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      *

      Ivy befand sich in ihrem vertrauten Zuhause. Sie wusste instinktiv, dass das Haus menschenleer war und trotzdem musste sie in allen Zimmern nachschauen, auch in jedem kleinsten Winkel, ob die Kinder sich nicht doch irgendwo versteckten. Aber sie fand niemanden. Ihr fiel ein, dass sie gar nicht in ihrem Zuhause sein konnten, sondern bei ihren Eltern waren. Nach draußen stürmend rannte sie auf die Straße. Von ihrem Platz aus konnte sie sehen das in ihren Garagen keine Autos standen, weder bei ihr noch in der von Sebastian. In der ganzen Allee standen keine Fahrzeuge. Sie bekam durch ein schlechtes Gefühl in ihrer Magengegend plötzlich Panik, hetzte zum Schuppen, holte ihr Fahrrad und fuhr so schnell sie konnte zum Haus ihrer Eltern. Auf dem Weg dahin bemerkte sie wie in einem vorbeirauschenden Film, dass sie keine Menschenseele sah; keine Nachbarn, keine alte Dame, die am Fenster saß und den Autos zusah, wie diese vorbeifuhren, einfach niemanden. Noch nicht einmal den dämlichen Nachbarhund, der ständig kläffte. Als ob die Zeit still stand.

      Ivy sprang förmlich von ihrem Drahtesel, rannte auf das Haus ihrer Eltern zu und stürmte hinein. Als sie in den Flur trat, schien eine Art Schleier über dem Haus zu liegen. Die Sonne schien durch das große Flurfenster und die kleinen Staubpartikel vollführten einen geheimnisvollen Tanz. In der Küche standen benutzte Töpfe und eine Pfanne auf dem Herd. Dreckige Teller stapelten sich auf dem kleinen Tisch. Ungewöhnlich für ihre Mutter, welche eine sehr reinliche Frau war, die es hasste, wenn dreckiges Geschirr herumstand. Stutzig betrachtete sie das Essen, welches verdorben war. Ein dichter Flaum hatte sich auf dem Gericht gebildet.

      Im nächsten Raum den sie vom Flur einsehen konnte, dem Wohnzimmer mit angrenzendem Wintergarten, war ebenfalls niemand zu finden. Die Kissen und Decken lagen wild verstreut, als ob sie gerade erst genutzt worden waren. Ivy ging um die Wohnlandschaft herum. Oft saßen Hailey und Konrad dahinter und spielten dort. Aber keiner versteckte sich hinter dem Sofa. Sie schritt in den Wintergarten, schaute unter den massiven Esstisch und fand keine Menschenseele. Langsam kroch das ungute Gefühl ihre Wirbelsäule herauf.

      Ivy öffnete die Balkontür, trat heraus und lauschte. Ihr Wunsch nur irgendein Lebenszeichen von irgendjemanden zu erhalten ließ sie schaudern. Für einen Moment hielt sie inne, aber sie hörte einfach nichts. Als stünde sie in einen luftleeren Raum. Kein Vogel, kein Hund, kein Wind, der durch die Bäume streifte, war zu vernehmen. Sie schloss die Tür von innen und schritt nach oben.

      Im Spielzimmer der Kinder war es still, das Spielzeug lag herum und das Licht in dem kleinen Puppenhaus brannte. Ivy machte es durch Gewohnheit aus und lugte in das angrenzende Schlafzimmer ihrer Eltern. Die Betten waren nicht gemacht und im Arbeitszimmer war auch niemand.

      Sie fasste sich ein Herz, huschte nach unten und obwohl sie den Keller hasste, schlich sie hinunter und suchte weiter. Aber da war niemand. Sie spürte wie das schlechte Gefühl ihre Wirbelsäule nach oben kroch und ihren ganzen Körper schüttelte. Seufzend, um dieses Gefühl zu verdrängen, schaute sie noch im letzten Zimmer nach und auch dort fand sie keinen ihrer Angehörigen.

      Nachdenklich setzte sie sich auf die Treppe hinter dem Haus und betrachtete den Garten. Sie rauchte eine Zigarette und sah der Glut Gedanken verloren zu, wie sie sich langsam zum Filter fraß. Normalerweise hörte sie den Verkehr von der angrenzenden Straße. Aber es war einfach nichts. Plötzlich polterte etwas hinter ihr und sie horchte erschrocken auf. Ihr Herz begann zu rasen. Sie schnipste die Zigarette in den Garten, stand auf und schlich noch einmal vorsichtig in den Flur. Sie vernahm wieder ein Poltern und sie machte es in dem kleinen Wohnzimmer aus. Sie streckte ihre Hand nach der Türklinke aus und ...

      *

      »Ivy, wach auf!«, rief Sebastian am unteren Fuße der Treppe.

      Erzürnt und noch halb verschlafen von ihrem Alptraum warf sie ihm das Kissen über die kleine Brüstung nach unten.

      Elegant fing er es auf und warf es sogleich nach oben. »Wir müssen aufstehen. Der Tag wird lang!«, rief er erneut und sah grinsend die Treppe hoch.

      »Du kannst mich mal!«

      »Gerne, aber wir müssen los«, erwiderte er keck.

      Wütend, aber frech grinsend zeigte sie für ihn ungesehen den Mittelfinger. »Ich stehe gleich auf«, brummte sie.

      »Gut, ich bin schon unten bei den anderen«, erwiderte er, ging raus und kam sogleich wieder rein. Er stellte ein Glas löslichen Kaffee auf den Tresen der kleinen Küche und verließ das Haus.

      Ivy blieb indes grüblerisch im Bett liegen, schloss die Augen und versuchte den Traum zu Ende zu träumen. Aber es gelang ihr nicht, an die Stelle zurückzukehren, als Sebastian sie geweckt hatte. Es ärgerte sie. Schließlich stand sie auf und trottete müde zur Toilette. Nachdem sie sich erfrischt hatte, schlürfte sie in die Küche. Sie fand den kleinen Wasserkocher, der nur 600 Milliliter Fassungsvermögen hatte, niedlich. Als ihr Kaffee fertig war, trat sie auf den Balkon und schaute sich das Areal an. Der Herbst hatte die Blätter bunt gefärbt und es war nicht mehr so heiß, wie vor drei Wochen.

      Weit und breit waren keine Infizierten zu sehen. Zumindest nicht hier. Nur außerhalb hörte sie ein leises Fauchen und Scharren. Sie ignorierte es einfach, weil sie sich der Sicherheit der Mauer um das Grundstück bewusst war. Im Schlafanzug, bestehend aus T-Shirt und Boxershorts, genoss sie ihren Kaffee, rauchte eine Zigarette, bevor sie sich schließlich anzog. Sie folgte ihrem Mann in den Gemeinschaftsraum und kam zum Gespräch hinzu.

      *

      »Guten Morgen, du siehst ja richtig erholt aus«, staunte Bryan und lächelte ihr neckend zu.

      »Ich sehe immer erholt aus, wenn mir morgens keiner auf die Nerven geht«, zwinkerte sie ihm zu, nahm sich ihren zweiten Kaffee und setzte sich neben Melanie.

      »Der Holztrupp muss heute die Speere an der Mauer verteilen«, ordnete Railey an, trank einen Schluck aus seiner Tasse, während er mit strengem Blick das Klemmbrett inspizierte. »Der Bautrupp geht nachher an die Arbeit. Ich fände es schön, wenn wir das letzte Haus noch vor dem Winter fertigbekommen würden. Melanie, Rupert, Ava, Thomas und Ivy sind die Speertruppe, der Rest der Bautrupp«, fasste er noch einmal zum Verständnis zusammen und die anderen nickten.

      *

      Mit einem Handwagen voller Werkzeug und Macheten bewaffnet begab sich der Speertrupp vorsichtig vom Gelände, während die anderen zur Baustelle gingen.

      Sebastian wandte sich noch einmal seiner Frau zu, zog sie an sich und schaute sie mit seinen warmherzigen braunen Augen an. Er beugte sich herab und küsste sie liebevoll. »Pass auf dich auf, hörst du?«, bat er sie und strich ihr über die Wange.

      Ivy seufzte. »Ich schlüpfe durchs Tor, wenn was ist.«

      Er nickte und lief zu dem Bautrupp, der sich bereits an die Arbeit machte.

      Sie sah ihm hinterher und wandte sich danach dem Außenbereich zu, der vorerst von Wildschlag befreit werden musste. Mit ihren Macheten schlugen sie eine Schneise vor der Mauer frei und begannen eine Schutzvorrichtung aufzubauen.

      Schon Tage zuvor fertigten die Männer mehrere ›spanische Reiter‹ an. Einige junge Bäume hatten sie dafür im umliegenden Wald gefällt und die Speere x-förmig daran befestigt. Die Infizierten sollten daran stecken bleiben. Die blickdichten Flügel des Tores sollten mit einem halben spanischen Reiter versehen werden. Sobald diese geöffnet wurden, würden die Kreaturen an den Pfählen aufgespießt werden.

      Auch wenn die derzeitigen Temperaturen bedeutend angenehmer waren, so kamen sie beim Freischlagen der Mauer tüchtig ins Schwitzen. Ächzend kämpfte sich die Gruppe durch das Dickicht.

      Rupert hielt für einen Moment inne und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sein Blick schweifte an der Mauer entlang. Zwei Infizierte stolperten, angelockt durch das krachende Geäst, auf die Gruppe fauchend zu. »Wir kriegen Besuch«, meinte er und holte schnaufend Luft.

      Ivy und Melanie schauten auf, nickten sich zu. Entschlossen stapften sie zu den Infizierten und rammten ihnen die Klingen in die aufgeweichten, halb verwesten Schädel. Das dickflüssige, schwarze Blut spritzte aus der Austrittswunde, als sie die Klingen herauszogen.

      »Langsam

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