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nahmt vor der Strafe Reißaus.«

      »Wenn Ihr mir helfen wollt, wie der Spielmann dort meint, daß Ihr tun würdet, will ich Euch die Geschichte schon erzählen,« antwortete der Deserteur, »Sonst könnt Ihr’s nicht verlangen.«

      »Ob ich Euch helfen will? Nun, vielleicht will ich Euch einen guten Rat geben, wenn Ihr’s verdient. Um das zu wissen, muß ich Eure Geschichte kennen. Wie heißt Ihr?«

      »Johannes.«

      »Und dann?«

      »Ich denke, ich komme für die nächsten Tage aus mit dem Namen Johannes. Lassen wir’s gut sein damit. Wo ich daheim bin, das tut auch nichts zur Sache. Genug, daß Ihr wißt, ich habe da allerlei kleinen Verdruß gehabt, wo ich daheim bin. Es ist da so ein kleiner Fürst, einer von denen, die Anno 1802 ins Land gekommen sind und sich darein geteilt haben. Der Fürst oder Herzog, oder wie er sich schreiben mag, hatte einen nichtsnutzigen Neffen bei sich, der stellte den Weibsleuten nach und so auch einer, die mich näher anging. Es war nicht just meine Schwester, und auch nicht just mein Schatz, aber daß er ihr nachstellte, war mir nun einmal nicht recht, und als wir in einer schönen Nacht zufällig zusammenkamen – es war an einer Fähre, wo man über ein Wasser setzt – da gerieten wir aneinander und ich nahm ihn beim Kragen und warf ihn hinein. Nun, was hängen soll, das versäuft nicht, und es lief für ihn mit einem kalten Bade ab. Mir aber wurde die Gegend zuwider seitdem und da ich gute Freunde jenseits der Grenze im Holländischen hatte, so ging ich zu denen und ließ mich da anwerben unter die Mannschaften, die nach Batavia gehen. Ich bekam ein schönes Handgeld und in Leeuwarden, wo ich eingestellt wurde, waren die Herren Offiziere so zufrieden mit mir, daß sie mich zum Korporal machten, schon nach ein paar Monaten. Ich mußte drillen helfen, und da ich Geschick dazu hatte, hielten sie mich da, im Depot, um die neuen Angeworbenen, die von Zeit zu Zeit ankamen, einzuüben. Endlich sollte die Reise angehen. Das Schiff lag segelfertig im Texel – da kam auf einmal Konterorder. Der Kaiser Napoleon ging, den Preußen zu verruinieren, und wir Holländer mußten mit, bis hier ins Bergische hinein. Wir kamen nach Düsseldorf in Garnison; anfangs hießen wir noch Batavier und dann wurden wir umgetauft in ›Großherzoglich bergische Grenadiere‹. Nun, mir konnt’s recht sein, obwohl ich nicht so gewettet hatte. Für Batavia hatte ich kapituliert, aber nicht fürs Bergische. Da sie mich aber zum Sergeanten machten und auch ein gutes Leben ist bei den Franzosen, so ließ ich mir’s gefallen.«

      »Ihr waret bereits Sergeant und lieft dennoch fort?« unterbrach ihn Sibylle.

      »Als Sergeant –« fuhr der Fremde in demselben gelassenen, beinahe spöttelnden Tone fort. »Und das kam so. Neulich habe ich die Wache am Benrather Tor. Da lieg’ ich ganz behaglich auf der Pritsche und spiele Karten mit einem guten Kameraden. Da ruft die Wache vorm Gewehr: Aux armes! und als wir nun herauslaufen, kommt mir mein Monsieur Murat, der Herr Großherzog dahergeritten, von Schloß Benrath herein, den hohen weißen Federbusch auf dem Kopfe, Gold auf allen Nähten und rote Samtstiefeln an den durchlauchtigen Beinen. Nun, den Herrn hat unsereins schon öfter zu sehen bekommen, wir nehmen also ruhig die Gewehre auf, ich kommandiere: Präsentiert, und stelle mich in die Reihe – aber ich meine, ich sehe den leibhaften Satan aus der Erde aufsteigen, als ich unter den Herren, die mit dem Großherzog sind, meinen alten Freund von dazumal erblicke, stolz und hoch zu Roß, in einer Guidenunifoim mit den Oberstenepauletten ...«

      »Es war der Mann,« fragte Sibylle, »um den Ihr früher Eure Heimat verließet und Euch nach Batavia zu gehen entschlosset?«

      »Derselbe, den ich ins Wasser warf. Und wie ich ihn mit großen Augen anstarre, sieht er mich wieder an, sein Gesicht verzieht sich, er wendet es rasch ab, und dann wendet er es mir wieder zu, als ob er seiner Sache gewiß werden wolle. Dabei zuckt etwas um seinen Mund, just wie’s der Teufel macht, wenn er wahrnimmt, daß ihm eine arme Seele ins Garn gegangen ist. Und damit ist der Troß an uns vorüber geritten. Ich lasse die Wache die Gewehre absetzen, und da grad’ ein Paar Reitknechte, die dem Herren folgen, herangeritten kommen, trete ich an den einen heran und frage ihn nach dem Obersten in der Guidenuniform. Der ist Flügeladjutant beim Herrn Großherzog, sagt der Reitknecht. Nun wußt’ ich genug. Auch was ich zu tun und zu lassen hatte. Als wir am andern Tage abgelöst wurden, ging ich in mein Quartier, schnürte mein Bündel und gab’s einem Jungen, mir’s zur Stadt hinauszutragen. Und dann, als es dunkler Abend geworden war, da ging ich meinem Bündel nach und nun sind wir alle beide da, das Bündel dort hinter der Wallhecke und ich hier.«

      »Das ist also Eure Geschichte,« sagte Sibylle nachdenklich. »Es mag so sein, wie Ihr sagt, aber es mag auch noch mancherlei dabei sein, was Ihr nicht sagt!«

      »Und weshalb glaubt Ihr das?«

      »Weil Ihr doch sonst wohl abgewartet hättet, ob denn der Oberst gegen Euch noch etwas Böses im Schilde führte und die Stellung, die er beim Großherzog einnimmt, dazu mißbrauchen würde.«

      Johannes, der Deserteur zeigte ein bitteres Lächeln um seinen Mund mit den festen verkniffenen Lippen und sagte: »Es wäre darüber vielleicht zu spät geworden, meine werte Demoiselle, über dem Abwarten. Ich kenne meine Leute und kenne den Herrn! Nein, nein, es war besser, daß ich nicht wartete und ging. Und das habe ich getan, und in den Bergen drüben habe ich den Spielmann hier getroffen, der hat mir Hoffnung gegeben, Ihr würdet mir helfen, auf die Seite zu kommen. Zum Weiterreisen habe ich kein Geld und keine Papiere, und es wird heutzutage überall scharf aufgepaßt.«

      »Der Spielmann,« antwortete Sibylle, »ist sehr kühn, daß er solche Versprechungen macht.«

      »Ich habe Euch immer als eine gute bergische Patriotin gekannt, Sibylle Ritterhausen,« fiel Spielberend ein, »es ist ein Landsmann und den Franzosen dreht Ihr eine Nase damit.«

      Sibylle betrachtete noch einmal den Deserteur. Es war etwas in dem Menschen, das mit Mißtrauen erfüllen konnte, seine kecke Physiognomie, sein beinahe frecher Blick. Seine bestimmte scharfe Weise sich auszudrücken, gefiel dagegen Sibyllen wieder. Sie sagte: »In unserm Hause, auf unserm Hammer können wir Euch nicht gebrauchen. Ich will auch weiter nichts mit Euch zu schaffen haben. Aber ich will Euch einen Schlupfwinkel zeigen, in welchem Ihr vor allen Nachforschungen sicher seid und bleiben könnt, bis Ihr glaubt, sicher über die Grenze kommen zu können.«

      »Nun, wenn Ihr das wolltet, so ist’s auch schon des Dankes wert!«

      »Den Dank erwart’ ich auch ... den, daß Ihr später niemand vertatet, wer ...«

      »Darauf verlaßt Euch ... schweigen kann der Johannes!«

      »So holt Euer Bündel und folgt mir!«

      Der Mann ging, um zu tun, was das junge Mädchen ihm befohlen; Sibylle stand auf und schritt durch die alten Steinpfeiler voran, dem Edelhofe zu, dessen Mauern vor ihr durch das Gebüsch schimmerten. Der Deserteur mit seinem Bündel in der Hand hatte sie bald eingeholt; auch der Spielmann mit seiner Geige im Sack folgte ihr. Die Dogge lief voran.

      So schritt die Gruppe über einen auf dem Plateau des Berges liegenden Rasenplatz, auf welchem friedlich eine an einen Pflock gebundene Ziege weidete. Vor ihnen erhob sich dieselbe Seite der Rheider Burg, welche man vom Hammer aus erblickte, die mit den zwei Ecktürmen und dem Erker. Das Gebäude sah in dieser Nähe nicht mehr so imposant aus wie es sich von unten, vom Tale her darstellte, und der große Verfall, der überall daran genagt und verwüstet hatte, wurde jetzt erst recht sichtbar. Dagegen hatte man von dem Platze vor dem Gebäude eine unvergleichliche Aussicht über die Windungen des Flusses durch das enge Bergtal und über die Höhen zu seinen beiden Seiten, die mit schönem Laubholz bestanden und durch einzelne Ansiedlungen mit Aeckern und Wiesen durchsprenkelt waren.

      Sibylle wendete ihre Schritte dem viereckigen Turme zur Linken zu, an dessen Fuß eine schmale, spitzbogige Tür ins Innere führte. Die Tür war von Eichenholz, fest und schwer gezimmert, aber die Zeit hatte alle Farben heruntergewaschen und die Sonne und Dürre hatten zahllose Spalten hineingerissen. Sie führte in ein gewölbtes Souterrain, an welches sich eine ganze Reihe ähnlicher hallenartiger, aber dumpfer und feuchtkühler Räume, schloß, in denen es leer und öde aussah. Starke Gittertüren trennten sie voneinander ab, keine derselben jedoch war verschlossen und hemmte den Schritt Sibyllens, die ihre Begleiter bis in den letzten dieser Räume führte. Hier wurden

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