried ist wieder lebendig geworden. Wie Du jetzt d’ran bist – solltest unsichtbar sein: Erwischest Die, welche Du haben willst, kommst Denen aus, die Dich haben wollen. Dich treibt die Noth dazu, Junge, Du mußt Dich dem Teufel verschreiben.«

      »Gleich soll er mich holen, wenn ich’s nicht thu’!« rief Erlefried leidenschaftlich erregt, auch darüber, daß ihn der alte Stromer erkannt hatte.

      »Du gefällst mir,« murmelte Roderich und hinkte an der Seite des Burschen mühsam weiter. Das, was er in Bosheit dachte und plante, schien ihm die Schmerzen seines Beines fast vergessen zu lassen. »Allemal ist es besser, er holt Dich morgen, als heut – wenn’s auch schon finster wird. Geh’ mit!«

      »Ich rufe ihn auf der Stelle!« sagte Erlefried und blieb stehen. An ihm war’s wahr: Feuer im herzen giebt Rauch im Kopf.

      »Rufe ihn, wenn Du allein bist,« entgegnete der Alte, der keine Lust haben mochte, heute mit dem leibhaftigen Teufel zusammenzutreffen. »Achte auf meinen Rath. Den Teufelsstein kennst Du, er liegt auf der Höhe, wo man zu Ulrich, des Köhlers

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