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gewesen. Ein ganzes Jahr dauerte der Prozeß, der von meinem Vormund für mich gewonnen wurde. In den Verhandlungen kamen Dinge zur Sprache, die mir bewiesen, daß Charles nichts war, als ein gewissenloser Erbschleicher, der mit Hilfe der spiritistischen Sitzungen und des von ihm bestochenem Mediums meine Mutter seinen Wünschen gefügig gemacht hatte. Leider waren seine beiden Haupthelfershelfer Timpsear und Shepperley, als sie kaum von dieser für sie so ungünstigen Wendung erfuhren, schleunigst geflohen. Sonst hätte der Staatsanwalt wohl genügend Belastungsmaterial gegen die drei Freunde zusammenbekommen, um sie unter Anklage zu stellen.

      Gleich nach diesen Vorfällen reichte ich gegen meinen Gatten, obwohl inzwischen mein unglückliches Kind geboren war, die Scheidungsklage ein. Bei dem Versöhnungstermin vor dem Richter verstand er es jedoch noch einmal, mich mit schönen Worten zu umgarnen. Flehentlich bat er mich, ich solle doch im Interesse unseres Kindes bei ihm bleiben. Ich gab schließlich nach, obwohl mein Vormund mich dringend warnte. Freilich hatte ich meinem Gatten erklärt, daß wir nie mehr zusammen, sondern nur nebeneinander leben könnten. Und so geschah es auch. Wir sahen uns nur bei den Mahlzeiten. Jeder hatte seine Zimmer, die der bewohnte.

      Da das Vermögen meiner Mutter mir zugefallen war, konnten wir, obwohl ich von beiden Erbschaften vorläufig nur die Zinsen unbeschränkt verbrauchen durfte, weil das Gericht aus Vorsicht auch über mein Muttererbteil in dieser Weise entschieden hatte, doch recht behaglich leben. Charles, der früher stets behauptet hatte, selbst begütert zu sein, ließ sich von mir völlig aushalten. Irgend eine feste Anstellung hatte er nicht. Was er eigentlich trieb, wußte ich nicht. Es war mir auch gleichgültig. – Dann merkte ich eines Tages, daß die Schokolade, die ich zum Frühstück trank, sehr sonderbar schmeckte. Argwöhnisch wie ich war, goß ich sie fort und schickte nur ein Fläschchen von dem Inhalt der Tasse einem Chemiker zur Untersuchung. Zwei Tage später hatte ich den Bescheid. Die Schokolade war stark mit Arsenik durchsetzt. Das Gift würde genügt haben, ein Menschen zu töten.

      Durch Befragen der mir treu ergebenen Köchin erfuhr ich, daß mein Gatte sich damals in der Küche etwas zu schaffen gemacht hatte, als bereits die Tasse Schokolade für mich auf dem Tablett stand. – Dies genügte mir. Kurz erschlossen schrieb ich ihm einen Brief, indem ich ihm den Vorschlag machte, er solle für immer ins Ausland gehen. In diesem Falle würde ich ihm zur Begründung einer Existenz 50 000 Mark in bar auszahlen. Sollte er sich dagegen weigern, so könne er gewiß sein, daß ich abermals auf Scheidung unserer Ehe dringen würde, die ich jetzt infolge neuen Belastungsmaterials gegen ihn ohne weiteres auch erreichen würde. Inzwischen war ich mit meinem Kinde – aus Angst vor weiteren Nachstellungen, zu einer Freundin gezogen. – Umgehend traf seine Antwort ein: Er war mit allem einverstanden. – Im Büro meines Vormundes wurde dann eine Urkunde aufgesetzt, in der mein Mann sich gegen Zahlung der genannten Summe verpflichtete, nie mehr nach Deutschland zurückzukehren und außerdem auf die Erbschaft nach meinem Tode verzichtete. Letzteres zu unterzeichnen sträubte er sich sehr lange. Aber mein Vormund bestand darauf – wohl in meinem Interesse, damit mein Leben nicht weiter von diesem Menschen, der beinahe zum Giftmörder geworden war, aus habsüchtigen Motiven bedroht sein sollte.

      Wenn Sie, lieber Freund, für den ich diese mich teilweise so tief demütigende Geschichte niederschreibe, mich nun fragen – und das liegt ja so sehr nahe, weshalb ich mich von meinem Gatten unter diesen Umständen nicht scheiden ließ, so antworte ich ehrlich: lediglich meines Kindes wegen! – In dem Prozeß hätte die vergiftete Schokolade fraglos eine große Rolle gespielt. Alle Welt hätte erfahren, welch ein verworfener Charakter der Vater meines kleinen Richard war, dieser Vater, der des versuchten Giftmordes wegen unfehlbar für lange Jahre ins Zuchthaus gewandert wäre. Und das alles wollte ich dem unschuldigen Kinde ersparen. Es sollte sich später seines Namens nicht zu schämen brauchen, nicht den Schimpf mit sich herumschleppen, daß der, dem es sein Leben verdankte, für alle Zeit gebrandmarkt sei. – Freilich, wenn ich damals schon gewußt hätte, wie es um die geistigen Fähigkeiten meines Kindes stand, eben daß es niemals auch nur Durchschnitzintelligenz besitzen würde, dann – dann – – Doch das ist nun zu spät.

      Mein Mann verließ Europa. Vier Jahre lang hörte ich nichts von ihm, nichts. Und dann kam jener Vormittag, an dem wir beide auf dem Bootsstege standen und nach der gescheiterten Brigg hinüberschauten, an dem Sie mich plötzlich stützen mußten, da eine Anwandlung von Schwäche mich befiehl. Sie ahnten nicht, aus welchem Grunde mir plötzlich die Sinne zu schwinden drohten.

      Der, den das Boot der Fischer als einzigen Geretteten an das Land brachte, war er – er.

      Auch er muß mich erkannt haben. Ich sah das Erschrecken in seinen Mienen, sah, wie er sich bückte, sein Gesicht zu verbergen suchte. Und das Boot machte kehrt, ruderte zum Schiffe zurück. Er wollte mir also ausweichen.

      Die Vergangenheit war lebendig geworden. Und vor dieser Vergangenheit flüchtete ich noch an demselben Tage nach München zurück.

      Der, den ich meinen Gatten nennen muß, hat bis jetzt nichts von sich hören lassen. Ich fürchtete, daß er mir schreiben, vielleicht selbst zu mir kommen würde. Tage sind seitdem vergangen. Ich wage aufzuatmen.

      Das ist meine Liebesgeschichte. Die letzten Absätze habe ich erst soeben hinzugefügt. Nun wissen Sie alles.«

      Langsam faltete Fritz Schaper die Briefbogen zusammen und schob sie in den Umschlag zurück.

      »Armes Weib,« sagte er leise, als er den Brief Heinz Gerster dann zurückreichte. »Ihr hat der richtige Berater gefehlt. Längst – längst hätte sie sich von diesem Schurken freimachen müssen. Allerdings auch ihre Furcht vor einem öffentlichen Skandal, den dieser Ehescheidungsprozeß sicher heraufbeschworen hätte, ist verständlich.«

      Der junge Schriftsteller nickte traurig vor sich hin.

      »Wenn sie sich mir nur früher anvertraut haben würde,« meinte er aufseufzend.

      Schaper streckte ihm tröstend die Hand hin. »Lieber Gerster, daß die Frau es nicht tat, geschah doch nur deswegen, weil sie fürchtete, daß ein gewisser Jemand mit der Gattin eines solchen hartgesottenen Verbrechers nichts mehr gemein haben wolle. Die Frau liebt Sie. Und sie wollte sich wenigstens Ihre Freundschaft erhalten –«

      »Welche Torheit, welche Kurzsichtigkeit,« murmelte der andere wehmütig. »Ich würde sie heiraten, und wenn ihr Mann ein Mörder wäre –«

      »Vielleicht ist er’s auch,« sagte Schaper ernst.

      8. Kapitel

       Der erste Verdacht

       Inhaltsverzeichnis

      Der Zug brauste mit schwindelerregender Eile durch die schnell hereinbrechende Nacht.

      Der Detektiv hatte wohl eine Viertelstunde fast regungslos dagesessen und sich die Sachlage überlegt. Immer wieder dachte er an die beiden Namen, die auch in seinem Leben bereits eine gewisse Rolle gespielt hatten und die nun hier sich ihm wieder aufdrängten: Doktor Timpsear und Thomas Shepperley! Jede Einzelheit jenes Dramas, das die Zeitungen damals unter dem Sensationstitel: »Die Mumie der Königin Semenostris« besprochen hatten, tauchte in seiner Erinnerung wieder auf. Nun, jedenfalls warf es kein besonders günstiges Licht auf Charles Deprouval, daß er diese beiden Männer offenbar schon seit längerer Zeit gekannt hatte.

      Immer fester bissen sich Fritz Schapers Gedanken, diese an scharfsinniges Kombinieren so sehr gewöhnten Gedanken, in der Materie seines neuesten Falles, Albert Wendel fest. Und hin und wieder schweifte auch sein Denken ab zu jener geheimnisvollen Geschichte, die Heinz Gerster ihm von dem geretteten Passagier der Brigg »Karola« erzählt hatte, von dessen unauffälligem Verschwinden aus dem holsteinischen Fischerdorfe, das darauf hindeutete, daß der Mann kein ganz reines Gewissen haben konnte. Und dann besann er sich auch auf die Einzelheiten, die der Oberingenieur Pareawitt ihm von der Testamentserrichtung des Millionenbesitzers berichtet hatte. Da war ja jener schurkische Buchhalter als Zeuge zugegen gewesen, der nachher versucht hatte, Vermögenswerte der Erbschaftsmasse beiseite zu schaffen und später entflohen war. Dies alles hatte sich in Südafrika zugetragen, und die »Karola« , die gescheiterte Brigg, war doch, wie der

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