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Morgen schaut und weithin schimmert, hatte Roderich, genannt der Stromer, seine Burg aufgeschlagen.

      Roderich war der Stillsten und Gierigsten Einer und hatte das Beste und Feinste, was zu Trawies noch auffindbar gewesen, um sich versammelt. An Früchten, Brot, Fett und Branntwein litt er keinen Mangel; gedunsene Ballen von Schafwolle, Garnsträhnen, Lodentuch und Leder füllten die seltsamen Räumlichkeiten seiner Wohnung.

      Oft kauerte er in der Steinnische, die am Eingange seiner Höhle war, und blickte beseligt über die blauen Höhen hin, wo die Sonne aufging, faltete über das Knie seine dürren Hände und murmelte in dankbarer Rührung: »So gut, wie jetzt, ist es mir noch nie ergangen.«

      Dann zog er sich zurück, kroch in finsteren Stollen an seinen Vorräthen vorbei, immer tiefer hinein, bis er zur Stelle kam, wo ihm der trübe Schein eines Talglichtes entgegenschimmerte. Die Luft war dumpfig und schwer. Endlich weitete sich der Raum ein wenig und dort war des Stromers Talismann.

      Die Höhle war an den Wänden ausgeschlagen mit Moos und Häuten; auf dem Boden waren Lodenteppiche gebreitet; manches handsame Hausgeräthe fand sich aufgestellt, so auch ein niedliches Tischchen mit Heiligenbildchen und der Talgkerze. An einer Ecke war ein mit Sorgfalt aus schneeweißer Wolle bereitetes Lager, und auf demselben ruhte ein Mädchen von großer Schönheit. Sie schien erst der Kindheit entwachsen zu sein und war wohl blässer, als es das trübrothe Licht gestehen wollte. Ihre Augen waren groß und braun wie zwei reifende Kirschen. Es war ein Glanz in ihnen, der eine unheimliche Gluth verrieth. Roderich wähnte, es wäre die Gluth begehrender Liebe und er verwies das Mädchen mehrmals des Tages auf die Askese der Heiligen, deren Bildnisse er ihr in den alten Häusern von Trawies zusammengestohlen hatte.

      Der über die Welt jetzt geschleuderte Fluch, sagte er dem Mädchen, sei nur durch ein enthaltsames Eremitenleben lahm zu legen, und er, der alte Roderich, wolle ihr guter, wachsamer Vater sein.

      Freilich war es wohl dem alten Roderich zu danken, daß der schönen Jungfrau in dieser Höhle Askese gepredigt wurde.

      Nun lag sie ganz unbeweglich da und verbarg ihr Angesicht in dem Winkel des nackten Ellbogens; hätte im weißen Arm der Puls nicht leise gezuckt, Roderich müßte sie für todt gehalten haben.

      Aber er wußte gut genug, daß sie lebte. Mit großer Behutsamkeit nahte er ihr, und indem er sein Gesicht abwandte, als fürchte er einen Schlag von ihrer Hand oder ein Dreinfahren von ihren Fingern, tastete er nach ihren goldfarbigen Haaren. Dieselben waren in kurzen Strähnen und ungleich geschnitten, sie hingen wie getödtete Schlangen über den weißen Nacken herab.

      »Gut,« murmelte er, »gut, Bertha, mein Herz, es giebt sich bald wieder. Morgen schneiden wir.«

      Jetzt schoß das Mädchen empor und suchte den Roderich mit beiden Händen von sich zu stoßen.

      Er stand und wich nicht.

      »Laß mich in Frieden, Du fürchterliches Gespenst!« rief sie.

      »Du bist es ja selbst, mein Engel, die den Unfrieden macht,« grinste der alte Stromer.

      »Wozu brauchst Du mein Haar?«

      »Was nutzt Dein Fragen, wenn Du meiner Antwort nicht glaubst. Ich vertraue Dir’s noch einmal, aus Deinem schönen Jungfrauenhaar drehe ich den Strick, den Teufel zu binden, der jetzt in den Trawies ist.«

      »Du bist selber ein Teufel,« rief das Mädchen mit sprühenden Augen. »Du hast meine Mutter umgebracht!«

      »Was Dir nicht wieder beikommt, kleiner Narr,« versetzte der Alte, gar gleichgiltig lächelnd, »wer hätte dem guten Weibe was zu Leide thun mögen.«

      »Du hast sie mit einem rothen Tuch erwürgt; hast mir hernach das Tuch in den Mund gesteckt, hast mich fortgeschleppt in diese Hölle her, Du bist der Teufel, der Teufel, der Teufel!«

      Er drückte sie mit starkem Arm auf das Lager zurück, er grinste sie an und zischelte: »Weil Du’s schon weißt, was soll ich’s leugnen. Deine Mutter hat sich erhängt von wegen dem verfluchten Trawies, Du bist vor Schrecken gestorben im verfluchten Trawies, wer soll Dich denn haben, als wie der Teufel?«

      »O mein gekreuzigter Heiland,« wimmerte das Mädchen und zitterte und rang die Hände, »was habe ich denn gethan, daß Du mich so kannst verlassen!«

      »Was Hoffart für eine Sünde ist, das hast Du gewußt,« versetzte tiefen Tones der Alte, »der Heiland hat die blutige Dornenkrone getragen auf seinem Haupte, Du hast mit Deinem weichen Haar viel Eitelkeit getrieben; jetzt muß es Dein Haar büßen. Morgen schneiden wir’s wieder. Leg’ Dich jetzt zur Ruh’; ich wache, daß kein ärgerer Teufel, als ich Dir bin, über Dich komme.«

      Er ging hinaus, er kroch hinaus, er kletterte hinab um Wasser – und hat’s nicht gesagt, aus welchem Grunde er die Jungfrau hütete, wie der Drache den Schatz, und wozu er ihr Haargesträhne verwenden wollte.

      Bertha aber, als sie sich allein wußte, sprang auf, sank hin vor das Tischchen und wollte beten. Ach, aus ihrem Beten wurde ein heftiges Schluchzen, ein gellendes Weinen, daß davon die Felswand widerhallte. Sie rief laut nach ihrer Mutter; sie rief, bis ihre Kraft erlahmt war, dann sank sie hin.

      Wenn sie wieder erwachte, starrte sie auf ihre Hände, betastete ihr Gesicht.

      Das Fleisch war weggefallen, was Wunder aber, daß sich keine Runzeln zeigen wollten! War sie nicht schon uralt? War sie nicht schon hundert Jahre in diesem fürchterlichen Aufenthalt?

      Keine Ahnung hatte sie, daß, seit sie dem Tageslicht entrückt worden, erst einmal die Bäume grünten und noch nicht einmal die Blätter der Buchen gilbten.

      Nur in den wenigen Minuten seligen Traumes sah sie die lichte Welt, um deren Verlust zu beweinen. Allmählich wurde sie stumpfer; an ihre Verdammniß konnte sie nicht glauben, aber an die Nacht des Wahnsinns glaubte sie, der sie verfallen sei, und der Gedanke war ihr tröstlich, das leben müsse doch einmal ein Ende haben. So ergab sie sich und die schwersten Stunden flüchtete sie zum Gebete. Von den ihr vorgesetzten Speisen wollte sie nicht genießen, aber immer wieder kam die Zeit, da sich ihre Hände unwillkürlich ausstreckten nach der Nahrung.

      Der Alte kam oft zu ihr, war zuthunlich und wollte mit ihr sprechen, und schaffte ihr Bequemlichkeit wie er konnte. Von Zeit zu Zeit schnitt er ihr mit einem scharfen Messer das Haar vom Haupte und ging damit hinaus und kehrte dann oft in langer Weile nicht zurück.

      Und eines Abends verrammelte er wie gewöhnlich mit Sorgfalt den Eingang zur Höhle, kroch dann im Gesteine besonders viel umher, schlich mit noch größerer Hast davon und durch den Wald. Sonst hatte ihn der Wald gedeckt, jetzt mußte er die Nacht wählen. Er eilte dem Hause des Bart zu. Diesen einsamen Hof hatte er noch nicht besucht und doch schwante ihm, als müsse manches Begehrenswerthe darin aufbewahrt sein. Bei sich trug der Roderich das »approbirte Mittel, daß die Leut’ nicht munter werden« – die Kerze aus Kreuzotterfett mit Docht aus Jungfrauenhaar. – Viel hat’s gekostet, bis der Roderich endlich eine verläßliche Dochtquelle gefunden. Aber seither hat ihn die Zauberkerze nicht mehr im Stiche gelassen; freilich gehört auch sonstige Sorgfalt dazu. Man geht tagsüber an den Häusern vorbei, bewundert scheinbar die Blümlein, die am Fenster stehen, den Jakobisegen, der an der Thüre hängt, die Vogelnester, die an den Wänden und unter den Dächern kleben und schaut sich insgeheim die Stellen aus, wo nächtlicherweile am besten einzubrechen ist. Dann wählt man die Stunde, wo die Leute im tiefsten Schlaf liegen, man trägt eine Fußbekleidung, die nicht Lärm macht, hat ein sachgemäßes Brechzeug und Schlüsselwerk; und noch am besten, man besucht die Häuser zur Zeit, da die Bewohner derselben selbst auf Diebsfuß aus sind. In Kästen und Truhen ist freilich nichts mehr zu finden, aber unter den Bodendielen und in Kellern muß man nachsehen, auch unter Steinhaufen und oben unter den Dachbrettern oder im dichten Baumgeäste. Ein Mann, der beim Handwerk alt geworden, kennt die Kunstgriffe, und wenn ein fester Glaube an die Zauberkerze dazukommt, dann kann’s gar nicht fehlen.

      Unterwegs dachte der Strolch oft an das Mädchen, welches er gefangen hielt. Er wußte es zu schätzen. Es that ihm bisweilen leid, daß er sie so tief in den Felsen vergraben, daß er sie ängstigen, ja züchtigen mußte, doch die Kleine war auch allzu störrisch. Das aber

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