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not welcome anymore …

      Ich singe mich durchs Wohnzimmer, übertöne glatt den dröhnenden Staubsauger. Die Stereoanlage habe ich laut aufgedreht. Trotzdem singe ich Gloria Gaynor locker an die Wand.

       I’ve got all my life to live – I’ve got all my love to give – and I’ll survive – I will survive – hey hey

      Gerade habe ich mich so richtig schön in Schwung gesungen, da werde ich unsanft aus dem Discozeitalter ins Jetzt zurückgeholt.

      »Muss das so laut sein, Sonja?«

      Irene. Meine Schwiegermutter. Ihre Überraschungsbesuche sind eine regelmäßige Heimsuchung.

      »Irene, wie schön, dass du zu Besuch kommst, überraschend wie immer«, schreie ich und zeige meine Zähne, in der Hoffnung, sie würde dies als eine Art freundliches Lächeln wahrnehmen.

      Irene schreitet entschlossen auf den CD-Player zu und dreht die Lautstärke herunter. Sie drapiert theatralisch einen Adventskranz auf unserem Esstisch und fegt dafür unwirsch ein paar herumliegende Jugendmagazine beiseite.

      »Ich habe euch auch einen gekauft. Die Jungen aus der Nachbarschaft kamen gerade vorbei. Ich dachte schon, dass du ihr Klingeln gar nicht gehört hast.«

      Ja, alle Jahre wieder versuche ich, das Klingeln zu ignorieren, wenn die Jugendvereine ihre Adventskränze an der Haustür verkaufen wollen. Sie sind im Supermarkt schöner und billiger. Im letzten Jahr haben wir ohnehin ganz darauf verzichtet, und keiner hat ihn vermisst.

      »Oh, schon wieder Weihnachten?«, frage ich unschuldig.

      »Schon wieder Weihnachten?«

      Irene schluckt schwer und schaut mich fassungslos an.

      »Am Sonntag ist der erste Advent«, antwortet sie, empört über meine Unwissenheit und Ignoranz.

      »Danke«, sage ich höflich und zeige auf ihr Mitbringsel. »Die Mädchen werden sich bestimmt freuen.«

      Allerdings sieht der Adventskranz ziemlich kümmerlich aus, und die Kerzen stecken recht windschief in dem Ding. Aber es ist ja die Geste, die zählt …

      Irene rauscht kopfschüttelnd von dannen, und mir ist die Lust, zu singen, vergangen. Meine Laune war vorher eindeutig besser. Ich räume den Staubsauger weg, binde meine Haare zusammen und fange an, die Toilette zu putzen. Das passt nun besser zu meiner Stimmung.

      Wie oft haben wir schon darüber diskutiert: Irene soll hier nicht unangemeldet reinschneien. Wenn Paul einmal, zermürbt von meinen Klagen, mit Irene darüber gesprochen hatte, gab sie sich immer einsichtig. Und ein paar Tage später stand sie wieder aus irgendeinem unerhört wichtigen Grund überraschend mitten in der Wohnung.

      Es ist höchste Zeit, dass ich selber wieder aus der Wohnung herauskomme. Im September habe ich im Zuge einer Umstrukturierung meinen Teilzeitjob bei der hiesigen Bank verloren. Und dies, obwohl doch Paul dort ein hohes Tier ist. Nicht einmal Beziehungen sind mehr das, was sie einmal waren. Anfangs fanden es alle ganz nett, dass ich wieder mehr zu Hause war. Ich auch. Paul meinte, ich könne mir Zeit lassen, mir eine kleine Auszeit gönnen, wir hätten ja keine finanziellen Probleme. Aber inzwischen schreibe ich bereits wieder Bewerbungen. Allerdings sind gerade im Bankgewerbe viel zu viele Menschen auf Stellensuche. Ich werde mich wohl auf einen völlig anderen Job einstellen müssen. Gut, dass ich flexibel bin und zudem in jungen Jahren in verschiedenen Branchen gearbeitet habe. Erschwerend kommt allerdings dazu, dass ich im nächsten Jahr vierzig werde – das scheint auf dem Arbeitsmarkt ein unverzeihliches Schwerverbrechen zu sein. Dabei fühle ich mich jung. Allerdings fühlt Irene sich auch jung, und sie ist über siebzig. Nun, für die Zwillinge sind wir wohl beide eh nur eins: Grufties.

      Amelie und Lilly kommen gemeinsam heim, als ich gerade einen Kaffee trinke. Sie schimpfen über das Wetter und schütteln die ersten Schneeflocken von ihren Kleidern. Ich habe mich inzwischen von Gloria Gaynor verabschiedet. Aus dem Radio plätschert eine unsäglich schmalzige Country-Version von »Leise rieselt der Schnee«.

      »Schuhe aus!«, brülle ich den Mädchen entgegen und hasse mich selber für meinen Tonfall.

      Lilly steht schon in der Küche und versaut den frisch geputzten Boden mit ihren nassen Tretern. Ach, ich weiß, warum ich wieder außer Haus berufstätig sein möchte. Hausarbeit ist so aufreibend, so endlos und öde. Die Wertschätzung ist genauso gering wie die Entlöhnung.

      »Sorry, aber ich muss gleich weg«, sagt Lilly nur und nimmt sich eine Banane aus dem Kühlschrank. »Training.«

      Klar. Mein kleines Tenniswunder ist immer irgendwie auf dem Sprung. Dafür hat es Amelie ausnahmsweise gar nicht eilig, in ihr Zimmer zu kommen. Sie setzt sich neben mich.

      »Was würdest du tun, wenn du wüsstest, dass du nicht mehr lange zu leben hättest?«, fragt sie mich und trinkt aus meiner Kaffeetasse.

      »Ich würde nie mehr putzen«, antworte ich leichthin, bin aber irritiert. Was sind das nun wieder für Fragen? Welche Ängste stecken dahinter?

      »Bist du krank?«, frage ich und mustere sie aufmerksam.

      Sie sieht kerngesund aus, wie immer. Wie ein Schneewittchen. So nenne ich meine Zwillinge manchmal wegen ihres langen, dunklen, vollen Haars und ihrer zarten, reinen Haut. Früher hörten sie das zwar gern, heute sage ich es besser nicht mehr allzu laut.

      Amelie holt ihren Laptop und zeigt mir eine Seite, die mir fast die Sprache verschlägt. Natürlich habe auch ich von den Theorien gehört, dass am 21. Dezember 2012 die Welt untergehen werde. Aber was ich da sehe … Da gibt es einen laufenden Zähler, einen Countdown bis zum Weltuntergang. Es sind nur noch 23 Tage. Auch die Stunden, Minuten und Sekunden, die uns bleiben, werden gezählt.

      Amelie schaut mich an.

      Sie wird doch so etwas nicht etwa glauben? Mein intelligentes Mädchen?

      »Amelie, glaub einer alten Frau: Ich habe schon mehrere solche vorhergesagten Weltuntergänge locker überlebt. Wir werden auch diesen überstehen, das verspreche ich dir.«

      »Wie kannst du es versprechen?«, fragt sie vorwurfsvoll. »Hast du alle diese Theorien studiert? Maya-Kalender, Sonnenstürme, Nostradamus, die Hopi-Indianer …«

      Gleich kommt wieder der Vorwurf, ich würde sie nicht ernst nehmen.

      »Du nimmst mich gar nicht ernst!«

      Wusste ichs doch.

      Manchmal ist es verdammt schwierig, seine Kinder ernst zu nehmen. Ich gebe mir Mühe.

      »Was würdest du denn tun, wenn du sicher wüsstest, dass am 21. Dezember die Welt untergeht?«, frage ich Amelie.

      Sie überlegt nicht lange: »Ich würde sicher die Schule schwänzen.

      Und vielleicht versuchen, möglichst viel Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen.«

      Gott, wie vernünftig sie ist, meine Tochter!

      Was hätte ich wohl in ihrem Alter gesagt? Ich würde von zu Hause abhauen und per Anhalter nach Paris fahren. – Ich würde Peter, in den ich seit Wochen verliebt bin, einen Brief schreiben. – Ich würde mich schminken und stylen und jede Nacht in den Discos abtanzen bis zum Umfallen. – Ich würde eine Bank überfallen und mir endlich eine elektrische Gitarre kaufen … Etwas in dieser Art.

      Waren wir wilder oder kindischer, als wir sechzehn waren? Manchmal ist es beängstigend, wie ernst und wie reif meine Töchter wirken, besonders Amelie, die Stille. Aber nur manchmal.

      »Und du, Mama: Was würdest du wirklich tun? Was würdest du bedauern, nicht getan zu haben?«

      Ihre tiefblauen Augen bohren sich in meine. Sie möchte eine ehrliche Antwort, nicht bloß etwas Dahergesagtes.

      Diese kann ich ihr aber nicht geben. Ich bin nämlich durchaus glücklich mit meinem Leben. Gut, ich habe meinen Job verloren. Aber in den letzten Monaten war das absehbar, und die miese Stimmung in unserer Abteilung war kaum mehr auszuhalten. Und ich bin in der glücklichen Situation, mir keinen

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