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Manon lachend. »Einbildung ist ein Fremdwort für dich. So, und jetzt setz dich endlich, in fünf Minuten können wir essen.«

      »Was gibt’s denn Feines?«

      »Leider nur Pizza.«

      »Was heißt hier ›nur‹?« protestierte Dr. Daniel. »Ich liebe Piz-za.«

      Manon lächelte. »Dann ist es ja gut. Eigentlich hatte ich Lasagne verdi geplant, aber die Sprechstunde dauerte wieder mal so lange, daß ich es zeitlich einfach nicht mehr einrichten konnte.«

      »Das macht überhaupt nichts. Deine Pizzen sind erstklassig, Manon.«

      »Danke für das Kompliment.« Sie wurde wieder ernst. »Weißt du, meine Schwiegermutter konnte mich nie besonders gut leiden, aber zumindest in die Geheimnisse der italienischen Küche hat sie mich eingeweiht. Allerdings wohl nur aus dem Grund, damit sie nicht befürchten mußte, Angelo könnte bei mir vielleicht verhungern.«

      Die Erwähnung ihres verstorbenen Mannes zauberte einen Hauch von Melancholie auf ihr Gesicht, aber gerade deswegen war sie Dr. Daniel noch nie so reizvoll erschienen wie in diesem Augenblick, und fast mußte er sich zwingen, sie nicht in die Arme zu nehmen, um ihr Trost zu spenden… und vielleicht noch etwas anderes. Doch er wußte, daß es dafür zu früh wäre – nicht nur bei Manon, sondern auch bei ihm selbst. Obwohl seit dem Tod seiner Frau nun schon mehr als sechs Jahre vergangen waren, war die Erinnerung noch immer sehr schmerzlich für ihn.

      Dr. Daniel überlegte, wie er die Stimmung wieder ein wenig auflockern könnte, und dann fiel ihm das kleine Päckchen ein, das heute von seiner Tochter gekommen war.

      »Karina hat geschrieben«, erzählte er, während Manon die Pizza auftrug. Er holte den wattierten Umschlag aus der Innentasche seines Jacketts. »Sie hat eine CD von Jean für dich beigelegt.«

      Erstaunt sah Manon ihn an. »Für mich? Wie kommt sie denn auf so etwas? Sie kennt mich doch kaum.«

      »Als ihr euch in der Schweiz kennengelernt habt, warst du ihr eben auf Anhieb sehr sympathisch.«

      Manon schmunzelte. »Was bei dir dagegen nicht der Fall war.«

      Dr. Daniel wußte genau, daß sie auf den Vorfall anspielte, der sich auf der Skipiste ereignet hatte. Manon hatte ihn damals beinahe versehentlich umgefahren.

      »Ich mußte schließlich davon ausgehen, eine Kamikaze-Fahrerin vor mir zu haben, und solche Skipisten-Rowdies schätze ich nun einmal nicht besonders«, meinte er. »Als ich dich aber dann näher kennenlernte, haben sich meine Gefühle sofort geändert. Schließlich bist du in Wirklichkeit alles andere als ein Rowdie.«

      »Das will ich aber auch meinen.« Sie senkte den Kopf. »Damals auf der Piste…«

      »Komm, Manon, darüber haben wir schon ausführlich gesprochen«, fiel Dr. Daniel ihr ins Wort. »Du hast mit dieser rasanten Abfahrt doch nur versucht, die schmerzlichen Erinnerungen an Angelo zu verscheuchen.« Und bevor Manon wieder in trübsinnige Gedanken versinken konnte, holte er die CD hervor, die Karina geschickt hatte. »Das ist ein Mitschnitt von Jeans letztem Konzert in der Schweiz. Nach allem, was Karina schreibt, muß es erstklassig gewesen sein.«

      »Das werden wir gleich hören«, meinte Manon, nahm die CD und trat an ihren Wohnzimmerschrank. Kaum eine Minute später erfüllte der Klang von Jeans Klavier den Raum – Melodien von so exzellenter Qualität, daß es schwerfiel zu glauben, ein normal Sterblicher könne sie einem Klavier entlocken.

      »Er ist wirklich ein Meister seines Fachs«, flüsterte Manon, als wäre es eine Sünde, angesichts dieser Musik laut zu sprechen.

      Dr. Daniel nickte nur, und erst als der letzte Ton verklungen war, nahm er Karinas Brief wieder zur Hand.

      »Sie haben sich verlobt«, erklärte er.

      Überrascht sah Manon auf. »Wirklich? Ich dachte, Karina wollte sich damit noch etwas Zeit lassen.«

      Dr. Daniel seufzte leise. »Das dachte ich auch, und ich sehe diese schnelle Entwicklung sogar mit gewisser Sorge. Immerhin ist es noch gar nicht so lange her, daß sich Karina ihrer Gefühle für Jean absolut nicht mehr sicher war. Während der Semesterferien ist sie Wolfgang Metzler wiederbegegnet und…« Er zuckte die Schultern. »Es schien, als hätte sie die unselige Liebe zu ihm noch immer nicht völlig überwunden.« Wieder blickte er auf den Brief hinunter, der heute angekommen war. »Andererseits ist Karina ansonsten nicht wankelmütig, und wenn sie sich mit Jean verlobt hat, dann muß sie sich ihrer Liebe zu ihm doch ziemlich sicher sein.«

      Sehr sanft berührte Manon seine Hand. »Du machst dir große Sorgen um sie, nicht wahr?«

      »Ja«, antwortete Dr. Daniel ohne Zögern. »Noch vor zwei Jahren war alles so klar. Karina studierte Jura und war mit einem Studienkollegen zusammen. Es war ein sehr netter junger Mann. Aber dann kehrte Wolfgang nach Steinhausen zurück, und plötzlich geriet alles aus den Fugen. Karina verliebte sich Hals über Kopf in ihn, wechselte ihr Studienfach und…« Er winkte ab. »Und jetzt diese Verlobung. Hoffentlich macht sie das nicht nur, weil Wolfgang in Kürze Erika Wieland heiraten wird.«

      »Vielleicht machst du dir doch zu viele Sorgen«, meinte Manon. »Ich hatte in der Schweiz Gelegenheit, sowohl Karina als auch Jean kennenzulernen, und sie machten doch einen sehr verliebten Eindruck auf mich. Vielleicht war das mit Dr. Metzler nichts anderes als eine heftige Schwärmerei. Er ist ja ein ganzes Stück älter als Karina, und junge Mädchen neigen dazu, einen viel älteren Mann extrem attraktiv zu finden.«

      Dr. Daniel mußte schmunzeln. »Spricht da jemand aus Erfahrung?«

      Manon nickte. »Ich war in Karinas Alter auch unsterblich in einen Arzt verliebt, der für ein paar Wochen aushilfsweise an der Uni unterrichtete. Aber als ich dann Angelo kennenlernte, begriff ich erst, was wirkliche Liebe ist.«

      »Hoffentlich ist es bei Karina auch so.«

      »Ganz sicher«, meinte Manon. »Immerhin hast du selbst vorhin gesagt, daß sie sich bestimmt nicht mit Jean verlobt hätte, wenn sie sich ihrer Gefühle nicht sicher wäre. Und auf mich machte sie ebenfalls einen solchen Eindruck – auch wenn ich sie nicht halb so gut kenne wie du.«

      »Wahrscheinlich hast du recht«, erklärte Dr. Daniel. »Ich mache mir bestimmt zu viele Sorgen.« Er zuckte die Schultern. »Aber in dieser Beziehung sind wohl alle Eltern gleich; sie wollen immer nur das Beste für ihre Kinder, und sie versuchen, alles Unheil von ihnen fernzuhalten, aber das geht nun mal nicht.«

      Manon nickte zustimmend. »Jeder Mensch muß seine eigenen Fehler machen, um daraus lernen zu können. So war es früher schon, und vermutlich wird es auch immer so bleiben.«

      »Das war das Wort zum Montag«, urteilte Dr. Daniel mit verschmitztem Lächeln.

      Manon mußte ebenfalls lachen. »Du hast recht. Und auf diese salbungsvollen Worte stoßen wir jetzt mit einem guten Tröpfchen Wein an.«

      *

      »Guten Tag, Frau Bögl. Na, jetzt ist es ja bald so weit.«

      Melanie Bögl lächelte ihre Gynäkologin an. »Ja, Frau Doktor, ich freue mich schon riesig. Und mein Mann ist schrecklich nervös. Er hat Angst, daß wir nicht rechtzeitig in die Klinik kommen könnten.«

      Frau Dr. Steiger winkte ab. »Erstgebärende haben eine Menge Zeit. Die Eröffnungsphase dauert sicher sieben bis acht Stunden. In dieser Zeit würden sie dreimal in die Klinik kommen.«

      Melanie nickte. »Ja, das denke ich auch.« Sie senkte den Kopf. »Ein bißchen Angst habe ich freilich schon. Sieben bis acht Stunden… wenn ich die Schmerzen nun nicht aushalten werde?«

      »Papperlapapp«, wehrte die Ärztin resolut ab. »Sie haben Ihre Geburtsvorbereitung gehabt und Ihre Schwangerschaftsgymnastik regelmäßig durchgeführt. Außerdem ist eine Geburt etwas völlig Natürliches. Jede Frau, die ein Kind haben will, muß das durchstehen. Sie werden es also auch überleben.«

      Melanie schluckte. Frau Dr. Steiger ging nicht gerade zartfühlend mit ihren Patientinnen um, und manchmal bereute Melanie schon, daß sie

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