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von welchem diese Zeichen ihre Variation entlehnt haben, hat sich anscheinend tatsächlich vorgefunden. Bei der letzten Restaurierung wurde hinter einem Baldachine eines Ostchorstrebepfeilers ein kleines Erzschild entdeckt, welches ursprünglich wohl an der Galerie über dem Hauptgesimse befestigt war und beim Abbruch derselben (1561) heruntergefallen und an diesen verborgenen Platz gelangt ist. Das Schild (Abb. 26), welches heute im Ostchor an der südlichen Wand angebracht ist, zeigt im Inneren einen nach unten offenen rechten Winkel mit darin befindlichem senkrecht gestelltem Kreuz und hat den Stilcharakter der Erbauungszeit des Chores. Dieses Zeichen kann nach den gegebenen Umständen wohl als das Zeichen des Baumeisters angesprochen werden.

      Abb. 26. Meisterzeichen (Ostchor).

      Trotz sorgfältiger, mühsamer Untersuchung des Baues der Gmünder Heiligkreuzkirche, soweit derselbe eben für diesen Zweck zugänglich war, konnte das Meisterzeichen von St. Sebald dort nicht gefunden werden. Es ist auch dieser Umstand für die weitere Beweisführung nicht von besonderem Belang, denn einerseits steht dadurch keineswegs fest, daß das Zeichen dort überhaupt nicht vorkommt, und andererseits ist es doch mehr als selbstverständlich, daß an dem Bau, welcher die meisten Anregungen für die Gestaltung des Ostchores von St. Sebald geboten hat, ja überhaupt die unerläßliche Vorbedingung für die Existenz des Nürnberger Hallenbaues war und an welchem die Schüler des Erbauers des letzteren gearbeitet haben, auch der Meister selbst tätig gewesen sein muß.

      Es liegt somit nahe, in dem Baumeister von St. Sebald einen Angehörigen der Familie jenes Heinrich Parler, des Erbauers der Gmünder Kirche, zu vermuten.

      Soweit wir die Familie Parler zurückverfolgen können — die Kunstwissenschaft hat sich seit längeren Jahren viel mit ihr beschäftigt —, wird die erste uns bekannte Generation durch Heinrich Parler vertreten, welcher, aus Köln gebürtig, etwa im dritten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts wahrscheinlich infolge einer Berufung nach Schwäbisch-Gmünd eingewandert ist, um den Bau der dortigen Heiligkreuzkirche zu leiten.[38] Von seinen Söhnen kommen für uns zwei in Betracht, nämlich Peter und Heinrich. Peter Parler, 1330 geboren[39], erhielt 1353 als junger, erst 23jähriger Mann von Kaiser Karl IV. einen Ruf nach Prag zur Übernahme der Vollendung des seit dem 1352 erfolgten Tode des Matthias von Arras unterbrochenen Dombaues. Peter Parler entfaltete in Prag nicht nur, sondern auch in ganz Böhmen eine umfassende Tätigkeit, baute die Barbarakirche in Kuttenberg, die Bartholomäuskirche in Kolin u. a. m. Von seinem Bruder Heinrich Parler dagegen wissen wir nur aus den Wochenrechnungen des Prager Dombaues, daß er im Jahre 1378 dort gearbeitet hat. Außerdem wird von verschiedenen Forschern mit ihm jener Heinrich von Gmünd als identisch bezeichnet, welcher in den Jahren 1381, 1384 und 1387 als Baumeister des Markgrafen Jodok von Mähren in Brünn tätig war, ja sogar ein Enrico da Gamodia, vom 11. Dezember 1391 bis zum 29. Mai 1392 in Mailand am Dombau beschäftigt, wird auf Heinrich, den Bruder des Peter Parler, bezogen.

      Wir bemühen uns vorerst nicht, die Identität des Heinrich Parler, der 1378 in Prag gearbeitet hat, mit den anderen, Heinrich von Gmünd genannten Personen nachzuweisen, sondern uns interessiert vielmehr zunächst zu wissen, worin denn die Tätigkeit des jüngeren Heinrich Parler in den Jahren vor 1378 bestanden hat. Man wird natürlich annehmen, daß Heinrich nicht nur im Jahre 1378, sondern auch in der Zeit vorher am Prager Dombau beschäftigt war, zu welchem Zwecke er wahrscheinlich 1353 mit seinem Bruder oder doch bald nach der Berufung desselben Schwäbisch-Gmünd verlassen hat. Allein warum werden in den Prager Dombaurechnungen, welche die Jahre 1372 bis 1378 umfassen, neben dem Meister Peter Parler alle Steinmetzen und sonstigen Handwerker, welche am Dom gearbeitet haben, aufgeführt, nur, abgesehen vom Jahre 1378, dieser Heinrich Parler nicht? Weil er, wie wir vermuten, vor 1378 überhaupt nicht in Prag war, sondern — in Nürnberg den Bau des Ostchores von St. Sebald geleitet hat.

      Und in der Tat, der Zufall hat es gewollt, daß in den Verzeichnissen Nürnberger Künstler des 14. Jahrhunderts auch der Name eines Heinrich Parler aus Böhmen der Nachwelt überliefert ist. Im Jahre 1363 wurde einem Heinrich Beheim Balier zu Nürnberg das Bürger- und Meisterrecht verliehen und in den folgenden Jahren wird er noch verschiedentlich genannt.[40] Es fragt sich nun, ob dieser Heinrich Beheim Balier wirklich kein anderer als der vor 1378 in Prag nicht auffindbare Heinrich Parler ist.

      Wir glauben, daß daran kaum zu zweifeln ist. Zunächst jedoch wird man den Einwand erheben, daß beide schon deswegen nicht identisch sein können, weil der Prager Heinrich Parler in den Dombaurechnungen bereits am 19. September und am 3. Oktober 1378 erwähnt wird, während die Einweihung des Ostchores von St. Sebald erst am Sonntag nach Bartholomäi 1379 stattfand. Kann mit diesem Einwand an und für sich gar nicht bestritten werden, daß Heinrich Parler im Jahre 1379 wieder nach Nürnberg gezogen wäre, um an der Einweihungsfeier teilzunehmen — wir wissen, daß im Mittelalter Baumeister sowohl wie Steinmetze ihre Arbeitsstätten häufig wechselten —, so ist weiterhin zu betonen, daß die Anwesenheit des Baumeisters bei der Einweihung seines Werkes keineswegs erforderlich war. Der Ostchor von St. Sebald war als Bauwerk, wie wir oben gesehen haben, bereits 1372 in der Hauptsache vollendet; was die Einweihung hinausschob, war jedenfalls nur die noch zu leistende Fertigstellung oder Stiftung von Glasmalereien, Paramenten, Kirchengeräten usw. Der Baumeister hatte somit im Jahre 1372 oder bald nachher seinen Auftrag erledigt, er konnte jetzt andere Arbeiten übernehmen, und zwar, wie wir vermuten, in Schwäbisch-Gmünd und Eßlingen, kam vor oder in dem Jahre 1378 wieder nach Nürnberg und wird dann noch in demselben Jahre wieder zu seinem Bruder nach Prag gewandert sein, um sich dort an der Weiterführung des Dombaues zu beteiligen.

      Man könnte weiterhin auffällig finden, daß der urkundlich in den Prager Dombaurechnungen erwähnte Heinrich Parler hier Heinrich Beheim Balier genannt wird. Die verschiedene Form des Wortes oder Namens Parler darf indessen keinen Anstoß erregen, denn es ist zur Genüge bekannt, daß im 14. Jahrhundert die Schreibweise der Familiennamen noch keineswegs fixiert, sondern ganz bedeutenden Schwankungen unterworfen war, so daß der Name Parler ebensogut durch Parlier, Parlierer, Palier, Balier ersetzt werden konnte. Aber auffällig erscheint der Zusatz Beheim. Beheim heißt nichts anderes als Böhmen und bezeichnet, als Beiname eines Personennamens gebraucht, die Herkunft der betreffenden Person. Unser Heinrich Balier wird demnach ausdrücklich als aus Böhmen kommend aufgeführt. Doch werden diese lokalen Beinamen nicht immer angewendet, in vielen Fällen nur zur Unterscheidung von anderen Personen gleichen Namens oder zur besonderen Hervorhebung. Es kann also, da zur Führung eines solchen Beinamens für den Träger von vornherein keine Verpflichtung bestand, dieselbe Person anderwärts ohne solche lokale Bezeichnung begegnen, und es dürfte somit mehr als wahrscheinlich sein, daß Heinrich Beheim Balier in Nürnberg so bezeichnet wurde, weil er zu der Zeit, als ihm der Bau des neuen Ostchores von St. Sebald übertragen wurde, aus Böhmen kam.[41] Heinrich Parler scheint nach der Mitte der fünfziger Jahre nach Prag gezogen zu sein, um bei seinem Bruder, Peter Parler, am Dombau und anderen Bauten Böhmens mitzuwirken. Und von Böhmen aus wird man ihn, vielleicht durch Vermittlung Kaiser Karls IV., unter dessen Protektion ja die Nürnberger Frauenkirche in den Jahren 1355–1361 erbaut wurde, nach Nürnberg berufen haben. Als Heinrich Parler in den siebziger Jahren wieder nach Böhmen und Prag zurückkehrte, war die Führung des Beinamens Beheim, welche in Nürnberg gerechtfertigt schien, gegenstandslos geworden, und so erscheint der Bruder des Prager Dombaumeisters in den dortigen Wochenrechnungen nur mehr als Henricus Parlerius.

      Die Identität zwischen dem Nürnberger Heinrich Beheim Balier und dem Prager Heinrich Parler scheint keinem Zweifel mehr zu unterliegen, der Erbauer des Ostchores von St. Sebald ist somit ein Bruder des berühmten Prager Dombaumeisters Peter Parler und ein Sohn des Meisters der Heiligkreuzkirche in Gmünd, Heinrich Parler.

      Wohl aber möchten wir Bedenken tragen, jenen Meister Heinrich von Gmünd, welcher in den Jahren 1381, 1384 und 1387 urkundlich als Baumeister des Markgrafen Jodok von Mähren in Brünn erwähnt wird, mit unserem Heinrich Parler zu identifizieren. Ein Beweis für stilistische Übereinstimmung der Werke der beiden Meister ist in der Kunstwissenschaft nicht erbracht worden. Aber abgesehen hiervon, schon die Verschiedenheit der beiden Namen läßt uns auf Verschiedenheit der Personen schließen; niemals findet sich bei Heinrich Parler

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