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Ausgewählte historische Romane. Levin Schucking
Читать онлайн.Название Ausgewählte historische Romane
Год выпуска 0
isbn 9788027225880
Автор произведения Levin Schucking
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Jeder andere Mann hätte zurückgehalten – aber dieser Huckarde war ein Mensch voll all der Vorurteile seines Standes. Er erklärte mir, er müsse mir die Pachtung des Hammers dennoch nehmen, denn daß er es tun werde, das habe er seit langem schon auf seine Ehre versichert, jedem, der es hören wollte; seine – Ehre dulde es nun nicht anders!«
»Sieh, sieh, sieh! Kann man auf verrücktere Weise sich betragen! Es war ein unverbesserliches Geschlecht, diese Menschen! Er wollte also darauf bestehen, Sie von Ihrer Hammerpachtung zu vertreiben? Welche abscheuliche Rücksichtslosigkeit! Sie hatten gewiß ganz außerordentlich viel in die Besitzung gesteckt, sie verbessert, vergrößert – und trotzdem wollte der unsinnige Tyrann sie Ihnen nehmen?«
»Meine Voreltern haben den Hammer seit undenklichen Zeiten innegehabt. Wir haben ihn nicht allein verbessert und vergrößert, sondern wir haben ihn, darf ich sagen, eigentlich erst geschaffen und gebaut. Vor hundert Jahren mag es ein winziges Ding, eine jämmerliche Anlage gewesen sein!«
»Aber was geschah dann?« fragte Ermanns.
»Der Alte starb eben.«
»Der Teufel holte ihn! Nun, das war das Beste für Sie, denn nun hielten Sie den Hammer!«
»Ich hielt ihn!« antwortete Ritterhausen trocken.
Der Polizeibeamte warf abermals einen eigentümlich forschenden Seitenblick auf den Hammerbesitzer. Dann sagte er gähnend: »Jetzt will ich Sie aber nicht länger belästigen. Da Sie so freundlich waren, mir ein kleines Zimmer einräumen zu lassen, erlauben Sie mir, daß ich mich dorthin zurückziehe. Ich weiß nicht, tut es die außergewöhnliche Anstrengung, die ich mir habe heute zumuten müssen oder ist es Ihr Wein – ich fühle das Bedürfnis, ein wenig zu ruhen.«
»Ganz wie es Ihnen beliebt,« versetzte Ritterhausen, indem er die Klingel rührte und der eintretenden Dienerin befahl, den Herrn auf sein Zimmer zu führen.
Als Sibylle nach einer Weile in die Wohnstube trat und den Vater nach dem neuen Gaste fragte, antwortete dieser: »Es ist ein Monsieur Ermanns, Angestellter bei der Polizei, der sich hier einquartiert, um von hier aus Untersuchungen über die Mordtat vorzunehmen; aber was der ans Tageslicht bringt, wird wahrhaftig blutwenig sein! Ein gemütlicherer Polizeimensch ist mir nie vorgekommen. Trinken und Schwatzen scheinen ihm viel angenehmere Beschäftigungen, als sich mit Morduntersuchungen zu plagen. Er ist überzeugt, daß der Graf Epaville sich selbst ums Leben gebracht hat – diese Annahme hat auch viel für sich; aber es machte mir doch einen beinahe komischen Eindruck, ihn seine Ansicht verteidigen zu hören, denn er war sicherlich nur deshalb dafür, weil ihm die Sache auf diese Weise die wenigste Schererei macht. Er ist nach oben gegangen und hat sich aufs Ohr gelegt, um zu schlafen. Du liebe Zeit! Welche Menschen drängen sich heutzutage in Stellen und Aemter, zehren von unsern sauer aufgebrachten Steuern und stehlen dem lieben Herrgott den Tag ab!«
»Wird er den Abend mit uns speisen?« fragte Sibylle.
»Ganz ohne Zweifel, Er wird sicher mit uns speisen und auch trinken! Du kannst deine Anstalten danach treffen!«
Sibylle hatte von dem Hammerschmied, den sie auf die Burg gesendet, noch immer keine Nachricht erhalten. Sie ging bald wieder hinaus und in den Garten, wohin ihr Bote kommen wollte, um ihr Bericht abzustatten, sobald er von der Rheider Burg zurück sei. Nachdem sie eine Weile im Garten auf und ab gegangen, sah sie den sehnlich Erwarteten denn auch auf dem Fußwege jenseits des Flusses endlich daherkommen und dann über den Steg schreiten, der über dem Gewässer lag. Unruhig bewegt eilte sie ihm durch das kleine Gartentür entgegen und begegnete ihm auf dem Grasrain, der zwischen dem Garten und dem Flußufer lag.
»Hast du Claus sprechen können?« fragte sie in beinahe atemloser Hast.
»Ja, Mamsell Ritterhausen.«
»Und was sagte er?«
»Er sah mich verstört und ängstlich an; der ganze Mensch ist verstört und spricht unsinniges Zeug durcheinander. Als ich von einem Deserteur anfing, rief er, er wisse nichts von einem Deserteur, und ob ich ihn auch ausfragen und ins Verhör nehmen wolle, er sei heute schon genug kujoniert; ich hatte Mühe, ihm verständlich zu machen, daß ich von Ihnen komme und nicht daran denke, ihn zu verraten. Da sagte er endlich, der Deserteur sei ein wunderlicher Gast gewesen, bald sei er im Schloß versteckt, bald fort, draußen im Wald oder der Himmel wisse wo, gewesen und nicht zu Mittag noch zu Abend erschienen. Gestern und heute habe er nichts von ihm gesehen, aber am vorgestrigen Tage habe er ihn gesehen und ihm Abendessen gegeben.«
»Also doch!« sagte Sibylle schwer aufatmend, denn diese Mitteilung war nicht geeignet, die Last zu erleichtern, welche auf ihrem Herzen lag. Ich danke dir, Heinrich, und hier hast du etwas zu einem frischen Trunke. Daß du schweigst, brauche ich dir nicht zu empfehlen!«
Damit wandte sie sich und schlüpfte wieder durch das Gittertörchen in den Garten zurück, wurde aber nicht wenig betroffen, als ihr hier, ganz nahe der Umfassungshecke, der Polizeibeamte, Monsieur Ermanns, begegnete. Er begrüßte sie äußerst höflich und sagte: »Mademoiselle Ritterhausen, wenn ich nicht irre ...«
»Die bin ich,« antwortete Sibylle mit einer kurzen Verbeugung.
»Ich nehme mir die Freiheit, Ihre reizende Besitzung zu besichtigen,« sagte der Employé, »ich finde die Lage ganz ausgezeichnet. Wie schön ist dies kleine Flußtal! Wie malerisch! Und wie romantisch blickt das alte Kastell dort von seiner Höhe herab! Wirklich ein beneidenswerter Aufenthalt hier. Wer hier ruhig seine Tage verleben könnte, frei von all den vermaledeiten Amtsplackereien und Dienstscherereien ...«
»Sie würden es den Winter doch nicht aushalten in solcher Einsamkeit,« versetzte Sibylle, um auf des höflichen Mannes Reden etwas zu antworten.
»Es käme dann freilich ein wenig auf die Gesellschaft an,« erwiderte Monsieur Ermanns lächelnd, »in so guter, wie ich sie hier finde, würde ich einen isländischen Winter hindurch vergnügt sein. Ich liebe das Landleben über alles. Sie erlauben mir ja, daß ich mich ein wenig hier umsehe? Und das Hammerwerk darf ich ja auch wohl betreten? Sie können ganz sicher sein, daß ich keine indiskreten Blicke in Ihre Fabrikationsgeheimnisse werfen werde – ich verstehe nichts davon – aber es interessiert mich, ich habe niemals ein solches Eisenwerk gesehen – und dieser Mann da,« fuhr der Fremde auf den Arbeiter deutend fort, der noch immer im Hintergrunde stand, weil er sich scheute, an den Redenden in dem schmalen Gartenpfade vorüberzugehen, »dieser Mann hat wohl die Gefälligkeit mich zu führen!«
»Geh mit dem Herrn, Heinrich,« wandte sich Sibylle an diesen, »und zeige ihm den Hammer! und dann machte sie dem Employé abermals eine Verbeugung und ging an ihm vorüber dem Hause zu.
»Liebe Leute – die Ritterhausen,« wandte sich der Polizeibeamte nun an den Arbeiter mit einem äußerst freundlichen Gesicht, »man freut sich ordentlich, eine so biedere, solide, wohlhabende Familie zu sehen. Es gibt ihrer wenig solche, mein guter Freund, das kann ich Ihm versichern; unsereins hat Gelegenheit, das zu erfahren. Es ist gar viel Schwindel in der Welt, namentlich in Eurer Hauptstadt Düsseldorf, das ist ein gewaltiges Schwindlervölkchen.«
»Ja,« antwortete der große Hammerschmied gutmütig lachend, indem er neben dem gesprächigen Beamten weiter ging und an der Hecke des Gartens hin den Schmiedegebäuden zuschritt, »das rührt noch aus der Pfälzer Zeit her – die Leute in der Pfalz sind ein lustig Volk und die haben’s mit herübergebracht!. Und nun die Franzosen drin sind ...«
»Wird es nicht besser werden, meint Er, ehrlicher Mann? – Nun, Er kann wohl recht haben!« versetzte Monsieur Ermanns. – »Ah, da ist ja wohl der Hammer, lauter solide, tüchtig in stand gehaltene Gebäulichkeiten – das macht einen andern Eindruck, alles was man hier sieht, als das verkommene alte Haus, die Burg wie man hier sagt, da droben!«
»Ja, gottlob!« erwiderte Heinrich.
»Ihr waret wohl schon oben, auch im Innern des alten Kastells?«
»Schon manchmal!«