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Ausgewählte historische Romane. Levin Schucking
Читать онлайн.Название Ausgewählte historische Romane
Год выпуска 0
isbn 9788027225880
Автор произведения Levin Schucking
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Sibylle beschloß deshalb unverrichteter Sache heimzukehren. In ihrem Schuldbewußtsein war es ihr, als ob es auffallen müsse, wenn sie von den untersuchenden Herren heute hier erblickt würde; und so ging sie denn so eilenden Schrittes wie sie gekommen zurück, mit dem Vorsatz, einen ihrer Hammerarbeiter, einen gewandten und zuverlässigen Menschen, in ihr Geheimnis zu ziehen und ihm den Auftrag zu geben, sich unter die neugierigen Gaffer vor der Burg zu mischen und zu harren, bis er eine Gelegenheit wahrnehme, den Hausmeister zu sprechen und ihn nach dem Deserteur zu fragen.
Als sie auf dem Hammer angekommen war, ließ sie den Menschen herausrufen.
Der rußige Kyklope, ein breitschulteriger Mann von riesiger Gestalt, hörte Sibyllens Mitteilung mit großer Spannung an und versprach ihr sodann, sein Bestes zu tun, um ihren Wunsch zu erfüllen.
Im Wohnzimmer Ritterhausens war eben das Mittagsmahl, von dem Sibylle sehr wenig berührt hatte, abgetragen, als die Kunde kam, daß der Großherzog selber auf der Rheider Burg eingetroffen sei, und ein paar Stunden später kamen zwei Fremde auf den Hammer, von denen der eine den Besitzer zu sprechen verlangte, während der andere in der Küche zurückblieb. Der, welcher bei Ritterhausen eingeführt wurde, war ein kleiner schmächtiger Mann, mit einem fahlen farblosen Gesicht, das von einem ergrauten Backenbart umrahmt war, während eine braune Atzel den Rest seines Haupthaares bedeckte. Er trug einen blauen Frack mit goldenen Knöpfen und eine goldene Brille – die ganze Erscheinung kündigte den Beamten an, der den größten Teil seines Lebens über Akten versessen. Seine Bewegungen hatten im Gegensatz zu seiner Gestalt nichts Rühriges, sondern etwas eigentümlich Phlegmatisches, Ruhiges, sein ganzes Wesen etwas Apathisches, das sich auch in feiner Art zu reden ausdrückte.
»Herr Ritterhausen,« sagte er in einem Dialekt, der den Elsässer verriet, »ich komme, Sie mit einer unbescheidenen Bitte zu belästigen. Allein der Dienst zwingt mich dazu. Was soll man da machen! Ich habe das Unglück, ein Polizeibeamter zu sein – nebenbei gesagt die miserabelste und geschorenste Art, sein Brot zu verdienen, welche es geben kann.«
»Ich bitte Sie, Platz zu nehmen, mein Herr,« unterbrach ihn Ritterhausen, »holen Sie sich einen Stuhl herbei, denn ich selbst kann es leider nicht, wie Sie sehen – dann wollen wir davon reden, wie ich der Polizei zu Diensten sein kann.«
Der Fremde setzte sich, wie es schien sehr ermüdet und sich lange ausstreckend, Ritterhausen gegenüber und fuhr, die Blicke matt im Zimmer umherirren lassend, als ob er dem, was er sagte, nur einen Teil seiner Aufmerksamkeit zuwende, zu reden fort: »Der Großherzog hat mich heute zu sich rufen lassen, um ihn zu begleiten, und oben auf der alten Burg dort hat er die Gnade gehabt, mich mit der genauen Untersuchung des Ereignisses zu beauftragen, welches daselbst in der verflossenen Nacht vorgefallen ist. Ein sehr angenehmes Kommissorium! Aber was soll man da machen! Nebenbei gesagt, ich glaube gar nicht an einen Mord. Die ganze Geschichte macht mir den Eindruck, als wenn der gute Mann, der Graf von Epaville, sich selber in die andere Welt befördert hätte ...«
»Sich selber?« fragte Ritterhausen, »Aber weshalb, um Gottes willen ...«
»Nun, wir von der Polizei erfahren so mancherlei, und was den Grafen angeht, so würde sich meine Ansicht aus unsern Kartons vielleicht gründlicher rechtfertigen lassen, als man gerade ahnt und voraussetzt!«
»Ja, dann freilich,« rief der Hammerbesitzer sehr lebhaft aus. »Es ist auch in aller Welt nicht zu erklären, wer den Mord begangen haben sollte, bei dem es doch offenbar nicht auf einen Raub abgesehen war. Feinde hat sich doch der Graf in den wenigen Tagen seines Hierseins noch nicht gemacht, und wenn auf den Reitknecht, der bei ihm war, nicht vielleicht ein Verdacht fällt ...«
»Der Reitknecht,« fiel der Polizeibeamte, wie müde das eine Bein über das andere schlagend, ein, »ist eine harmlose treue Seele!«
»Nun, dann bin ich ebenfalls sehr versucht, an einen Selbstmord zu glauben,« rief Ritterhausen laut aus.
»Nicht wahr?« sagte der Beamte mit einem langsamen, etwas lauernden Blick über seine goldene Brille fort, den aber der Hammerbesitzer bei der Aufregung, in welche ihn der Gegenstand der Gespräche versetzte, gar nicht bemerkte.
»Gewiß,« fuhr der letztere fort, »es käme nur darauf an, festzustellen, ob die Wunde, welche man an der Leiche gefunden hat, eine solche ist, wie man sie sich selbst beibringen kann. Ein Messer- oder Dolchstich in die Brust – davon redet man ja – scheint mir ganz der Art zu sein.«
»Freilich – aber nebenbei deuten auch Spuren auf eine Erdrosselung hin, die zu dem allein schon tödlichen Messerstich hinzugekommen.«
»Ein blaues Gesicht ...«
»Und geschwollen ...«
»Kann dies nicht auch natürliche Folge des Todeskampfes sein?« fuhr Ritterhausen in derselben Lebhaftigkeit wie bisher fort.
»Nun,« antwortete der Beamte langsam und kühl, »wir werden ja den ausführlichen Bericht der Aerzte erhalten.«
»Unterdes,« bemerkte Ritterhausen, »bitte ich um Ihre nähere Erklärung, worin oder womit ich Ihnen zu Diensten sein kann.«
»Ja, sehen Sie, mein Herr Ritterhausen,« versetzte der Beamte lächelnd, »es ist wohl ein wenig unverschämt, aber ich bin gezwungen, Ihnen so lästig zu fallen. Ich habe den Befehl, zur tätigsten Untersuchung der Angelegenheit an Ort und Stelle zu bleiben. An Ort und Stelle, das ist leicht gesagt! Aber wo soll ich essen, trinken und schlafen? Auf der Burg etwa? Soll ich mich diese Nacht in das Bett des Ermordeten legen? Gott stehe mir bei! Was ist da nun zu machen? Ihr Haus ist das nächste. Sie sehen, ich bin gezwungen, Ihre Gastlichkeit in Anspruch zu nehmen. Es ist gewiß sehr dreist von mir. Ich fühle es sehr wohl, wie unbescheiden meine Bitte ist. Eine Einquartierung, die nicht einmal ein Billett vorzuweisen hat!«
»O,« fiel Ritterhausen mit einer Zuvorkommenheit, die ihm nur eine so ungewöhnliche Veranlassung eingeben konnte, ein, »machen Sie nicht so viel Entschuldigungen, mein Herr. Betrachten Sie mein Haus ganz als das Ihrige. Bei einem solchen Vorkommnis hat jedermann die Pflicht, das Seinige zu tun, damit ...«
»Hoffentlich nur auf ein paar Nächte werde ich beschwerlich fallen,« unterbrach ihn der Beamte. »Ich bin ein sehr anspruchsloser Mensch, und für eine kleine Stube, nebst irgendeinem Dachkämmerchen für meinen Schreiber, der draußen in der Küche sitzt, werde ich Ihnen zeitlebens verpflichtet sein! Es sind eben, wie Sie ganz richtig bemerkten, die außerordentlichen Vorkommnisse, welche eine so außerordentliche Zumutung entschuldigen müssen ...«
Ritterhausen klingelte, und als eine Dienerin eintrat, gab er dieser den Befehl, sofort das Fremdenzimmer herzurichten und Erfrischungen zu bringen.
»Ich bitte nur ja, daß Sie sich, ohne sich zu genieren, hier einrichten,« sagte er dann zu dem Beamten; »wie Sie sehen, bin ich ein kranker, von der Welt verlassener und einsamer Mann; was kann mir erwünschter sein als ein Gast und dazu,« fügte er lächelnd bei, »einer von den Herren aus der Stadt, vom Hofe, die am meisten zur Unterhaltung eines von der Welt abgeschnittenen Menschen beitragen können.«
»Nun, ich bin nicht gerade vom Hofe,« antwortete der Beamte, »ich heiße Ermanns und bin nichts als ein einfacher Employé – und ich hoffe, wie gesagt, daß ich nur sehr kurze Zeit werde lästig zu fallen brauchen! Denn was diese Untersuchung angeht, so muß ich Ihnen offen gestehen, daß ich eigentlich gar nicht weiß, was da viel zu untersuchen ist. Wir haben den Hausmeister vernommen – man braucht diesen Menschen nur einmal zu sehen und zu hören, um überzeugt zu sein, daß auf ihn kein Verdacht fallen kann. Dasselbe ist mit dem Reitknecht der Fall. Es ist ein Mensch, der schon seit zwei oder drei Jahren im Dienste des Grafen war. Er hat einen guten Lohn bekommen, ist vom Grafen