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und stieg die Stufen, die in den Garten führten, hinab.

      Zweites Kapitel

       Die Rheider Burg

       Inhaltsverzeichnis

      Zehn Minuten später schritt Sibylle Ritterhausen über einen schmalen hölzernen Steg, der über den Fluß führte, dem andern Ufer der Wupper zu. Ein schöner großer Hund, eine dunkelgelbe Dogge mit schwarzem Kreuz über den Schultern und schwarzen Füßen, trabte vor ihr her. Als sie am jenseitigen Ufer angekommen war, folgte sie eine Strecke, weit talabwärts dem Flusse; dann schlug sie einen Fußsteig ein, der zur Linken die Bergseite hinanklomm, durch das Gehölz, das die steile Wand bedeckte. Zuweilen, wenn das Gehölz sich lichtete, an Stellen, wo der Fels nackt zutage trat und auf denen nur das Farnkraut, die Erika oder die Heidelbeere fortkam, oder wo das Holz verkrüppelt sich dicht am Grunde hielt, blieb sie stehen und benutzte den freien Ausblick, der sich ihr bot, um ihr Auge sinnend über den Fluß, das Hammergehöfte und das Tal dahinter schweifen zu lassen, das in all den schönen Farben des Herbstes prangte. Die Dogge legte sich dann eine Weile ruhig zu ihren Füßen hin; und nach einer Pause erhob sie sich wieder und lief, ohne daß ihre Herrin ihr ein Zeichen gegeben, weiter, als ob sie genau die Zeit kenne, wie lange Sibylle zu solchen Rasten und Ausschauen an diesen Punkten zu verweilen pflege. In der Tat folgte Sibylle jedesmal ihrem treuen Begleiter auf dem Fuße.

      Sie war auf diese Weise beinahe bis an den Rand der Höhe gekommen, welche sie erreichen wollte, als die Dogge stehen blieb, ihre Rückenhaare sträubte und dann in langen Sätzen knurrend voraussprang. Gleich darauf hörte Sibylle oben den Hund anschlagen und eilte nun, ihn durch ihren Zuruf beschwichtigend, rascher voran.

      Sie kam an ein altes, gitterloses Tor, dessen zwei Steinpfeiler, von dem Gebüsch dicht umschattet und in ewiger Feuchtigkeit gehalten, ihrem völligen Ruin nicht mehr fern schienen. Der Kalk, mit dem sie beworfen gewesen, war zum größten Teile abgefallen; Moos, Flechten und Steinbrech wucherten in den entblößten Fugen. Ueber den Pfeilern von einem zum andern schwang sich ein künstlich geschmiedeter eiserner Bogen mit allerlei Arabesken, die ein ovalrundes, in der Mitte prangendes Wappen umgaben. Die Gitter, wie gesagt, waren fort; aber wer sich das alte Eisenwerk zunutze gemacht, hatte dadurch die »Rheider Burg« ihren etwa anrückenden Feinden nicht bedenklicher bloßgestellt, als sie ohnehin schon war; denn die Mauer, die sich hier oben, am Rande des Plateaus, auf welchem der alte Edelhof stand, nach rechts hinzog, war stellenweise ausgebrochen oder eingefallen und also sehr leicht zu übersteigen! an den Torpfeiler zur Linken schloß sich nur eine Wallhecke an, welche sich im dichten Gebüsch verlief.

      Auf einem Haufen ausgefallener Bruchsteine zur Seite des Pfeilers rechts saß ein Mann in blauem Kittel, einen weißen Strohhut auf dem Kopfe. Sein blondes, ungekräuseltes Haar war länger gewachsen, als es Sitte unter dem Landvolk der Gegend war; der Mann hatte es hinter die Ohren zurückgestrichen, und während so die Schläfen frei wurden und ein seines blaues Geäder unter der auffallend weißen Haut zeigten, bekam das Gesicht dadurch etwas Absonderliches, das sich in hohem Grade steigerte, wenn man auf des Mannes Augen den Blick wandte. Diese waren vom hellsten blauen Wasser und dennoch glänzend, und, wie sie so in Heller Feuchtigkeit zu schwimmen schienen, demantenartig blitzend. Sonst waren die Züge die eines Bauern, die Nase breit, die Lippen schmal und blau, das Kinn sehr zurückspringend, wie es gewöhnlich bei Menschen gefunden wird, die schwachen Charakters sind, oder deren Mangel an geistiger Energie sie der fortwährenden tyrannischen Herrschaft ihrer sinnlichen Triebe preisgibt.

      Neben dem Manne, an den Steinhaufen gelehnt, stand eine von einem schmutzigen Lederfutteral bedeckte Geige.

      Als das junge Mädchen ihn erreicht hatte, saß die Dogge fünf Schritte weit von demselben ruhig da. Der Fremde blickte ihr fest ins Auge, und der Hund schien sich zu scheuen vor diesem Blick. Er hatte noch immer das Rückenhaar gesträubt, er stieß auch von Zeit zu Zeit einen knurrenden Ton aus – aber seine Blicke wichen den Blicken des Fremden aus, und als Sibylle herankam, barg er sich hinter seiner Herrin.

      »Guten Tag, Berend,« sagte das junge Mädchen, als sie den Mann erreicht hatte, »laßt Ihr Euch einmal wieder in der Gegend sehen?«

      Der Mann lüftete seinen Strohhut, ohne sich jedoch zu erheben.

      »Ihr seid lange geblieben, Mamsell Ritterhausen,« versetzte er. »Ich wartete auf Euch.«

      »Auf mich? Und wie wußtet Ihr, daß ich heute hierher kommen würde, Berend?«

      Die wasserblauen Augen des Mannes glänzten heller auf von einem eigentümlichen Lächeln.

      »Ich wußte, daß Ihr kommen würdet, nach Eurem Eigen zu schauen!«

      »Nach meinem Eigen? Was versteht Ihr darunter, Berend?«

      »Darunter versteh’ ich die Rheider Burg; es ist kein Winkel und kein Eckchen in dem alten Hause, von dem Ihr nicht mit Euern Gedanken längst Besitz genommen hättet, Mamsell Sibylle. Aus Tür und Tor habt Ihr die drei Späne geschnitten und auf dem Herde habt Ihr Feuer angemacht, alles in Euern Gedanken, heißt das, wie eine rechte neue Herrschaft.«

      Sibylle zuckte die Achseln.

      »Ihr irrt Euch, Berend,« antwortete sie kaltblütig. »Es ist wahr, daß mein Vater einmal daran gedacht hat, die Rheider Burg anzukaufen. Es war dazumal, als er den Prozeß mit dem seligen Huckarde gehabt hatte und der alte Herr plötzlich ein so schreckliches Ende nahm ...«

      »Ich weiß es,« sagte Berend, »er wollte sie kaufen dazumal ...«

      »Er dachte daran,« fiel Sibylle ein, »damit solche Streitigkeiten zwischen Hammer und Burg nie wiederkommen könnten. Da aber die Landesherrschaft die Burg an sich nahm, ist diese jetzt in sichern und festen Händen, und was den Prozeß angeht, so ist der auch tot und kann nie wieder aufleben. Wie sollten wir noch daran denken, die Burg zu kaufen!«

      »Nun,« versetzte Berend mit eigentümlich listigem Zwinkern der Augen, »daß Euer Vater dazumal sie nicht bekam, das war desto besser für ihn. Wer weiß, was die Leute gesagt hätten!«

      »Und was hätten sie sagen sollen, die Leute?«

      »Wir wollen die Toten und geschehene Dinge ruhen lassen, Mamsell Sibylle. Was aber kommen soll, das wird kommen. Ihr habt recht, daß Ihr’s nicht jedem ersten besten in die Ohren hängt, was Ihr vorhabt. Es gehören schöne Waldungen zum Hause; unten die langen zweischürigen Wiesen sind auch was wert, und die Ackerländereien bringen ihre fünf Taler Pacht der Scheffel.«

      Sibylle Ritterhausen zuckte abermals die Achseln

      »Ist das alles, was Ihr mir sagen wolltet – habt Ihr deshalb auf mich gewartet, Berend?« sagte sie, sich zum Weitergehen wendend.

      »Nein, Mamsell Sibylle,« antwortete der Mann mit einem pfiffigen Augenblinzeln. »Ich weiß es, daß es Euch nicht um die Pacht und nicht um die Wiesen zu tun ist, wenn Ihr Euer Auge gerichtet haltet auf die Rheider Burg wie ein Falke auf ein Wasserhuhn, das noch im dicken Schilfe steckt, aber einmal doch daraus hervorkommen wird – und dann wird der Falke bei der Hand sein! Ja, ja, Ihr sollt sie auch haben, die Burg – denkt daran, daß Spielberend es Euch gesagt hat; aber es ist eine Leiche im Haus, die muß erst hinaus.«

      »Eine Leiche? Ist das nun Euer Ernst, Spielberend, oder wollt Ihr mich ängstigen mit Euern Schauergeschichten?«

      »Euch ängstigen? Wie sollte ich Euch ängstigen wollen? Seid Ihr so schreckhafter Natur, daß man Euch mit Lügen angst machen könnte? Es ist auch nichts dabei, weshalb Ihr erschrecken solltet. Die Leiche, die hinausgetragen werden muß, ehe die Rheider Burg Euer Eigen wird, geht Sibylle Ritterhausen nichts an.«

      »Ist es der alte Claus?« sagte da« Mädchen, das offenbar stutzig geworden war, flüsternd.

      Spielberend schüttelte den Kopf, »Die alte Hauseule, der Claus? der ist es nicht. Es sind große Wappen an dem Sarge.«

      Sibylle erblaßte und fuhr mit der Hand zum Herzen.

      »Habt Ihr die Wappen gesehen, Berend?« fragte sie,

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