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hat nur Nachteil vom Tode seines Herrn. Auch liest man die deutlichsten Spuren des Schreckens und aufrichtigsten Bedauerns im ganzen Wesen und der ganzen Haltung des Menschen. Nun ist aber dieser Reitknecht der einzige, der diese Tat verübt haben könnte. Die Haustüren der Rheider Burg wurden, so hat der Hausmeister eidlich ausgesagt, von letzterm selber am gestrigen Abende verschlossen; der Reitknecht war der einzige, welcher wieder in die Burg konnte; denn bevor er hinausgegangen, um sich im Nebengebäude, in einer Kammer über dem Pferdestall, zur Ruhe zu begeben, hat er sich einen Schlüssel zur vordern Haustür geben lassen, um am Morgen in der Frühe zu seinem Herrn kommen zu können und nicht von des Hausmeisters längerm oder kürzerm Schlaf abhängig zu sein. Den Reitknecht aber, sahen wir, trifft kein Verdacht; irgendeine Spur, daß ein dritter durch Fenster oder Türen eingedrungen, ist nicht aufzufinden. Geraubt ist nicht das mindeste. Wer also, ums Himmels willen, sollte der Täter sein, wenn nicht der Graf selber? Was ist da nun zu machen? Ich weiß in der Tat nicht, was ich noch lange untersuchen soll! Die nötigsten Vernehmungen sind bereits geschehen; ich denke, um zu zeigen, daß man nicht gleichgültig gegen die Sache ist, läßt man eine Belohnung von tausend Frank für jeden, der etwas Erhebliches und die Untersuchung Förderndes beibringen kann, ausschreiben. Vielleicht fällt aber auch der Bericht der Aerzte so aus, daß nicht einmal dies nötig ist.«

      Während der Beamte so sprach und dabei es sich jetzt sehr gemütlich auf dem Kanapee bequem machte, um den Erfrischungen zuzusprechen, die eben von der Dienerin auf den runden davorstehenden Tisch aufgetragen wurden, hatte Ritterhausen mit etwas wie einem spöttischen Lächeln zugehört. Dies verschwand jedoch, als Monsieur Ermanns die Bemerkung machte: »Das alte Schloß dort oben – nebenbei gesagt, es macht sich recht stattlich und malerisch, hier von Ihren Fenstern aus betrachtet – ist ein unheimliches altes Kastell. Der frühere Besitzer, hat man mir mitgeteilt, ist ja ebenfalls auf eine rätselhafte Weise ums Leben gekommen. Ist dem so? Erzählen Sie mir doch davon. Ich bin ein großer Liebhaber von dergleichen alten Geschichten, Ich finde sie viel unterhaltender als die empfindsamen Rittergeschichten und Sagen, die man bei uns im Elsaß – ich bin aus dem Elsaß gebürtig – von jedem alten Schutt- und Steinhaufen auf den Bergen sich erzählt; es ist das albernes Spinnstubengewäsche; Märchen von Heiligen, Legenden und Wunder, welche die faulen Bäuche, die Mönche, in ihren Klöstern erfunden haben, weil sie nichts anderes zu tun hatten. Kein Mensch kann sich daran ergötzen, wenn er nicht einen Köhlerglauben hat. Aber Geschichten aus der neuern Zeit, wo man weiß, die Sache ist wahr, wo man es mit richtigen Leuten zu tun hat, nicht mit Feen oder verrückten Kobolden, die höre ich gern. Besonders Mordgeschichten. Sie nicht auch?«

      »Sie haben recht,« erwiderte Ritterhausen ein wenig gedehnt; »ich bitte, unterlassen Sie jedoch nicht, sich von dem Weine einzuschenken, der vor Ihnen steht. Sie werden ihn gut finden.«

      »Ganz vortrefflich,« sagte der Beamte, sich einschenkend und ein Glas auf einen Zug leerend und dann wieder sich einschenkend; »darf ich Ihnen nicht auch dorthin zu Ihrem Sorgenstuhl ein Glas bringen?«

      »Ich danke, der Wein ist mir untersagt!« versetzte der Hammerbesitzer.

      »Da sind Sie zu bedauern,« meinte Monsieur Ermanns. »Wenn ich mich den Morgen mit meinen Akten herumgeschlagen habe und endlich die Stunde da ist, wo wir schließen, so daß man ›gottlob!‹ ausruft und die ekelhaften Schmieralien unter den Tisch werfen kann, dann habe ich das dringende Bedürfnis, mich mit einem Glase Wein zu erfrischen. Aber ich trinke nie viel. Höchstens zwei Flaschen täglich. Leider habe ich solchen, wie den Ihrigen, nicht in meinem Keller. Dazu reicht unser jämmerliches Gehalt nicht. Sie glauben nicht, wie erbärmlich schlecht wir armen Employés gestellt sind! Wenn man uns zweitausend Frank gibt, so glaubt man wunder, was man für uns getan hat und stellt Anforderungen an unsere Arbeitskraft, welche wahrhaft lächerlich sind! Man verschwendet das Geld an das Militär und für uns bleibt nichts übrig; die Zivilverwaltung kann hungern.«

      »Das ist nun einmal überall die Klage,« fiel Ritterhausen eifrig zustimmend ein, »Ich fürchte auch, daß unsere Staaten samt und sonders an dieser unverständigen Politik zugrunde gehen. Was ist unsere ganze Kultur, unsere christliche Zivilisation wert, wenn die Enderrungenschaft derselben nicht ein friedliches Zusammenleben der Völker ist? Unsere Regierungen aber richten den Staat ein, als wäre der Kriegszustand das Bleibende, die Regel in der Welt und der Frieden die Ausnahme. Sie verwenden alle Kräfte der Länder auf Kanonen, Musketen, Pferde und Kriegsknechte. Nun wahrhaftig, dann sind wir ja weiter nichts als Türken, die nach dem Koran nie Frieden, sondern nur Waffenstillstand schließen dürfen – wozu ist dann das Christentum und die Bildung da!«

      »Ganz meine Meinung,« sagte Monsieur Ermanns; »aber nun bitte ich, erzählen Sie mir doch die Geschichte von dem alten Herrn, der in der Rheider Burg umgekommen ist!«

      »Nun,« begann Ritterhausen, auf dessen Gesicht man deutliche Spuren wahrnahm, wie wenig bereitwillig er eigentlich war, auf diese Angelegenheit einzugehen, in gedehntem Tone, »der alte Herr von Huckarde war in sehr übeln Verhältnissen.«

      »Schulden?«

      »Er hatte sehr viele Schulden.«

      »Da sind Sie auch wohl mit einigen Pöstchen zu kurz gekommen?« fragte mit dem harmlosesten Tone von der Welt und gleich als ob er den Hammerbesitzer damit aufziehen wolle, Monsieur Ermanns.

      »Ich – o nicht bedeutend! Ich hatte allerdings eine Forderung. Doch habe ich auch später aus dem Nachlaß eine Zahlung erhalten.«

      »Es würde mich auch wundernehmen,« fiel der Employé ein, »wenn Sie nicht hätten einiges Blut lassen müssen. Diese Herren Cidevants in der guten alten Zeit waren im Geldborgen bei ihren wohlhabenden Nachbarn nicht blöde. Sie waren dann höchst herablassend gegen den ersten besten Noturier, wenn er nur Mosen hatte und die Propheten.«

      »Ich stand nicht auf gutem Fuße mit dem alten Herrn. Wir führten einen Prozeß miteinander.«

      »Den er verlor – oder gewann?«

      »Gewann!« sagte Ritterhausen.

      »Und doch verloren Sie einen Posten an ihn?« fragte Monsieur Ermanns in seiner unbefangenen Harmlosigkeit und sein Glas zum Munde führend weiter.

      »Es war eine Summe, die er ursprünglich einem andern schuldete und welche mir übertragen worden war.«

      »Ach, ich verstehe,« lachte der Employé. »Sie hatten sie sich übertragen lassen, um ihm damit ein Paroli zu bieten, wenn er über seinen gewonnenen Prozeß zu laut triumphieren würde!«

      »Nicht doch,« erwiderte Ritterhausen, sein Gesicht abwendend, »ich hatte mir die Forderung von einem Freunde, der auf der Stelle Geld bedurfte, aufschwätzen lassen.«

      »Nun und dann?«

      »Dann starb der alte Huckarde und ich habe für meine Forderung erst lange nachher von der bergischen Domänenkammer eine teilweise Zahlung erhalten.«

      »Forderten Sie denn die Summe nicht schon von dem alten Schuldenmacher selber ein?«

      »Das wohl, er konnte aber eben nicht zahlen.«

      »Und gewiß war er ganz unverschämt ruhig und gleichgültig dabei, als er Ihnen erklärte, Sie würden nicht das mindeste von ihm erhalten? Diese alten Junker von ehemals hatten einen neidenswerten Gleichmut, wenn sie die Leute prellten!«

      Ritterhausens Gesicht hatte sich immer mehr verdüstert bei den Erinnerungen, in welche die Fragen des Employés ihn versetzten. Doch waren die Ansichten, welche dieser Mann äußerte, im ganzen so übereinstimmend mit den seinigen, daß er keinen Grund fand, sich nicht auszusprechen; im Gegenteil, er fand nach und nach eine gewisse Genugtuung und Befriedigung darin, mit einem Fremden, der im allgemeinen dachte wie er selbst, einmal über Dinge zu sprechen, welche auf seiner Seele lasteten und von denen er mit Bekannten niemals redete.

      »So unverschämt ruhig war der alte Huckarde nun doch nicht,« versetzte Ritterhausen darum offen auf des Employés letzte Frage, »Im Gegenteil, er war sehr betroffen. Infolge seines gewonnenen Prozesses glaubte er das Recht zu haben, mir die Pachtung dieses Hammers zu nehmen. Ich ging zu ihm, um ihm begreiflich zu machen, daß es nicht politisch von ihm gehandelt sein würde, nach der ganzen Strenge des Rechts gegen

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