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kleine Bahnstation Zergewo in Pommern, liegt etwa drei Meilen von dem Städtchen Gauben entfernt. – Aus dem Zuge, der kurz nach acht Uhr abends, von Berlin kommend, in dem Marktflecken eintraf, stieg ein älterer, in einen dunklen Pelerinenmantel gekleideter Herr aus, der mit seiner goldenen Brille, dem wenig gepflegten, grauen Vollbart und der vornüber gebeugten Haltung wie ein Dorfschulmeister aussah. Das bescheidene Männchen, das nur eine beschabte Handtasche bei sich trug, schaute sich suchend um, worauf er den Bahnsteig verließ und der Chaussee zustrebte.

      Rüstig schritt Schaper, denn niemand anders als der Detektiv war der Alte, dahin. Die Chaussee lag völlig verlassen da. Die Nacht war dunkel, der Himmel mit leichten Wolken bedeckt. Das störte den Detektiv aber nicht. Er hatte sich längst an nächtliche Einsamkeit gewöhnt.

      Die Mönchsabtei befand sich auf der anderen Seite der Stadt. Soweit hatte Schaper den Situationsplan noch von seinem ersten Besuche in Gauben her im Kopf. So bog er denn von der Chaussee auf ein abgeerntetes Roggenfeld ab und umging in großem Bogen den Ort. Nach einer guten halben Stunde war er dann an der rückwärtigen Mauer des einsamen Gehöftes angelangt.

      Schaper blieb stehen und lauschte. Jenseits der hohen Steinmauer, deren Feldsteine dicht mit einer grünen Moosschicht bedeckt waren, hatte er ein Geräusch gehört. Es klang wie das Knarren von Balken, die hin und herbewegt wurden.

      Der Detektiv stand jetzt im Schutze eines Gestrüpps von wilden Rosen, die sich zum Teil an einem verkrüppelten Birnbaum hochgerankt hatten und ihm daher vorzüglich Deckung boten. Langsam zog er seinen Pelerinenmantel aus, faltete ihn zusammen und legte ihn vor sich auf den Boden. Dasselbe tat der mit dem grauen Anzug, den er über einen anderen, etwas engeren und dunkler gefärbten gezogen hatte. Darauf entnahm er seiner Reisetasche eine erdfarbene, weiche Reisemütze und vertauschte sie gegen den schwarzen, steifen Hut. Auch die Brille wanderte als oberstes Stück auf den Kleiderhaufen. Alle übrigen Requisiten seines Handwerks trug Fritz Schaper bei sich: so die Mehrladepistole, die elektrische Taschenlampe, ein Taschenstemmeisen und ein paar feingearbeitete Nachschlüssel. – Auf seine dünnsohligen Schnürstiefel konnte er sich verlassen. Die knarrten nicht.

      Lautlos, wie ein Schatten, huschte er nun auf die Mauer zu. Da – wieder dasselbe Geräusch. Er stand eine Weile und horchte. In unregelmäßigen Zwischenräumen wiederholte sich dieses dumpfe Knarren. Bisweilen krachte es auch wie von brechendem Holz. – Es half nichts. Er mußte hinüber. – So suchte er sich denn eine bequeme Stelle aus, wo er die Mauer unschwer übersteigen konnte.

      Fünf Minuten später lag er seine acht Meter von der Prior-Kapelle entfernt in einem dichten Gebüsch und starrte unverwandt nach dem halbverfallenen Gemäuer hinüber. Ein paar Gestalten bewegten sich dort. Hin und wieder blitzte auch der Lichtschein einer Laterne auf. Dann knarrten Balken, ertönten dumpfe Schläge. Er hörte auch leise sprechen. Aber die Worte verstand er nicht. Jetzt schleppen zwei Mann eine Leiter zu der Eingangstür der Kapelle, während ein dritter ihnen leuchtete. Die Leiter wurde aufgerichtet, und einer der Männer kletterte bis zu dem spitzen, schweren Ziegeldach empor. Rasselnde, quietschende Töne. – Eine Säge, dachte Schaper. – Und dann vernahm er ein leises Kichern, etwa wie ein schadenfrohes Lachen.

      Der Detektiv hielt den Atem an. Wo hatte er nur dieses teuflische Kichern schon gehört, wo nur, wo? – Da, wieder dieses halb unterdrückte, widerliche Gelächter. Und der heimliche Lauscher sann und sann. Kein Zweifel, dem Mann dort war er bereits begegnet, und zwar hatte er dieses niederträchtige Kichern bei einem Anlaß vernommen, bei dem er beruflich tätig gewesen war.

      Da wurden Fritz Schapers Gedanken durch die Vorgänge bei der kleinen Prior-Kapelle wieder abgelenkt. Die drei Männer dort schafften jetzt die Leiter fort. Man merkte, daß sie bemüht waren, möglichst wenig Geräusch zu machen. Still schritten sie mit ihrer Last durch die Gänge des Gartens hin und lehnten die Leiter dann an die Rückwand des Hauptgebäudes, wo sie sie stehen ließen. Der Detektiv, der ihnen nachgeschlichen war, bemerkte jetzt, wie sie durch die Hintertür in das Haus schlüpften. Und gleich darauf hörte er auch das Kreischen eines Schlüssels, der zweimal im Schloß herumgedreht wurde.

      Längere Zeit umkreiste er dann noch das Haus, um festzustellen, ob etwa der dritte der Männer die Mönchsabtei wieder verließ. Aber alles blieb ruhig. Nur zwei Fenster in der ersten Etage zeigten sich erleuchtet. Diese waren jedoch mit dichten Vorhängen verschlossen, sodaß Schaper den Gedanken, einen hohen Baum des Parkes als Beobachtungsposten zu erklettern, schnell wieder fallen ließ. Die Leiter, die ihm diesen Plan erleichtert hätte, nützte ihm nichts. Sie war für einen einzelnen Menschen zu schwer, wie er schon bei seinem ersten Besuch des einsamen Gehöftes ausprobiert hatte.

      »Die Zeit ist gekommen,« dachte der einsame Lauscher und schlich im Schatten der Baumgruppe unhörbar auf die Kapelle zu. Im Eingang derselben blieb er einen Moment stehen und schaute sich um. Nichts – nichts. Still und schweigend lag der große Garten da.

      Fritz Schaper lächelte. Das war doch die Stunde der Gespenster?! Wo blieb denn nun der graue Geist, der hier sein Unwesen treiben sollte?! – Und ruhig drückte der Detektiv den Schieber seiner Taschenlampe hoch, sodaß urplötzlich ein heller Lichtkegel in den Innenraum des verwahrlosten Gotteshauses fiel. Eilig durchschritt er jetzt die Kapelle und machte erst vor der Rückwand des Sakristei-Anbaues halt. Er kannte ja die Örtlichkeit. Zum zweiten Mal befand er sich nun in dieser baufälligen Ruine. Heute wollte er sich die Entdeckung, die er schon damals in jener Nacht, nach seinem Besuch bei dem Kaufmann Wernicke, gemacht hatte, genauer ansehen. – Dort an der Rückwand erhob sich ein großer Schrank, hergestellt aus festen Eichenbrettern. Die Tür hing nur noch in einem Gelenk und lehnte mit der oberen Kante altersschwach an der Mauer. Dieser Schrank, der mit dicken eisernen Klammern wie für die Ewigkeit an der getünchten Wand befestigt war, hatte früher fraglos die Altargeräte und die Meßgewänder enthalten. Jetzt war er völlig leer. Selbst die Zwischenbretter fehlten. Nur deren Stützen waren noch vorhanden.

      Schaper faßte mit der rechten Hand in die obere hintere Ecke, und mit einem Mal bewegte sich die hölzerne Rückwand mit leisem Geräusch nach hinten und gab eine dunkle, gähnende Öffnung frei. Gebückt schlüpfte der Detektiv hinein und schob die geheime Tür wieder zu. Er befand sich jetzt in einem schmalen, gemauerten Gang, der die eine Kellertreppe steil abwärts führte. Ohne sich um die verstaubten Spinngewebe, die kreuz und quer über die enge Stiege gespannt waren, zu kümmern, eilte er die Stufen hinab, die noch recht gut erhalten waren. Am Fuße der Treppe blieb er stehen und ließ den Lichtschein seiner Laterne langsam über die einzelnen, mit Staub fingerhoch bedeckten Stufen hingleiten. Deutlich waren in dieser grauen Staubschicht eine ganze Anzahl von Fußspuren eingedrückt.

      »Aha,« brummte Schaper vor sich hin. »Dies ist also der Ort, wohin der Geist so geheimnisvoll verschwindet. – Nun, wollen sehen, ob dieses geheime Versteck uns noch mehr verrät.«

      Der Gang verlief jetzt in gerader Richtung weiter. Nach ungefähr zwanzig Meter wurde eine zweite, nur bedeutend schmälere Treppe sichtbar, die in die Höhe führte und vor einer niedrigen Tür endete, deren Verschlußmechanismus hier auf dieser Seite ganz frei lag und aus einer Anzahl eiserner Schieber, die offenbar frisch geölt waren, bestand. Der Detektiv brauchte nicht lange zu probieren. Schon öffnete sich das Türchen geräuschlos nach innen. Vorsichtiger Weise hatte der nächtliche Eindringling die Laterne vorher ausgeknipst. Atemlos lauschte er jetzt in die Finsternis hinein. Nichts regte sich. Minutenlang verharrte er in derselben Stellung. Dann erst wagte er es, Licht zu machen. Der weiße Kegel beleuchtete die getäfelte Wand eines breiten Korridors. Und einen Teil dieser Täfelung bildete die niedrige Tür zu dem verborgenen Verbindungweg nach der Prior-Kapelle.

      Schaper wußte genug. Lautlos, wie er gekommen, verschwand er wieder. Gleich darauf tauchte er im Innenraum der Kapelle auf.

      ‚Möchte nur wissen, was die drei hier zu sägen und zu hämmern hatten,‘ dachte er mißtrauisch und beleuchtete überall die Wände und auch die Decke, die von dem spitzzulaufenden Dach gebildet wurde. Wie er dann den mit Schutt und Fußbodentrümmern bestreuten Boden absuchte, fand er gerade unter einem der Fenster, deren Glasscheiben längst herausgefallen waren, ein kleines Häufchen Sägemehl. Noch vier andere solcher Häufchen des gelblichen Holzpulvers entdeckte er, und alle diese lagen gerade unter den durch Wind und Wetter völlig aus ihrer Lage verschobenen Hauptstützbalken

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