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auf Edelmetall alles bedeuten konnte, am ehesten wohl eine hippe Werbeagentur.

      Mit brennenden Augen starrte Bettina auf die wunderschöne Jugendstil-Villa, die zwar ihre Fassade behalten hatte, aber innen vollkommen entkernt und modernisiert worden war.

      Es tat so weh, da nicht mehr hineingehen zu dürfen, weil Frieder dort wie ein kleiner Napoleon herrschte.

      Bettina wollte ihr Auto starten, weil sie es nicht länger ertragen konnte, wie ein Bettler dazustehen, als Frieder in seinem Porsche angerast kam. Um nicht erkannt zu werden, duckte sie sich. Aber er hatte nur Augen für seine Beifahrerin. Bettina hatte nicht erkennen können, ob es noch die Gespielin war, die er einmal mit nach Bad Helmbach gebracht hatte, an deren Namen sie sich nicht einmal mehr erinnern konnte, wo er aber damit angefangen hatte, von ihr ein Seegrundstück zu fordern.

      Doch diese junge Frau, und ob er nun mit ihr zusammen war oder nicht, interessierte sie nicht. Bettina war brennend am Schicksal ihres Neffen Linus interessiert. Doch ihr Bruder wollte nicht, daß sie etwas erfuhr und daß sie sich um Linus kümmerte. Es tat noch immer weh, wenn sie daran dachte, daß er ihr den Umgang mit dem Jungen durch ein Anwaltsschreiben verboten hatte.

      Als Bettina sicher sein konnte, unerkannt davonfahren zu können, lenkte sie ihr Auto in den dahinfließenden Verkehr.

      Sie hatte es jetzt eilig, zur Autobahn zu kommen, weil die Stadt, in der sie die meiste Zeit ihres Lebens gewohnt hatte, ihr fremd geworden war, weil sich eben auch alles verändert hatte.

      Sie hatte ihre Eigentumswohnung verkauft, weil sie das Geld dringend für den Ausbau des Gesindehauses benötigt hatte. Das war eine wirtschaftlich vernünftige Entscheidung gewesen, die sie auch nicht bereute. Die Wohnung war schön gewesen, ihr aber nicht ans Herz gewachsen.

      Anders war es schon mit der elterlichen Villa, die Grit als Erbin verscherbelt hatte, kaum daß sie ihr gehörte.

      Nein, alles hatte sich verändert, aber leider nicht zum Guten. Ihr Bruder Frieder verfolgte seine eigenen Interessen und ging dabei über Leichen. Grit verfolgte ihren Liebhaber und warf das Geld auch nur so aus dem Fenster, dabei war sie vor dem Erben eine vernünftige Person gewesen.

      Ihr Vater fehlte, der der zentrale Mittelpunkt ihres Lebens gewesen war, aber der war tot. Und sie konnte nur froh sein, daß sie ihn hatte umbetten lassen, und daß er jetzt auf dem kleinen Fahrenbacher Friedhof ruhte, wo er auch hingehörte. Ihre Geschwister hätten sein Grab ohnehin nicht besucht, und denen war es auch gleichgültig gewesen. Für die war tot eben tot und hernach allenfalls eine Sache des Friedhof-Gärtners.

      Bettina konnte den Tränen, die unaufhaltsam über ihr schmales Gesicht liefen, keinen Einhalt gebieten.

      Sie weinte aus Enttäuschung wegen ihrer Geschwister. Aber sie weinte auch dem Leben nach, als die Fahrenbachs noch eine Familie gewesen waren, oder zumindest hatte es zu Lebzeiten ihres Vaters den Anschein gehabt, daß sie eine Familie waren.

      Jetzt verloren sie sich immer mehr, und das tat weh, sehr weh sogar.

      *

      Bettina spürte ein dumpfes Rauschen in den Ohren, ihr Kopf schmerzte.

      Sie versuchte die Augen zu öffnen, doch ihre Lider waren schwer wie Blei.

      Sie versuchte es wieder, blinzelte in grelles Licht.

      »Sie kommt zu sich«, hörte sie wie aus weiter Ferne eine Stimme.

      Ihre Hände fuhren nervös hin und her, hielten inne, verkrallten sich.

      Eine Decke.

      Aber wieso eine Decke?

      Sie hatte doch im Auto gesessen, war auf der Rückfahrt nach Fahrenbach gewesen.

      Bruchstückhaft kehrte ihre Erinnerung zurück.

      Die Übelkeit…

      Aufsteigender Brechreiz…

      Sie war rechts ran gefahren, in eine Parkbucht, hatte die Autotür geöffnet, dann…

      Sie konnte sich nicht daran erinnern, was dann geschehen war.

      Sie versuchte zu sprechen. Es gelang ihr nicht.

      Später, dachte sie schläfrig, später würde sie die Augen öffnen, und später…

      Ihre Gedanken verloren sich in einem dumpfen Nebel. Sie schlief wieder ein.

      »Informieren Sie mich, wenn die Patientin wach wird, und erneuern Sie in einer halben Stunde die Infusion«, sagte der Mann im weißen Kittel, ehe er, nach einem letzten Blick auf die Patientin, das Zimmer verließ.

      *

      Geräusche weckten Bettina auf. Sie öffnete die Augen. Entsetzt stellte sie fest, daß sie sich in einer ihr vollkommen fremden Umgebung befand.

      »Wo bin ich?« erkundigte sie sich angstvoll.

      Mit wenigen Schritten war eine junge Krankenschwester bei ihr.

      »Guten Morgen, Frau Fahrenbach. Sie befinden sich im Elisabeth-Krankenhaus in Linzbach.«

      »Krankenhaus?«

      Linzbach? Das war ein Ort auf der Strecke nach Hause. Sie verstand überhaupt nichts mehr.

      »Wieso bin ich hier?«

      »Sie hatten einen Schwächeanfall, aber das wird Ihnen der Professor selbst erklären. Bitte gedulden Sie sich einen Moment. Ich werde den Professor holen.«

      Die junge Krankenschwester nickte ihr noch einmal freundlich zu, dann verließ sie den Raum, in dem Bettina sich neugierig umsah. Die Wände waren in einem sanften Gelb gestrichen, hübsche Aquarelle hingen an den Wänden, ansonsten war der Raum sachlich und hell eingerichtet. An den Fenstern hingen gelb bedruckte Gardinen.

      Entweder war dieses Krankenhaus hier neu, oder man legte Wert darauf, den Patientinnen und Patienten eine freundliche, warme Atmosphäre zu vermitteln.

      Aber wieso war sie in einem Krankenhaus? Wieso hatte sie einen Schwächeanfall gehabt?

      Sie versuchte sich zu erinnern.

      Auf der Heimfahrt war sie unglücklich gewesen, hatte geweint.

      Ein brennender Kopfschmerz, eine aufsteigende Übelkeit hatten sie geistesgegenwärtig in eine Parkbucht fahren lassen.

      Sie erinnerte sich, daß sie die Fahrertür geöffnet hatte, um hinauszusteigen, aber dann…? War sie ausgestiegen? Sie wußte es nicht. Alles, was zwischen diesem Vorfall und ihrem Aufwachen in diesem Krankenhaus geschehen war, lag in tiefstem Dunkel…

      Die Tür wurde schwungvoll geöffnet, ein Mann mittleren Alters kam hereingewirbelt, gefolgt von der netten jungen Krankenschwester.

      »Guten Morgen, Frau Fahrenbach. Wie geht es Ihnen?« Er reichte ihr die Hand. Sein Händedruck war vertrauenerweckend und kraftvoll.

      »Ich bin Professor Dorfler, der Chefarzt des Elisabeth-Krankenhauses.«

      »Guten Morgen, Herr Professor«, sagte Bettina, die den Arzt auf Anhieb sympathisch fand. »Ich… nun, ein wenig habe ich das Gefühl, vollkommen neben mir zu stehen, in jeder Hinsicht.«

      »Das ist normal«, sagte er, zog sich einen Stuhl ans Bett und setzte sich.

      »Weswegen bin ich hier?«

      »Sie hatten einen Schwächeanfall und sind glücklicherweise geistesgegenwärtig aus dem Verkehr gegangen, sonst hätte es einen bösen Unfall geben können. Auf dem Parkplatz konnten Sie offenbar nicht mehr selbst aus dem Auto steigen. Aber Sie hatten Glück im Unglück. Beamte der Autobahnpolizei waren gerade dort angekommen, um eine Pause zu machen. Die fanden Sie und veranlaßten, daß Sie hierher gebracht wurden. Ihr Auto steht auch schon unten auf unserem Hof. Sie sehen, alles bestens.«

      »Ich muß jemanden informieren.«

      »Das ist bereits geschehen. Wir haben eine Frau Dunkel informiert, und die wiederum hat veranlaßt, daß Sie morgen nach der Visite von einem Herrn Greiner abgeholt werden.«

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