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befolgen, das war nicht einfach. Ihren Alltag bewältigte sie und war froh, daß es in der Destille gut lief und das Gesindehaus für zwei Monate vermietet war. Doch sie hatte auch Bankschulden, die abgebaut werden mußten. Und es brannte ihr auf der Seele, daß Thomas noch immer fast 77.000 Euro von ihr bekam.

      Er wollte das Geld zwar nicht wiederhaben, doch sie würde es ihm zurückzahlen, Euro für Euro.

      Und bald waren wieder Steuervorauszahlungen fällig, Gemeindeabgaben und Strom mußten bezahlt werden.

      Bettina fragte sich, was sie wohl ohne den Auftrag für den Vertrieb von Finnmore eleven gemacht hätte.

      Auf Dauer würde sie gut zurechtkommen, aber bis dahin würden bestimmt noch zwei Jahre vergehen. Und bis dahin mußte sie auch den Umbau der Remise aufschieben. Arno konnte darin herumwerkeln, aber die großen Arbeiten mußten warten.

      Obschon sie so viel Hilfe, auch kostenlose, gehabt hatte, war der Umbau des Gesindehauses sehr viel teurer geworden als vorher veranlagt, aber das war ja immer so.

      Nach einem gemütlich verbrachten Abend bei Linde und Martin war Bettina beizeiten ins Bett gegangen und schreckte nun aus tiefstem Schlaf durch das anhaltende Läuten ihres Telefons auf.

      Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, daß es weit nach Mitternacht war.

      Thomas konnte der Anrufer nicht sein, mit dem hatte sie bereits telefoniert, und der war auf dem Weg nach Alaska, was immer er dort auch zu tun haben mochte.

      »Hallo«, meldete sie sich schlaftrunken.

      »Hallo, Schwesterchen.« Jörg war der späte Anrufer, und seine Stimme klang ein wenig schleppend. Wahrscheinlich war er betrunken.

      »Jörg, weißt du, wie spät es ist?« erkundigte sie sich, und ihre Stimme klang ungehalten.

      Sie hatte seit langem nichts von ihrem Bruder gehört. Ein Anruf um diese Zeit war nicht unbedingt das, was Freude auslöste.

      Er ging darauf nicht ein.

      »Bettina, du mußt herkommen. Ich brauche deine Hilfe.«

      »Und das kannst du mir nicht zu einer zivileren Zeit sagen, Bruderherz?«

      »Marcel hat gekündigt.« Seine Stimme klang dumpf.

      Eine Bombe hätte keine einschlagendere Wirkung haben können.

      Sofort war Bettina hellwach. Sie richtete sich in ihrem Bett auf.

      »Aber das kann doch nicht sein. Marcel gehört zum Chateau wie eine Glocke zur Kirche.«

      »Er hat aber gekündigt, und du mußt augenblicklich herkommen und ihm das ausreden.«

      »Jörg, das Chateau und das Weingut gehören dir. Du bist der Chef. Ich habe damit doch überhaupt nichts zu tun.«

      »Ich habe mit ihm geredet, aber er ist stur wie ein Ziegenbock. Wenn er auf jemanden hört, dann auf dich. Er mag dich und sieht in dir so etwas wie Papas Stellvertreterin.«

      Bettina war wie vor den Kopf geschlagen. Sie konnte es nicht begreifen.

      Marcel war die Vertrauensperson ihres Vaters gewesen, er arbeitete auf dem Weingut, als sei es seine eigene Firma. Und die wollte er nun verlassen? Bettina konnte es nicht glauben.

      »Jörg, was ist vorgefallen? Hattet ihr Streit?«

      »Nein. Ich weiß nicht, was mit ihm los ist. Dir wird er es vielleicht sagen. Und du bist die einzige, die ihn bewegen kann, zu bleiben. Ich kann den Schuppen ja sonst gleich zumachen. Mich interessiert der Weinanbau nicht, und ich habe auch keinen Bock, Wein zu verkaufen. Die kulturellen Veranstaltungen entwickeln sich prächtig. Catherine ist großartig. Und jetzt macht dieser blöde Marcel mir alles zunichte. Bettina, steig in den nächsten Flieger, wenn du eine Katastrophe verhindern willst.«

      Sie merkte, daß Jörg zwischendurch immer wieder trank. Es hatte keinen Sinn, jetzt vernünftig mit ihm zu reden.

      Ihr Schweigen dauerte ihm zu lange.

      »Bettina, wann kommst du? Morgen?«

      »Jörg, geh jetzt schlafen. Ich glaube, du hast so manches Glas zuviel getrunken. Ich werde kommen, und ich werde auch mit Marcel reden. Aber erwarte nicht zuviel. Marcel ist ein sehr besonnener Mann, der weiß, was er tut. Er ist niemand, der leichtfertig einen solchen Arbeitsplatz aufgibt. Immerhin war er Geschäftsführer des Weingutes. Es muß etwas Gravierendes passiert sein.«

      »Ich habe nichts gemacht und ihm niemals reingeredet. Ich war doch froh, daß ich mit dem ganzen Krempel nichts mehr zu tun hatte. Schwesterlein, komm umgehend. Du bist die einzige, wie gesagt, die es wieder hinbiegen kann.«

      »Jörg, ich kann nicht zaubern.«

      »Aber du bist wie Papa. Der hat auch alles immer hingekriegt.«

      »Ich werde mein Glück versuchen, Jörg. Ich rufe dich morgen an. Wie du weißt, ist es ziemlich beschwerlich, zu dir zu kommen. Zuerst der Flug nach Paris, dann quer durch die Stadt zum nächsten Flughafen, dann bis Bordeaux.«

      »Dort hole ich dich auch ab. Versprochen. Wann rufst du an? Direkt morgen früh?«

      »Sobald ich alles geklärt habe. Doch laß uns bitte das Gespräch jetzt beenden. Ich möchte weiterschlafen, und du solltest auch ins Bett gehen und vor allem nichts mehr trinken. Doris hast du es vorgeworfen, und jetzt trinkst du selber.«

      »Findest du es passend, jetzt Doris zu erwähnen? Sie hat in meinem Leben nichts mehr verloren, und außerdem hat sie täglich getrunken und ich nur jetzt, weil mich das mit Marcel total fertig macht.«

      »Alkohol löst keine Probleme«, sagte Bettina.

      »Na klar, Vaters Tochter hat gesprochen. Wir hören jetzt wohl wirklich besser auf. Gute Nacht, Bettina.«

      Er legte einfach auf.

      Aber das war typisch Jörg.

      Er war lieb und nett, konnte aber keine Kritik vertragen.

      Bettina legte das Telefon beiseite und löschte das Licht. Aber an Einschlafen war nicht mehr zu denken.

      Marcel Clermont, der langjährige Vertraute ihres Vaters, wollte das Chateau Dorleac verlassen. Sie konnte es nicht glauben, und ihre Gedanken kreisten immer nur darum.

      Sie dachte nicht daran, daß es im Grunde genommen unverschämt von Jörg gewesen war, sie mitten in der Nacht anzurufen.

      Er hätte ihr das alles auch am nächsten Morgen erzählen, sie bitten können, zu kommen.

      Aber auch das war typisch Jörg.

      Wenn ihm etwas in den Sinn kam, dann wollte er es sofort durchsetzen.

      Bettina wälzte sich in ihrem Bett hin und her. Sie stand auf, versuchte es mit heißer Milch und Honig, Meditationsmusik und progressiver Muskelentspannung nach Jacobsen.

      Nichts half.

      Es wurde bereits langsam hell, als sie in einen unruhigen Schlummer fiel, begleitet von wirren Träumen.

      Die Männer von den Seeschlachten-Gemälden des Aegisius Patt sprangen von ihren Schiffen und schwangen in dem wildwogenden Wasser ihre Schwerter und Säbel. Grit warf sich immer vor ihren Robertino, damit der nicht getroffen wurde, während Bettina verzweifelt versuchte, Merit, Niels und Linus in Sicherheit zu bringen. Aber immer wenn sie nach den Kindern greifen wollte, wurden sie von einer hohen Woge weggeschwemmt.

      Völlig erschöpft und immer noch wild um sich schlagend wurde sie am nächsten Morgen wach.

      Welch grauenvoller Traum!

      Sie stand auf und wankte förmlich in ihr Badezimmer, um sich unter einer heißen Dusche wenigstens ein wenig zu entspannen. Dann würde sie zu Leni gehen und bei ihr Kaffee trinken. Sie konnte jetzt nicht allein sein.

      *

      Als Bettina in das Haus der Dunkels kam, wunderte sie sich, daß Leni nicht in ihrer gemütlichen Küche war, sondern daß sie deren Stimme aus dem Wohnzimmer

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