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Ausgewählte historische Romane. Levin Schucking
Читать онлайн.Название Ausgewählte historische Romane
Год выпуска 0
isbn 9788027225880
Автор произведения Levin Schucking
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Aber der Graf von Epaville antwortete und rührte sich nicht, und als der Reitknecht nach seinem rechten Arme griff, fühlte er durch das Hemde hindurch eine starre Eiseskälte.
Der Graf von Epaville war eine Leiche.
Franz gehorchte dem ersten Impulse, welcher ihn bei dieser schaurigen Entdeckung überkam. Er wandte sich und floh. Er stürzte durch das Wohnzimmer, durch die vordern leeren Räume auf den Gang, die Treppe hinunter, in das Zimmer des Hausmeisters.
Claus hatte sich eben erst erhoben und war damit beschäftigt, seine alte Manchesterjacke überzuziehen, als Franz mit dem Rufe über seine Schwelle stürzte: »Um Gottes willen, Hausmeister ... der Graf ... kommt einmal herauf ... der Graf ist tot!«
»Alle vierzehn heiligen Nothelfer stehen uns bei!« stammelte Claus bis ins Mark erschrocken.
»Kommt, kommt mit herauf und seht es selber,« versetzte der Reitknecht, der sich an den Türpfosten hielt, als wenn seine Knie ihn nicht mehr trügen.
Claus eilte trotz seines Hinkens mit einer wunderbaren Schnelligkeit in großen Sätzen hüpfend an ihm vorüber und über den Korridor der Treppe zu. Franz hatte Mühe, neben ihm zu bleiben. So kamen sie in das Schlafzimmer, wo Claus sich keuchend und atemlos über die Leiche beugte und die Hand auf das schwarze Haupthaar des Grafen legend, den abgewandten Kopf desselben zu sich herumdrehte.
»Ganz blauschwarz im Gesicht!« sagte er entsetzt. »Der ist erdrosselt!«
»Aber da ist auch Blut ... ach, du lieber Gott, eine ganze Lache Blut,« rief Franz jetzt aus, indem er auf den Teil des Hemdes und des Plumeaus deutete, die unter der Leiche, an deren linker Seite lagen – die Leiche lag auf der Seite des Herzens und hatte eine tiefe Wunde an dieser Seite der Brust.
Die beiden Männer standen eine Weile sprachlos sich anstarrend.
»Wer hat das getan?!« rief Claus nach einer Pause aus.
»Wer hat das getan?!« wiederholte der totenbleiche Reitknecht.
»Das ist eine üble Geschichte,« stammelte Claus, und der kalte Schweiß trat ihm auf die Stirn, »eine üble Geschichte für uns beide!«
»Wir sind ja aber doch so unschuldig ...«
»Unschuldig – aber wenn man einen von uns in Verdacht zieht?«
»Das verhüte Gott! Lieber nehm’ ich Reißaus!«
»Dann seid Ihr erst recht verloren!«
»Was sollen wir tun?« jammerte Franz.
»Was wir tun müssen. Sattelt Ihr das beste von euern Pferden und zeigt es in Düsseldorf an. Ich laufe derweile hinab ins nächste Dorf zu unserm Maire. – Ist etwas gestohlen?« fuhr Claus fort, sich umschauend.
»Ich glaube nicht,« entgegnete Franz, der Richtung seiner Blicke folgend. »Da hängt die goldene Uhr über dem Kopfkissen. Und hier,« fuhr er fort, ein Kleidungsstück vom Boden aufnehmend und die Taschen desselben untersuchend, »hier ist seine Brieftasche und sein Geldbeutel ...«
»Also ein Räuber ist’s nicht gewesen!«
»Nein, ein Räuber nicht!«
»Desto besser für uns,« rief Claus aus. »Nun legt den Rock wieder hin, just so, wie er lag – die Herren vom Gericht wollen alles unberührt wissen, wie es liegt und steht – machen wir uns auf den Weg!«
Beide verließen das Schlafzimmer und eilten, unten im Korridor angekommen, auseinander, der Hausmeister in seine Stube, um die Schlüssel zu holen, womit er während seiner Abwesenheit die Haustür absperren wollte, der Reitknecht, um zu den Pferden zu kommen und seinem Gaul den Sattel überzuwerfen.
Wenige Minuten nachher sprengte Franz im gestreckten Galopp den Weg in die Hauptstadt dahin. Er erreichte sie in kaum einer Stunde Zeit. Vor der Residenz Murats, dem Jägerhofe, warf er die Zügel einem Soldaten der Wache zu, eilte ins Innere und stürmte trotz Portier und Lakaien bis in die Vorzimmer des Großherzogs. Hier machte Franz mit seiner Schreckenskunde einen solchen Lärm, daß einer von Murats diensttuenden Adjutanten ihn sofort und ohne Anmeldung in das Kabinett führte, wo der Großherzog eben frühstückte, während Graf Beugnot ihm gegenübersaß, um ihm möglichst kurz und möglichst kurzweilig allerlei an und für sich sehr trockene Geschäftsvorträge zu halten.
Der Adjutant entschuldigte in raschen Worten die Unterbrechung, indem er erzählte, was geschehen. Murat sprang im höchsten Grade überrascht auf, ließ Franz vortreten und überstürzte ihn mit einer solchen Menge Fragen, daß dieser kaum hinreichenden Atem und hinreichende Zungengeläufigkeit fand, auf alles zu antworten.
»Mille tonnerres!« rief der Großherzog dann aus, »ich habe geglaubt, hier in einem Lande von lauter frommen Schafen zu sein, die sich wenig darum kümmern, ob die Hunde, welche sie hüten, deutsch oder französisch bellen. Dies sieht anders aus! Man weiß, wie nahe mir Epaville stand! Man ermordet ihn, sobald er sich außerhalb des schützenden Bereiches des Hofes wagt!«
»Hoheit,« fiel Graf Beugnot kopfschüttelnd ein, »ich ahne unter diesem mysteriösen Verbrechen etwas anderes als politische Beweggründe ...«
»Und was ahnen Sie, Beugnot?«
»Es sind, wie ich unlängst vernommen habe, bereits früher unaufgehellt gebliebene Dinge in dieser Rheider Burg oder in ihrer Nachbarschaft vorgefallen. Aber ich glaube, es wäre zweckmäßig, Ew. Hoheit geruhten, zuerst diesen Mann zu entfernen und dann den Grafen Nesselrode herzubescheiden ...«
»Sie haben recht,« fiel Murat ein, und sich zu dem Adjutanten wendend, fuhr er fort: »Ich wünsche Nesselrode zu sprechen. Lassen Sie den Reitknecht bewachen.«
Franz mußte auf einen Wink des Adjutanten diesem folgen und wurde von ihm im Vorzimmer einer Ordonnanz übergeben, die den Befehl erhielt, ihn auf die Schloßwache zu führen, wo man ihm erlaubte, die wachthabende Truppenabteilung mit seiner Geschichte zu unterhalten, aber nicht, sich aus dem Bereich der Wachtstube zu entfernen.
Zwei Stunden später jedoch wurde Franz aus seiner Haft bereits wieder erlöst. Er erhielt den Befehl, den Großherzog zu begleiten, der sich eben zu Pferde setzen wollte, um, gefolgt von Beugnot und einem vertrauten Beamten der Polizei, sich selbst an den Ort des Verbrechens zu begeben.
Siebentes Kapitel
Der Hammer erhält einen neuen Gast.
Die Nachricht von dem, was auf der Rheider Burg vorgefallen, konnte nicht anders als sich mit größter Schnelligkeit in der Gegend verbreiten, und nach dem Hammer war sie bereits vor Mittag gelangt. Welchen Eindruck sie hier machte, brauchen wir nicht zu schildern. Ritterhausen sprach sofort einen Verdacht gegen den unschuldigen Franz, den Reitknecht aus, als den, der allein die Nacht mit seinem unglücklichen Gebieter in der Burg zugebracht. Denn auf den alten hinkenden Claus konnte kein Verdacht fallen. – Völlig wie niedergeschmettert zeigte sich jedoch Sibylle; ihr erster Gedanke war natürlich der an den Deserteur, dem sie in der Rheider Burg ein Versteck angewiesen hatte ... und so empfand sie gleich im ersten Augenblick etwas wie einen Aufschrei des sich schuldig fühlenden Gewissens in sich. Sie war totenbleich geworden bei der Nachricht, sie hatte nur mühsam sich so weit beherrscht, um mit anscheinender Gemütsruhe an dem Hin- und Herreden, was darauf folgte, teilzunehmen – dann hatte sie sich entfernt und, unfähig, ihre Unruhe zu bezähmen, war sie, ohne jemand davon zu sagen, fortgeeilt, über den Fluß, die Bergwand zum Schlosse hinan. Sie wollte versuchen, den Hausmeister zu finden, von ihm zu erfahren, ob der Deserteur sich in der Tat noch während der letzten Nacht im Schlosse aufgehalten habe und ob Claus auch glaubte, was