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streckte beide Arme nach ihm aus. »Stefan. Gott sei Dank.« Und dann begann sie plötzlich zu weinen. Ihr schmerzendes Fußgelenk, die Wehen, die in immer kürzeren Abständen kamen, und die Gewißheit, daß sie völlig allein war, hatten ihr die letzten Nerven geraubt.

      Tröstend nahm Stefan die junge Frau in die Arme. »Ist ja gut, Steffi. Ich bin bei dir.« Dann sah er ihr prüfend ins Gesicht. »Was ist passiert? Hast du dich verletzt?«

      »Ich bin…« Stefanie schaffte es nicht, den Satz zu beenden, weil sie schon wieder vom Wehenschmerz überfallen wurde.

      »Ach, du liebe Zeit«, entfuhr es Stefan. »Seit wann hast du Wehen?«

      »Ich weiß es nicht«, schluchzte Stefanie, als der Schmerz wieder verebbt war. »Ich liege schon eine halbe Ewigkeit hier und habe inzwischen jedes Zeitgefühl verloren. Ich weiß nur, daß sie in immer kürzeren Abständen kommen.«

      Das bemerkte auch Stefan, denn kaum hatte die junge Frau ausgesprochen, da kam schon wieder eine Wehe.

      »Wir müssen sofort in die Klinik«, erklärte er.

      »Ich kann nicht!« Stefanies Stimme klang jetzt fast hysterisch. »Mein Fußgelenk… ich bin gestürzt und kann nicht aufstehen…«

      Sekundenlang schloß Stefan die Augen. Wie sollte er mit dieser Situation fertigwerden? Er war zwar Arzt, aber über Geburtshilfe im Wald hatte er in seiner Ausbildung nichts gelernt.

      »Warte eine Minute, Steffi, ich bin gleich wieder bei dir«, erklärte er, doch Stefanie hielt ihn krampfhaft fest.

      »Nein! Ich will nicht mehr allein sein. Wenn mein Baby kommt…«

      »Steffi, du kannst nicht im Wald entbinden«, entgegnete Stefan eindringlich. »Ich muß dich in die Klinik bringen. Es dauert nur eine Minute, dann bin ich wieder bei dir.«

      Stefan sprang auf und eilte zu der Bank, auf der Egon Reiser saß.

      »Herr Reiser, können Sie zur Klinik gehen?« fragte er hastig.

      Der alte Mann warf einen Blick zurück. »Ich… ich weiß es nicht. So ganz ohne Hilfe…«

      »Herr Reiser, Sie müssen es schaffen«, fiel Stefan ihm ins Wort und gab seiner Stimme dabei einen drängenden Unterton. »Da drüben liegt eine junge Frau, die sich das Fußgelenk verstaucht, vielleicht sogar gebrochen hat. Und innerhalb der nächsten Stunde wird sie ihr erstes Baby zur Welt bringen. Herr Reiser, ich flehe Sie an…«

      Mehr brauchte Stefan nicht zu sagen. Entschlossen stand der alte Mann auf.

      »Ich werde Hilfe holen«, versprach er feierlich. »Ich werde den Weg zur Klinik bewältigen – notfalls auf allen vieren.«

      Stefan atmete auf. »Gut, Herr Reiser. Hören Sie zu: Es reicht, wenn zwei Pfleger mit einer Trage kommen. Aber die sollen sich um Himmels willen beeilen.«

      Egon Reiser nickte ernsthaft, dann machte er sich auf den Weg – so langsam und vorsichtig, daß Stefan dabei angst und bange wurde. Natürlich hätte er selbst rasch zur Klinik laufen können, aber für den Weg hin und zurück hätte auch er mindestens eine Viertelstunde gebraucht, und Stefanies psychische Verfassung ließ es nicht zu, daß er sie so lange allein ließ.

      »Siehst du, Steffi, ich bin schon wieder hier«, erklärte er, während er neben ihr niederkniete. »Ein Patient, den ich hierhergebracht habe, ist unterwegs zur Klinik. Wir werden bald Hilfe bekommen.« Er dachte an Egon Reisers Gehbehinderung. »Sicherheitshalber sollten wir uns aber trotzdem darauf einstellen, daß du dein Baby hier bekommen mußt.«

      Stefanie erschrak. »Aber… das geht doch nicht!«

      »Natürlich geht das«, meinte Stefan beruhigend. »Es kann sich ja nur um ein paar Minuten handeln, bis zwei Pfleger kommen, die dich in die Klinik tragen können. Aber ich weiß ja nicht, wie eilig es dein Baby wirklich hat.« Er seufzte. »Ich bin hier allerdings alles andere als entsprechend eingerichtet.«

      »Stefan…«, begann die junge Frau, doch die nächste Wehe hielt sie davon ab weiterzusprechen.

      Und Stefan bemerkte mit Entsetzen, daß Stefanie einem Impuls nachgab und zu pressen begann.

      »O nein, bitte nicht«, flehte er leise, dann lief er die wenigen Meter zum Waldsee und wusch sich in dem eisig kalten, glasklaren Wasser die Hände.

      »Nicht erschrecken, Steffi«, bat er, als er wieder zurückkehrte. »Meine Hände sind jetzt eiskalt, aber ich muß dich untersuchen.«

      Der Schweiß brach Stefan aus, als er die Öffnung des Muttermundes kontrollierte. Er war zehn Zentimeter offen, und das bedeutete, daß Stefanie unmittelbar vor der Austreibungsphase stand. Das Baby konnte jetzt innerhalb weniger Minuten geboren werden!

      »Okay, Steffi«, erklärte er mit plötzlicher Bestimmtheit. Die Gedankenlosigkeit der letzten Tage, ausgelöst durch Rabeas verändertes Verhalten, war wie weggewischt. »Wir werden es schon schaffen.«

      Er zog der jungen Frau den Slip, den er vorhin nur ein Stück heruntergestreift hatte, ganz aus, dann schlüpfte er aus seinem weißen Kittel und breitete ihn, so gut es ging, unter Stefanies Gesäß aus. Er war gerade damit fertig, als die nächste Wehe kam.

      »Kinn auf die Brust und pressen!« kommandierte Stefan. »Komm schon, Steffi, dein Ba-

      by will heraus. Pressen, Steffi,

      fest!«

      »Aber… hier…«, keuchte sie, als die Wehe wieder verebbte.

      »Egal« entgegnete Stefan. »Wir können nicht warten, bis jemand kommt. Du hast Preßwehen, und ich kann nicht überprüfen, ob es deinem Kind gutgeht. Also mußt du es zur Welt bringen – hier und jetzt. Wenn wir abwarten, gehen wir nur ein unnötiges Risiko ein.«

      Stefanie schaffte es nicht mehr, darauf zu antworten, denn die nächste Wehe überfiel sie mit einer bisher nie dagewesenen Heftigkeit. Sie schrie auf vor Schmerz.

      »Nicht schreien, pressen!« kommandierte Stefan. »Na los! Streng dich an, Steffi!«

      »Ich kann nicht mehr!« weinte sie. »Es tut so weh! Und ich habe Angst!«

      Da nahm Stefan ihre rechte Hand und legte sie zwischen ihre Beine.

      »Spürst du das, Steffi!« fragte er, ließ ihr aber keine Zeit für eine Antwort. »Das ist der Kopf deines Kindes.«

      Diese Berührung und Stefans wenige Worte wirkten Wunder. Stefanies momentane Schwäche war auf einmal wie weggeblasen. Und als die nächste Wehe kam, preßte sie mit einer Kraft, als würde die Geburt gerade erst beginnen.

      Und dann hörte sie auch schon ein quäkendes Stimmchen. Im nächsten Moment legte Stefan ihr ein warmes, feuchtes Baby auf den Bauch, dann riß er sein Hemd herunter und deckte das Neugeborene fürsorglich zu.

      »Herzlichen Glückwunsch, Steffi«, füsterte er.

      Die junge Frau lachte und weinte zugleich vor Glück. Alle Angst, die sie vorher ausgestanden hatte, und auch die zum Teil fast unerträglichen Schmerzen waren verges-

      sen. Mit zärtlicher Hingabe streichelte und liebkoste sie ihr

      Kind.

      »Hallo! Wo sind Sie?« erklang in diesem Moment eine männliche Stimme.

      Stefan sprang auf und lief den beiden Pflegern entgegen.

      »Sie kommen gerade rechtzeitig«, meinte er. »Die Frau muß schnellstens in die Klinik.«

      »Meine Güte, die hat ja schon…«, entfuhr es einem der beiden Männer.

      »Ein Grund mehr, daß wir uns beeilen«, meinte Stefan. »Und geben Sie acht auf ihren rechten Fuß. Das Gelenk könnte gebrochen sein.«

      Vorsichtig wurden Stefanie und ihr Baby auf die Trage gehoben und zugedeckt, dann ging es so schnell wie möglich zur Klinik zurück.

      Hier warteten bereits Dr. Metzler, Dr. Scheibler und die Gynäkolo-

      gin

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