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übernommen hat. Er geht mit Chemikalien nämlich weit verantwortungsbewußter um als sein Vater. Und seit die jungen Bergmanns aus der Villa des Alten ausgezogen sind, scheint auch ihre Ehe besser zu funktionieren. Na ja, kein Wunder. Martin Bergmann hat seine Finger überall drin, und ich denke nicht, daß er vor der Ehe seines Sohnes halt gemacht hat.«

      »Es muß schrecklich sein, einen solchen Menschen zum Vater zu haben. Der junge Herr Bergmann kann zu ihm doch überhaupt nicht aufblicken, und dabei sollte ein Vater Vorbild sein für den Sohn.«

      »Glücklicherweise hat sich der junge Bergmann seinen Vater nicht zum Vorbild genommen«, erwiderte Gabi trocken. »Ansonsten wären wir Steinhausener eines Tages alle von der CHEMCO umgebracht worden.«

      *

      Anke Bergmann mußte wirklich nicht lange warten, bis sie ins Sprechzimmer gerufen wurde. Dr. Daniel erhob sich bei ihrem Eintreten hinter seinem Schreibtisch und kam ihr mit einem herzlichen Lächeln entgegen.

      »Nun, Frau Bergmann, wie fühlen Sie sich?« wollte er wissen.

      »Gut, danke.« Sie streichelte über ihren Bauch, dem man die Schwangerschaft jetzt schon deutlich ansah. »Unser Kleines hier ist bei weitem nicht so lebhaft, wie Claudia es war. Sie hat mich manchmal so fest getreten, daß es richtig weh getan hat.«

      Dr. Daniel schmunzelte. »Da sieht man mal wieder, daß sich der Charakter eines Menschen schon vor seiner Geburt zeigt.«

      »Dann könnte es also sein, daß unser zweites Baby nicht ganz so quirlig sein wird wie Claudia?«

      Dr. Daniel hörte die Hoffnung aus Ankes Stimme unschwer heraus und mußte erneut schmunzeln.

      »Ja, Frau Bergmann, das ist durchaus möglich.« Er stand auf. »So, dann wollen wir uns mal vergewissern, daß es dem kleinen Wurm auch wirklich gutgeht.«

      Doch die Untersuchung ergab keine Auffälligkeiten.

      »Alles in bester Ordnung, Frau Bergmann«, erklärte Dr. Daniel dann auch und half der schwangeren jungen Frau vom Untersuchungsstuhl.

      Glücklich strahlte sie ihn an. »Wenn mir das jemand vor drei Jahren gesagt hätte, hätte ich ihm kein Wort davon geglaubt.«

      Dr. Daniel lächelte. Auch er erinnerte sich noch sehr gut daran, wie niedergeschlagen Anke Bergmann damals gewesen war, als sie das erste Mal in seine Sprechstunde gekommen war. Sie hatte unter schweren Eileiterverwachsungen gelitten, und Ärzte hatten ihr prophezeit, daß sie niemals ein Kind bekommen könnte. Zu allem Überfluß hatte Anke diese Tatsache ihrem Mann verschwiegen, so daß Rainer buchstäblich aus allen Wolken gefallen war, als er es schließlich doch erfahren hatte. Eine Weile hatte es so ausgesehen, als würde die Ehe der beiden daran zerbrechen, doch dann hatte Dr. Daniel helfend eingegriffen. Und seinem besten Freund, dem Mikrochirurgen Dr. Georg Sommer, war es dann sogar gelungen, die Verwachsungen operativ zu entfernen. Wenig später war Anke schwanger geworden und hatte ein Mädchen zur Welt gebracht. Die kleine Claudia war jetzt fast eineinhalb Jahre alt und würde in etwa zwei Monaten ein Geschwisterchen bekommen.

      »Wie ich hörte, wollen Sie und Rainer noch in Urlaub fahren, bevor Ihre Schwangerschaft anfängt, beschwerlich zu werden«, erkundigte sich Dr. Daniel, während er Ankes Blutdruck kontrollierte.

      Die junge Frau lächelte. »Steinhausen ist manchmal wirklich nichts anderes als ein Dorf. Jede Kleinigkeit spricht sich in Windeseile herum.«

      Dr. Daniel schmunzelte. »Zum einen kenne ich Ihren Mann schon seit gut dreißig Jahren. Es hätte also durchaus sein können, daß er selbst es mir erzählt hätte. Und zum anderen ist Rainer mit Wolfgang Metzler befreundet, der wiederum Chefarzt der Waldsee-Klinik ist. Da auch ich gelegentlich dort verkehre…«

      Anke lachte. »Gelegentlich ist gut. Immerhin haben Sie dort nicht nur Belegbetten stehen, sondern sind auch Klinikdirektor. Und Wolfgang konnte seinen Schnabel noch nie halten.«

      »Das klingt, als würden Sie ihn schon ewig kennen, dabei ist es noch gar nicht so lange her, daß er erst wieder nach Steinhausen zurückgekommen ist.«

      Da wurde Anke ernst. »Es ist schon seltsam. Ich kenne Wolfgang ja wirklich erst seit kurzer Zeit, aber er steht mir fast so nahe wie ein Bruder.« Sie lächelte. »Vielleicht, weil ich in seinem Auto beinahe entbunden hätte.«

      »Claudias Geburt war recht aufregend«, stimmte Dr. Daniel zu. »Beinahe hätten wir die Sommer-Klinik nicht mehr rechtzeitig erreicht, aber diesmal kann in dieser Hinsicht nichts passieren. Ich nehme ja an, daß Ihr zweites Baby in unserer Waldsee-Klinik zur Welt kommt, und da brauchen Sie ja eigentlich nur zweimal umzufallen, wie man so schön sagt.«

      Anke nickte. »Da haben Sie recht. Von unserem Haus bis zur Klinik ist es wirklich nur ein Katzensprung. Aber um auf unseren Urlaub zurückzukommen: Sie halten das doch nicht für bedenklich in meinem Zustand, oder?«

      »Absolut nicht, Frau Bergmann. Sie sind jetzt in der sechsundzwanzigsten Schwangerschaftswoche, und wenn Sie nicht gerade eine Himalaya-Besteigung geplant haben, dann halte ich einen Urlaub sogar für eine ausgesprochen gute Idee.«

      Wieder mußte Anke lachen. »Der Himalaya ist bestimmt nicht unser Ziel. Wir möchten zwei geruhsame Wochen in den Dolomiten verleben. Da gibt es ein kleines Bergbauerndorf, sehr beschaulich am Fuß der Drei Zinnen gelegen. Dort haben wir Ruhe und Erholung, und Rainer bekommt endlich mal ausreichend frische Luft, was ihm nach der Arbeit in der CHEMCO sehr guttun wird.«

      Dr. Daniel nickte zustimmend. »Da haben Sie recht.« Er runzelte die Stirn. »Was geschieht mit dem Chemiewerk, wenn Rainer Urlaub macht? Ohne geschulte Leitung wird er es ja wohl nicht zurücklassen.«

      Anke seufzte. »Das ist tatsächlich ein kleines Problem. Ursprünglich sollte Helmut Wenger die Vertretung übernehmen. Er ist nicht nur der Betriebsratsvorsitzende, sondern auch derjenige, der am längsten bei der CHEMCO arbeitet und auf jedem Gebiet bestens Bescheid weiß. Unglücklicherweise hatte Herr Wenger jetzt gerade Urlaub und hat sich bei einer Bergwanderung einen komplizierten Bruch zugezogen. Momentan liegt er im Innsbrucker Krankenhaus, und wann er entlassen werden kann, steht noch in den Sternen.« Wieder seufzte sie. »Ich fürchte, Rainer wird nichts anderes übrigbleiben, als seinen Vater um die Vertretung zu bitten.«

      »Das ist nicht gerade die günstigste Lösung«, entgegnete Dr. Daniel mit unüberhörbarer Besorgnis. »Gerade Ihnen muß ich über Martin Bergmann nichts erzählen. Sie haben seinen zweifelhaften Charakter wahrscheinlich am besten von uns allen kennengelernt.«

      »Das kann man wohl sagen. Daß er mich damals zwingen wollte, Claudia gegen einen Jungen einzutauschen, werde ich ihm niemals verzeihen.« Sie senkte den Kopf. »Er hat seine Enkelin noch immer nicht gesehen, obwohl sie jetzt schon fast eineinhalb Jahre alt ist. Ich wollte ihn zu ihrem ersten Geburtstag einladen, aber er hat eiskalt abgelehnt. Er wollte einen Enkelsohn, und deshalb akzeptiert er Claudia nicht.«

      Dr. Daniel seufzte. Eine solche Einstellung war ihm völlig unverständlich. Man mußte doch froh sein, wenn ein Kind gesund zur Welt kam, aber er hatte ja schon einige Male bemerkt, daß Martin Bergmann allmählich jeglichen Sinn für die Realität verlor. Wie sonst hätte er annehmen können, zwei Mütter würden ihre Babys tauschen, nur damit bei den Bergmanns ein Sohn und Erbe hätte einziehen können?

      »Vielleicht erfüllt sich ja beim zweiten Kind sein größter Wunsch«, meinte Dr. Daniel, dann stand er auf. »Ich würde mich gern noch länger mit Ihnen unterhalten, Frau Bergmann, aber ich fürchte, mein Wartezimmer platzt bereits aus allen Nähten.«

      Anke erhob sich ebenfalls und lächelte. »Es war schon proppenvoll, als ich gekommen bin, und ich hatte direkt ein schlechtes Gewissen, daß ich als erste hereingerufen wurde.«

      »Das war völlig unnötig. Erstens hatten Sie einen Termin, was bei den meisten anwesenden Damen nicht der Fall ist, und zweitens müssen schwangere Frauen bei mir nur so lange warten, wie es unbedingt nötig ist.« Dr. Daniel reichte ihr die Hand. »Besuchen Sie mich doch noch, bevor Sie in Urlaub fahren – privat, und natürlich zusammen mit Rainer und Ihrer kleinen Claudia.«

      »Das machen wir gern, Herr Doktor.«

      *

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