Скачать книгу

erfahren ständige Wertsteigerungen. Aber weißt du was, Mama? Über dieses Thema können wir uns persönlich ausführlich unterhalten. Ich habe übermorgen etwas in Hohenborn zu tun, danach mache ich einen Abstecher zu euch. Omi und Opi sind ja auch ganz vernarrt in die kleine Teresa. Die können sie dann auch sehen. Ich rufe dich noch an und sage dir, wann ich genau bei euch sein werde.«

      Ehe sie sich verabschiedete, sagte Ricky: »Mama, es ist ganz lieb von dir, dass du dich so kümmerst. Aber du musst dir um uns wirklich keine Sorgen mehr machen. Wir sind erwachsen, und wir wissen, was wir tun … War Jörg schon bei euch?«

      Ihr Sohn Jörg kam hier und da auch mal vorbei, sie trafen sich zu den Familienfesten, telefonierten miteinander. Warum erwähnte Ricky das jetzt? Sofort war Inge alarmiert.

      »Nein, wieso?«

      Diese Frage beantwortete Ricky nicht, sondern beendete rasch das Gespräch und ließ ihre Mutter irritiert zurück. Weswegen sollte Jörg zu ihnen kommen?

      Was wusste Ricky, was sie nicht wussten?

      War etwas mit den Kindern?

      Gab es eine Unstimmigkeit zwischen Jörg und Stella?

      Viele Fragen schwirrten ihr durch den Kopf, und sie wusste nicht eine einzige Antwort.

      Inge ärgerte sich über sich selbst. Hatte Ricky nicht gerade gesagt, dass sie erwachsen waren und wussten, was sie taten?

      Sie musste loslassen, sie durfte sich nicht immer in alles hineinhängen und versuchen, alles zu regeln, wie sie es früher getan hatte. Die Kinder waren wirklich nicht mehr klein. Deswegen war Inge ja so froh gewesen, wenigstens ihre Jüngste noch im Haus zu haben, ihr Nesthäkchen.

      Bambi, die nur noch Pam, Pamela genannt werden wollte, die nichts mehr mit ihnen zu tun haben wollte.

      Inge verspürte einen tiefen Schmerz in ihrer Brust und musste sich zusammenreißen, um jetzt nicht zu weinen.

      Sie war so hoffnungsfroh gewesen, dass Pam sich nach ihrem langen, reuevollen Brief voller Erklärungen wenigstens melden würde. Dann hätten sie wenigstens irgendwo anknüpfen können. Leider war bislang nichts geschehen, und je mehr Zeit verging, umso hoffnungsloser wurde sie. Sie hatten ihr Nesthäkchen für immer verloren. Es war ein so entsetzlicher Gedanke, der sie beinahe zerriss.

      Inge trank noch einen Kaffee, versank in Grübeleien, die sie in die Vergangenheit führten.

      Als sie hier im Sonnenwinkel angekommen waren, war die Familie noch komplett gewesen, doch dann war als Erste Ricky gegangen, die sich unsterblich in Fabian Rückert verliebt hatte, dann hatte Jörg das Haus verlassen, und Hannes. Er war nach seinem Abitur auf Weltreise gegangen, doch all ihre Hoffnungen, er würde sich hier in der Nähe niederlassen, anfangen zu studieren, erfüllten sich nicht. Hannes, der Freigeist, hatte seinen eigenen Kopf. Hannes dachte nicht daran, die Erwartungshaltung seiner Eltern, insbesondere die seines Vaters, zu erfüllen. Er war nach Australien gegangen, um dort zusammen mit einem Kumpel eine Tauch- und Surfschule zu betreiben. Ein schrecklicher Gedanke für die Auerbachs, und es machte sie auch nicht glücklich, dass ihr Hannes das Werbegesicht für ein­ neues Surfbrett, ›Sundance‹, war und dabei ordentlich verdiente. Darum ging es den Auerbachs nicht. Es nagte an Werner Auerbach, dass sein jüngster Sohn nicht eine vielversprechende akademische Laufbahn einschlug, dass er seine Talente so verschwendete, mit einem Einser-Abitur standen ihm alle Türen offen.

      Inge trank einen Schluck, rührte gedankenverloren in ihrer Tasse herum.

      Eines war Hannes auf jeden Fall hoch anzurechnen, dass er seine kleine Schwester zu sich geholt hatte, und es war ein Glücksfall gewesen, dass Pam mit ihm gegangen war, obwohl er doch ein Auerbach war, mit denen sie nichts mehr zu tun haben wollte.

      Inge seufzte.

      Es war keine vorübergehende Laune, kein vorübergehender Zorn. Nein, sie hatte endgültig mit ihnen gebrochen, sonst hätte sie ihnen geschrieben. Inge wagte nicht, einen weiteren Brief ins ferne Australien zu schicken, und sie wagte auch nicht, Hannes noch mal auf den Brief anzusprechen. Er war ziemlich sauer gewesen, weil sie sich nicht an die Abmachung gehalten hatte, sich nicht zu melden.

      Als wenn das so einfach war.

      Ein Mutterherz ging eigene Wege.

      Ihre Gedanken wanderten zu Jörg. Warum sollte er mit ihnen gesprochen haben? Dieser Gedanke ließ Inge nicht los, und am liebsten hätte sie ihren Sohn angerufen.

      Warum war Ricky einer Antwort auf ihre Frage ausgewichen? Sie waren sonst so offen miteinander und hatten keine Geheimnisse voreinander. Es war ein beneidenswertes Mutter-Tochter-Verhältnis.

      Oder sollte sie einfach noch mal bei Ricky nachhaken?

      Besser nicht, Ricky konnte ganz schön pampig werden, wenn sie sich in die Ecke gedrängt fühlte.

      Inge trank den Rest ihres Kaffees aus, stand auf, stellte die Tasse weg, dann verließ sie nicht nur den Raum, sondern auch das Haus.

      Ihre Gedanken drehten sich im Kreis, sie musste sie ablenken, und das konnte sie sehr gut, indem sie sich um Sophia von Bergen und deren Tochter Angela kümmerte. Sie war zwar nicht an der Reihe, als Nächste würde Alma aus dem Doktorhaus kommen, doch ein wenig Abwechslung konnte den beiden Damen nicht schaden, besonders die arme Angela musste von ihren starken Schmerzen abgelenkt werden. Die hatte es wirklich arg erwischt.

      Ehe sie die beiden Frauen besuchte, lief sie zu der am Rand der Siedlung gelegenen Gärtnerei und kaufte einen wunderschönen bunten Blumenstrauß. Wenn man den nur ansah, bekam man gute Laune, und die konnten nicht nur die zwei Damen brauchen, sie selbst hatte gute Laune bitter nötig.

      *

      Während ringsum das Leben weiterging, hatte Hilda Hellwig die aufregendste Zeit ihres Lebens. Es war so gut, dass sie die Frau Doktor an ihrer Seite hatte. Allein hätte sie das nicht geschafft.

      Es ging ja nicht darum, Leonie, die nun Claire hieß, nur eine Unterkunft zu geben, nein, es war so vieles mehr. Das Mädchen musste seelisch aufgebaut werden, sie musste alles Unangenehme von dem Mädchen fernzuhalten. Es war eine Gratwanderung, denn Claires Verfassung konnte von einem Augenblick auf den nächsten kippen. Sie war wie ein Blatt im Wind.

      Vermutlich konnte man nur annähernd ahnen, wie Claire sich fühlte. Sie war herausgerissen aus ihrem bisherigen Leben, aus ihrer heilen Welt, umringt von Kriminalbeamten, belagert von Fotografen.

      Alles machte Hilda schon Angst, wie musste es da in dem armen Mädchen aussehen!

      Hilda konnte wachsam sein, aufpassen, denn es war ein Leben am Limit. Hilda durfte nicht zulassen, dass Claire von jemandem belästigt, befragt wurde.

      Hilda beschützte Claire. Sie kaufte für sie neue Outfits. Man konnte in diesem Fall wirklich froh sein, dass es das Internet gab und man sich einkleiden konnte, ohne das Haus verlassen zu müssen.

      Natürlich gab es in dem alten Haus einen prall gefüllten Kleiderschrank, doch Claire wollte dieses Haus niemals mehr betreten, sie wollte an nichts erinnert werden, sie trauerte nicht einmal ihrem Prinzessinnenzimmer nach, auf das sie so stolz gewesen war.

      Sie hatte ihr altes Leben notgedrungen hinter sich gelassen und schwebte in einem luftleeren Raum. Irgendwo gab es zwar ein neues Leben, doch das machte ihr Angst.

      Armes, armes Mädchen. Hilda zerfloss beinahe vor lauter Mitleid.

      Ach, wenn sie Claire doch bloß etwas von ihrem Leid, von ihrer Seelenpein abnehmen könnte. Hoffentlich trug sie keine großen seelischen Schäden davon, hoffentlich war ihre leibliche Mutter eine nette Person, und Mutter und Kind fanden einen Zugang zueinander. Hoffentlich gab es das, was man immer sagte, die Stimme des Blutes oder so ähnlich.

      Auf jeden Fall war alles schrecklich!

      Welch ein Durcheinander!

      Da gab es die Bezugsperson, die Claire Mutter genannt hatte und die doch keine Mutter war. Sie hatte diese Frau geliebt. Und die hatte Claire, um ihre eigene Haut zu retten, einfach im Stich gelassen, hatte sie fallen lassen wie eine heiße Kartoffel.

      Und

Скачать книгу