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Krone?« fragte das junge Mädchen, erleichtert aufatmend. »Rote Kronen tragen nur Fürsten.«

      »Das weiß ich nicht. Ihr mögt recht haben oder nicht... Ich weiß nur, was ich gesehen habe.«

      Sibylle Ritterhausen schaute den Spielmann eine Zeitlang nachdenklich an.

      »Ihr seid ein schlimmer Geselle, Spielberend,« sagte sie dann. »Es ist wahr, daß Ihr...«

      »Mehr könnt als Brot essen, wollt Ihr sagen, Mamsell,« fiel der Mann ein, Sibylle mit einem schlauen Seitenblick streifend, und dann wieder, wie gewöhnlich, unsteten Blickes ihr Auge vermeidend.

      »Aber,« fuhr Sibylle fort, »es ist auch ebenso wahr, daß Ihr lügen könnt wie der Lügenschuster Matthias, Euer guter Freund, und darum weiß man nie, ob man Euch trauen soll oder nicht. Was Ihr jetzt sagt, lautet nun vollends so wie eine von Euern Aufschneidereien. Auf der Rheider Burg lebt niemand als der alte Hausmeister Claus, und wenn sie einst den hinaustragen, die Füße voran, so werden sie keine Wappen mit Fürstenkronen an seinen Sarg heften!«

      Spielberend lächelte wieder.

      »Wer weiß es! In Düsseldorf ist auch ein Mann, der ist nicht besserer Leute Kind wie der alte Claus Fettzünsler; ein Schenkwirtssohn, hab’ ich mir sagen lassen. Und doch, wenn er begraben wird, so soll einer die roten und goldenen Kronen sehen, die sie an seinen Sarg machen werden!«

      »Habt Ihr das etwa auch gesehen, Spielberend?«

      »Nein, das habe ich nicht gesehen, Mamsell Sibylle – ich weiß nichts davon! Er hat ein gutes Leben dort, im Schlosse unserer alten Herzoge; und wenn Frau Jakobäa von Baden, die da spuken geht, ihm nicht etwa den Hals umdreht – sie muß es ja an sich selber gelernt haben, wie man’s macht – dann wird er ans Sterben noch lange nicht denken!«

      »Ihr seid eigentlich ein greulicher Mensch, Spielberend,« sagte das junge Mädchen, sich auf einen Baumstamm niedersetzend, der dem Mauerstück, auf welchem der Spielmann saß, gegenüberlag – »man hat kaum eine Viertelstunde mit Euch geredet und Ihr habt jedesmal schon so viel von Sterben, Leichen und Särgen vorgebracht, daß einem ganz schaurig zumute wird!«

      Spielberend antwortete nicht. Er griff nach seiner Geige, riß die Hülle herab und spielte mit großer Gewandtheit ein paar Läufe darauf, ein Stück aus einer lustigen Tanzmelodie; mit einem schreienden, kreischenden, tief disharmonischen Tone hörte er plötzlich auf.

      »Nun ist’s fort!« sagte er dann. »Darum bin ich ein Spielmann geworden. Wer Augen hat wie ich, der muß sich danach einrichten, daß ihm das Leben ein Spaß wird, und daß, wo er geht und steht, um ihn herum fröhliche Kameraden kommen. Ja, es ist ein gutes, freisames Handwerk, ein wandernder Spielmann sein. Man weiß doch, daß man lebt. Hat nicht Kind noch Kegel. Heute hier und morgen dort. Wo man kommt, da ist Kirmes. Und die Lebsucht ist gut im Land der Berge. Gar manche lange Nacht bringt man flott herum. Habe ich die Geige am Hals und den Fiedelbogen in der Hand und um mich her das lustige Hallo – dann sitze ich fest, und ich bin stärker als die sind, die mich heraus haben wollen vor die Tür, an den Kreuzweg, auf die Heide. Mögen sie locken und rufen wie sie wollen, draußen im Mondschein – Sie bekommen mich nicht! Ich weiß es schon, was da vorgeht draußen; was daherkommt den Dorfweg entlang, mit einem schwarzen Kreuz voran und einer Reihe schwarzer Leute hinterher. Sie wollen mich heraus haben, daß ich’s sehen soll. Ich meine, ich habe die Nachtmär auf der Brust liegen, von Unruhe und schwerem Atem. Aber ich tu’s nicht. Ich tu’s partout nicht. Ich bleibe sitzen wie angeleimt auf der Bühn’ und streiche die alte Geige, daß die Gläser klirren; daß die Bauernjungen stampfen und die Dirnen kreischen vor Vergnügen; ich streiche, bis ich umfalle vor Müdigkeit in dem Staub und dem Qualm der Talgkerzen und der Hitze, und dann, dann ist’s vorüber. Ja, Mamsell Sibyllchen, so ist’s! Und darum: Vivat, es lebe die Geige!«

      Sibylle sah mit großen Augen den Menschen an, der wie ein verkörpertes dunkles Rätsel vor ihr dasaß. So nahe es lag, seine Reden als aberwitzige Possen zu betrachten, so war sie doch weit entfernt davon, sie so aufzufassen. Dafür stand Spielberends Ruf als der eines Vorgeschichtensehers im ganzen Lande viel zu fest. Spielberend ist eine populäre Gestalt, deren Andenken noch heute beim bergischen Volke lebt. Er ist der große Prophet der bergischen Lande, von dem noch heute die Großmütter ihren Enkeln erzählen. Freilich war er nebenbei ein Spielmann, ein Dorfmusikant, ein Schnurrant. Man wußte, er erzählte mehr, als er verantworten konnte, und er beutete listig den Glauben an seine Geschichten aus. Aber auf der andern Seite stand es felsenfest, daß er in einem hohen Grade von Ausbildung die Gabe des zweiten Gesichts habe. Er sah Todesfälle, Leichenbegängnisse, Feuersbrünste, Truppenmärsche vorher, und hundert Beispiele zählte man auf, wo sich buchstäblich erfüllt hatte, was Berend vorhergesagt. Und so kam es, daß sein übriges Wesen, sein Vagabundentum, seine Lügen ihn dem Volke nur desto merkwürdiger und anziehender machten.

      Sibylle fuhr mit der Hand über das Gesicht, als ob sie den unheimlichen Eindruck verwischen wolle, den all dies Gerede auf sie gemacht hatte. Dann sagte sie: »Nun hört auf mit Euern tollen Geschichten, die mich grauen machen, hier in dem einsamen Busch. Was wolltet Ihr eigentlich von mir?«

      »Ich wollte Euch um etwas gebeten haben. Ich habe einen Gesellen für Euch, einen derben Burschen, der Arbeit auf Euerm Hammer nehmen will.«

      »Und wer ist das?«

      »Ein armer Teufel, den die Franzosen zum Soldaten gepreßt haben und der ihnen durchgegangen ist!«

      »Ein Deserteur?«

      Spielberend nickte.

      »Den können wir nicht brauchen!«

      »Wenn er in Euerm Hammer mit der langen Stange neben dem Frischfeuer steht, nackt bis auf den Gürtel und schwarz wie der König aus dem Mohrenlande – dann kennt ihn keiner mehr, und Ihr braucht, kommt Frage nach ihm, nur zu sagen, das ist der Xaver Meyer oder der Franz Müller, der schon seit Monden im Hammer arbeitet!«

      »Nein,« sagte Sibylle streng und entschieden, »daraus wird nichts.«

      »Aber wenn sie ihn fangen, schießen sie ihn tot; und ich glaubte, es wäre Euch ein Vergnügen, wie jedem andern guten Patrioten, ihnen einen Streich zu spielen.«

      »Es geht nicht, Bebend,« sagte das junge Mädchen. »Die Hammergesellen wissen, was sie uns wert sind und tragen den Kopf hoch. Die dienen nicht zusammen mit einem hergelaufenen Menschen. Und wenn das nicht wäre, wie kann ich so viel aufs Spiel setzen, um eines fremden Deserteurs willen? Die Gesetze sind furchtbar streng dawider. Schlagt es Euch aus dem Kopfe. Wo ist er?«

      »Wollt Ihr mit ihm reden? Er ist in der Nähe, – Johannes!« rief Spielberend zurückgewendet.

      Sibylle folgte mit den Blicken der Richtung, nach welcher hin Berend bei diesem Rufe das Gesicht gewendet hatte, und sie sah, wie sich etwa dreißig Schritte weit von ihr, hinter der Hecke, die sich in das Gehölz verlief, ein Kopf, der mit einer blauen rotumsäumten Militärmütze bedeckt war, erhob, und wie dann eine Gestalt über diese Hecke kletterte, die rasch auf sie zugeschritten kam.

      Sibylle faßte nach dem Halsband ihrer Dogge, um das aufspringende und laut anschlagende Tier zurückzuhalten. Der Fremde war unterdes herangetreten und legte die Hand an seine Mütze.

      Der Mann hatte ein auffallendes Aeußere. Er war mittlerer Größe, hatte eine breite, Kraft und Gewandtheit ankündende Gestalt, und einen ungewöhnlich kleinen schmalen Kopf auf den mächtig ausgebildeten Schultern. Das graue Auge zeigte eine eigentümliche reiherartige Schärfe. Die Mütze mit dem roten Rande war das einzige Militärische an seiner Kleidung. Diese bestand aus einer schwarzen Manchesterjacke, langen Tuchbeinkleidern von derselben Farbe und einer dunkelgrünen Weste von Serge oder einem ähnlichen Wollstoff. Um den niedergeschlagenen Hemdkragen trug er ein schwarzes Seidentuch – die ganze Erscheinung war etwa die eines ehrsamen Handwerkers im Sonntagsstaat.

      »Ihr seid den Franzosen fortgelaufen?« fragte Sibylle zu dem Fremden aufschauend, der mit einer für einen Unglücklichen und Hilfesuchenden auffallenden Dreistigkeit seine scharfen Augen auf das junge Mädchen heftete.

      »Das bin ich.« sagte er.

      »Und

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