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      * * *

      Heinz Gerster griff nach den anderen Blättern, die die Liebesgeschichte dieser vom Schicksal so hart bedrängten Frau enthielten. Aber Fritz Schaper unterbrach ihn jetzt mit einer Bemerkung, die er nicht unterdrücken konnte.

      »Wie merkwürdig doch der Zufall spielt,« sagte er zufrieden lächelnd. »Dieses eine Wort, lieber Gerster, – dieses absichtslos in den Brief eingestreute … »Berlin« wird und muß uns auf die Fährte beider Damen führen – ich betone: beider Damen! – Hören Sie jetzt meinen Vorschlag. Das, was Frau Deprouval über ihren Lebensweg berichtet, kann ich nachher im Zuge lesen. Wir wollen keine Minute unbenutzt verstreichen lassen, nachdem wir jetzt wissen, wo wir mit unseren weiteren Nachforschungen mit Aussicht auf baldigen Erfolg beginnen können. Ich habe mir zu 4 Uhr meinen Angestellten, der noch auf dem Bahnhof nach Charlotte Wendel Erkundigungen einziehen sollte, in den Wartesaal zweiter Klasse zur Berichterstattung bestellt. Um 5 Uhr geht der Luxuszug nach Berlin ab. Wie wär’s, wenn wir den benutzen? – Denn jetzt hier in München noch Frau Deprouval suchen, – das könnte uns eine Woche und mehr aufhalten. Sicherer ist, wir sehen zu, Fräulein Wendel zu finden. Haben wir die erst, haben wir auch die andere, da sie doch fraglos in Verbindung miteinander bleiben. Außerdem sage ich Ihnen auch ganz offen: Meine Pflicht ruft mich nach der Reichshauptstadt. – Ich witterte, wie ich schon erwähnte, ein Komplott zum Schaden der jungen Erbin. Die Sache muß ich erst klarstellen. – Nun, wie denken Sie darüber, lieber Gerster?«

      »Einverstanden,« meinte der Schriftsteller seufzend. »Ohne Ihre Hilfe vermag ich ja doch nichts auszurichten.«

      7. Kapitel

       Die Leidensgeschichte einer Frau

       Inhaltsverzeichnis

      Der Angestellte des Detektivinstituts hatte über Charlotte Wendel nichts in Erfahrung bringen können. Auf Gersters Bitten hin ließ Schaper jedoch seine Hilfskraft noch vorläufig in der Isarstadt, damit der äußerst gewandte Mensch hier ebenfalls Erkundigungen nach dem Verbleib Frau Deprouvals einziehen könne.

      Der Luxuszug, den die beiden Herren benutzten, war, wenigstens was die Rauchabteile anbetraf, nur wenig besetzt. Schaper, der sozusagen auf der Eisenbahn zu Hause war, da sein Beruf ihn ständig von einem Ort zum andern hetzte, hatte dem Schaffner durch ein Trinkgeld einen deutlichen Wink gegeben, daß sie gern in ihrem Abteil allein bleiben möchten. Während der Schriftsteller dann die neuesten Zeitungen durchblätterte, las der Detektiv die engbeschriebenen Seiten, auf denen die Liebesgeschichte eines armen Weibes verzeichnet stand.

      Meine Geburtsstadt ist Hamburg. Dort betrieb mein Vater Ferdinand Tomsen ein gutgehendes Kaffee-Engrosgeschäft. Meine Eltern, deren einziges Kind ich blieb, ließen mir eine vorzügliche Erziehung zuteil werden, obwohl sie es mit mir bei meinem etwas eigenwilligen Charakter nicht ganz leicht hatte. Als ich gerade sechzehn Jahre geworden war, starb mein Vater. Meine Mutter, eine stille, feine Frau, die sich viel literarisch beschäftigte, verkaufte die Firma und zog mit mir in einen Meerort hinaus. Unser kleines Heim war bald der Mittelpunkt eines Kreises von Künstlern und Gelehrten, die zum größten Teil begeisterte Anhänger des Spiritismus – geradeso wie auch meine Mutter – waren. Jede Woche fanden in unserem Salon mit Hilfe eines wirklichen Mediums, das später als Betrügerin entlarvt wurde, spiritistische Sitzungen statt. Meine Mutter wurde durch diese Sitzungen, in denen unter anderem auch der Geist meines Vaters des öfteren erschienen sein soll, derart nervös und reizbar, daß ich sie flehentlich bat, ihre Verbindung mit den Spiritistenkreisen abzubrechen. Doch sie war bereits so tief in die Rätsel dieser mit übernatürlichen Dingen sich beschäftigenden Glaubenslehre verstrickt, daß sie auf meine gutgemeinten Ermahnungen nicht mehr hörte.

      Zu den Gästen, die ständig in unserem Hause verkehrten, gehörte nun ein junger Amerikaner, der sich angeblich zur Erlernung der deutschen Sprache und Gewerbebetriebe in Hamburg aufhielt. Charles Deprouval entstammte einer in 18. Jahrhundert nach den Vereinigten Staaten ausgewanderten französischen Familie. Seine Manieren, sein einschmeichelndes Wesen, nicht minder sein anziehendes Äußeres verschafften ihm überall Eingang in die besten Kreise der sonst sehr zurückhaltenden Hamburger Gesellschaft. Auch Deprouval war Spiritist, aber wohl kaum aus Überzeugung. Mich, das damals siebzehnjährige Mädchen, behandelte er mit einer achtungsvollen Herzlichkeit, die mir wohltat, da ich fast gar keine Freundinnen besaß. Bald merkte ich, daß sein Interesse für meine Person nicht so ganz harmlos war, daß er … als Bewerber um meine Hand auftrat. Mir, dem unerfahrenen, halben Kinde schmeichelten diese Huldigungen eines Mannes, den die Frauen allerlei Freiheiten gestatteten und der doch achtlos an ihnen vorüberzugehen schien. Eines Morgens – es war nach einer am Abend vorher abgehaltenen spiritistischen Sitzung – sagte mir meine Mutter, daß mein Vater ihr durch das Medium habe raten lassen, sie solle Charles Deprouvals Bewerbung um meine Hand unterstützen. Diese Erklärung des geliebten Toten war ausschlaggebend. Obwohl ich in des jungen Amerikaners Nähe stets ein gewisses Gefühl ängstlicher Scheu empfand, verlobte ich mich dennoch mit ihm. Jetzt, als seine Braut verlangte ich zu den spiritistischen Sitzungen sofort zugelassen zu werden. Ich wollte mir eben persönlich ein Urteil über die Phänomene, die sich in den Sitzungen zeigten, bilden. Doch mein Bräutigam schlug mir meine Bitte rundweg ab. Ich sei noch zu jung, meinte er. Und dabei blieb es.

      Mein achtzehnter Geburtstag war auch mein Hochzeitstag. Wir bezogen eine Wohnung gegenüber der Villa meiner Mutter und – hatten dann schon am dritten Tage unserer Ehe den ersten heftigen Streit miteinander. Mein Vater war nämlich so vorsichtig gewesen, mir über mein Erbteil im Betrage von 150 000 Mark erst vom vollendeten 21. Jahre ab die freie Verfügung zu gewähren. Diese Bestimmung stand in seinem Testament. Und daran war nicht zu rütteln. Nur die Zinsen konnte ich nach Gutdünken verbrauchen. Mein Gatte, der hiervon keine Ahnung besaß und in dem Glauben gelebt hatte, daß das Vermögen mir unbeschränkt gehöre, machte mir eine furchtbare Szene, als ich ihm die Wahrheit mitteilte, die ihm nur durch einen Zufall bisher verborgen geblieben war. Er verlangte dann von mir, ich solle in Hinblick auf die später mir frei zur Verfügung stehende Summe ein Darlehn von 30 000 Mark aufnehmen, da er sich an einem überseeischen Geschäft finanziell zu beteiligen wünsche. Um des lieben Friedens willen erklärte ich mich einverstanden. Aber mein Vormund, ein Hamburger Justizrat, der zufällig von meiner Absicht hörte, widersprach und die Sache zerschlug sich. Seitdem hatte ich wahre Höllentage durchzumachen. Bereits nach einem Monat waren mir hinsichtlich des wahren Charakters meines Gatten alle Illusionen geschwunden. Einzelheiten will ich verschweigen. Dabei war Charles ein so schlauer Heuchler, daß er mich in Gegenwart dritter stets mit größter Zärtlichkeit behandelte und so den Eindruck hervorrief, als ob unsere Ehe durch kein Wölkchen getrübt sei.

      Zu meines Gatten engsten Freunden gehörten zwei Amerikaner, die ich von vornherein mit starkem Mißtrauen betrachtete. Es waren dies ein gewisser Doktor Timpsear und der angebliche Weltreisende Thomas Shepperley. Welcher Art die Beziehungen waren, die diese drei Männer verbanden, vermochte ich zunächst nicht festzustellen. Jedenfalls wurden Timpsear und Shepperley dann sehr bald in den Spiritistenkreis eingeführt. Und nun begann die Zeit, an die ich nur mit Schaudern zurückdenken kann.

      Auf Dr. Timpsears Veranlassung wurden die Sitzungen im Hause meiner Mutter, jetzt dreimal wöchentlich, abgehalten. Diese, die ohnehin mit ihren Nerven dicht vor dem völligen Zusammenbruche stand, war infolge der ständigen Aufregungen, die die Geistererscheinungen verursachten, bald dem Irsinn nahe. Umsonst flehte ich meinen Gatten an, Rücksicht auf meine Mutter zu nehmen. Mit heuchlerischen Worten suchte er mir klarzumachen, daß er keinen Einfluß auf sie besitze. Dies war eine direkte Lüge. Mich hatte er freilich mit der Zeit völlig aus ihrem Herzen verdrängt, dafür aber selbst eine Macht über sie erlangt, die man geradezu dämonisch nennen kann.

      Dann kam der Schreckenstag. Urplötzlich brach bei meiner Mutter der Wahnsinn aus. In diesem Zustande nahm sie Gift, nachdem sie einen Brief geschrieben hatte, der nur die Worte enthielt: »Ich tue es, um mit ihm, der sich so nach mir sehnt, dauernd vereint zu sein.« – Nach dem Begräbnis fand die Eröffnung des Testamentes der unglücklichen Frau statt. Es war ein sogenanntes eigenhändiges Testament, und es besagte, daß ich auf das Pflichtteil gesetzt und mein Gatte der

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