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      »Ersteres ist richtig. Aber das heißt noch lange nicht, dass das Baby den Virus in sich trägt. Beispiel gefällig?« Aufgeregt holte er ein Buch hervor, öffnete die Seite, in der er ein Lesezeichen hineingelegt hatte und zeigte es Ivy. »Mütter, die an Aids erkrankt beziehungsweise den HI-Virus in sich tragen und schwanger werden, übertragen nicht immer den Virus an das Kind. Das heißt, sie sind nicht immer gleich mitinfiziert. Natürlich muss man dabei bedenken, wie die Behandlung der Schwangeren verläuft, aber grundsätzlich besteht die Chance, dass das Kind keinen Virus bekommen hat. Vielleicht ist es hier das Gleiche!« Ivy nickte mit Gelassenheit im Gesicht. »Du glaubst mir nicht?«, hakte er leicht erbost nach.

      Sie begann zu schmunzeln. »Doch … aber meinst du nicht, dass es ein bisschen weit hergeholt ist? Wie willst du das beweisen? Du hast noch nicht mal ein Labor oder anderes Forschungsequipment, geschweige denn jemanden, der schwanger ist.«

      »Es gibt mit Sicherheit auch ein Labor dort, was wir leerräumen können. Stell' dir vor, wir könnten ein Heilmittel herstellen, was uns immun machen würde! Wäre es das nicht wert?«

      Ivy sah ihn nachdenklich an.

      Mit enttäuschtem Blick musterte Rupert sie, nahm ihr pampig das Buch über die Naturheilkunde aus der Hand und wandte sich von ihr ab.

      »Tut mir leid, aber … Du brauchst Testobjekte und vor allem das Wissen, sowas herzustellen. Ich glaube kaum, dass man das im Studium als Nebenfach hatte, oder?«

      Schwer enttäuscht sah er sie grimmig an und schnaufte laut.

      »Falls du aber ein Heilmittel herstellen könntest, wäre das der absolute Wahnsinn und wir wären alle gerettet«, versuchte sie ihn gütig zu stimmen. »Lies weiter deine Bücher und ich rede mit den anderen. Vielleicht finden wir im Krankenhaus die Dinge, die du brauchst um deine Forschung voran zu treiben.« Sie schritt zur Tür, zog ihre Stiefel an und schaute zu Rupert auf, der sie verstimmt ansah und ihr schließlich trotzig den Rücken zu kehrte.

      Wie ein kleines, bockiges Kind. Dabei soll er sich nicht auf diese Sachen versteifen und bei den Tatsachen bleiben. Ich will doch nicht, dass er enttäuscht ist, wenn es nicht klappt, dachte sie und verließ seufzend das Baumhaus. Ivy blieb einen Augenblick grübelnd davorstehen, bevor sie nach unten ging. Wie will er das alles nur bewerkstelligen? Er ist doch kein Wissenschaftler? Kopfschüttelnd ging sie mit vorsichtigen Schritten die mit Schnee bedeckte Treppe hinunter.

      Der Halbgott in Weiß nahm seine Notizbücher, setzte sich an den kleinen Tisch und schrieb seine ersten Gedanken hinein. Nach einer Weile legte er eine Pause ein und blickte aus dem Fenster. Die Schneeflocken tanzten in der Luft herum und ließen ihn nachdenklich werden.

      Wütend schlug er auf den Tisch. »Wie kann sie es nur wagen, sich über mich lustig zu machen!«, rief er entrüstet im Raum vor sich her und schüttelte den Kopf. »Ich bin der einzige, der sich überhaupt Gedanken über ein Heilmittel macht!«

      ***

      Kapitel 8

      Poughkeepsie, Baumhaushotel, Ivys Baumhaus

      28.März 2013, 10:00 Uhr

      Der Frühling schlich sich ins Land. Der Schnee schmolz und das Schmelzwasser ließ den Pegel des Hudson Rivers ansteigen. Der Fluss trat über die Ufer und überflutete einen Teil der verlassenen Stadt. Aber davon bekamen sie in der ehemaligen Ferienanlage nichts mit.

      Stattdessen begannen sie mit der Bewirtschaftung der Grünflächen. Sie bauten Gemüse und Weizen an. Sie nutzten dazu das Saatgut, was Aiden in seinem Lager hatte.

      Die Infizierten wurden wieder lebendiger. Als wären sie aus ihrer Winterstarre zu neuem Leben erwacht. Es schien, als wären sie schneller, vom Hunger getrieben.

      *

      Ivy hatte sich eine Erkältung eingefangen und lag mit schwerem Husten und Schnupfen in ihrem Bett. Rupert fand ein paar Medikamente in seiner Apotheke, die ihr Linderung verschafften. Während ein Teil der Bewohner auf Tour war, döste sie in ihrem Bett und kämpfte gegen die hämmernden Kopfschmerzen, die bereits in der Nacht angefangen hatten.

      Es klopfte an der Tür, aber Ivy vermochte nicht aufzustehen um diese zu öffnen. Es fühlte sich in ihrem Kopf an, als würde jemand mit dem Hammer gegen ihren Schädel schlagen.

      Melanie lugte durch den Türspalt ins Wohnzimmer. Als sie niemanden sah, betrat sie das Häuschen. In ihren Händen hielt sie einen kleinen Topf und stellte ihn auf die Herdplatte der Single Küche. Sie hob den Deckel hoch und fächerte sich den Geruch der frisch gekochten Brühe in die Nase. Leise schritt sie die Treppe zum Schlafbereich hoch und sah Ivy im Bett liegen. »Wie geht’s dir?«, erkundigte sie sich und begutachtete die Brünette besorgt.

      Ivy sah mit zerknautschtem Blick unter der Bettdecke hervor und zuckte kraftlos mit den Schultern. Prustend schob sie ihre Haare aus ihrem Gesicht, rieb die Stirn und räusperte sich. »Die Kopfschmerzen sind unerträglich heute«, klagte sie.

      »Du siehst blass aus. Ist dir schlecht?« Ivy nickte. »Ich habe dir etwas Suppe gebracht. Aiden hat drei Hühner geschlachtet.«

      »Sehr schön«, murmelte sie, richtete sich auf und lehnte gegen die Wand, während sich Melanie auf die letzte Stufe setzte. »Was machen die anderen?«

      »Die Jungs spielen Cowboy«, witzelte sie. »Auf einer Weide haben sie gestern ein paar Kühe entdeckt und haben beschlossen, diese her zu holen. Deswegen bauen Aiden und Klaas das Gatter.«

      Die bauen ein Gatter? Wie lange liege ich denn schon im Bett?, schoss es ihr durch den Kopf.

      Ivy nickte mit schmerzendem Haupt. »Hab‘ mich schon gewundert, was das ist. Das Geklopfe geht mir schon den ganzen Morgen auf die Nerven«, jammerte sie, seufzte und hielt inne. »Ich leg' mich wieder hin.«

      »Nein. Du solltest was essen. Noch ist es warm«, drängte Melanie. »Ich mache dir etwas in eine Tasse. Und dass isst du auf!« Kritisch riss Melanie die Augen auf und schritt vorsichtig die Treppe nach unten.

      »Ja, Mutti ...«, grummelte Ivy und zog sich eine Hose an. Auf wackligen Beinen schleifte sie kraftlos die Decke hinter sich her, setzte sich auf die kleine Couch und deckte sich zu.

      Melanie reichte ihr ein großes Gefäß mit der Suppe.

      Es war eine wohltuende Wärme, die sie durch die Keramik spürte. Vorsichtig schlürfte sie am Rand des Potts.

      »Das Gemüse ist aus der Dose, was anderes hatte Aiden nicht. Aber sie ist trotzdem sehr lecker«, warb Melanie überzeugend und sah sie innehaltend an. »Ich werd' jetzt gehen. Falls was ist, wir sind im Lager und machen Inventur.«

      Ivy nickte ihr nur zu und schlürfte vorsichtig die heiße Brühe. Dafür, dass es nur Büchsengemüse mit etwas Fleisch war, schmeckte es wirklich gut. Es war schon eine Weile her, als sie das letzte Mal eine kräftige Hühnersuppe aß. Sebastian mochte diese vor allem in der kalten Jahreszeit. Es war ein gutes Gefühl, die warme Mahlzeit in ihren Bauch zu spüren und ihr Magen gurgelte vor Freude laut vor sich her. Ihr Blick fiel auf die Notizbücher, die immer noch eingeschweißt auf dem kleinen Tisch lagen. Sie stellte die Tasse daneben, packte die Bücher aus und schlug eines auf ihrem Schoss auf. Am liebsten schrieb oder malte sie auf kariertem Papier, aber sie begann einfach mit dem Schreiben:

      ›Ich habe schon lange kein Tagebuch mehr geschrieben … Wie fängt man so etwas an? Liebes Tagebuch? … Okay. Wir haben eine vorübergehende Bleibe gefunden. Ein Zuhause, welches sich auch gut anfühlt. Ein Baumhaus, was euch bestimmt gefallen würde. Es tut gut in Sicherheit zu sein. Aber es ist auch gruselig, wenn man in der Nacht wach liegt. Als stünden sie direkt neben dir. Ich frage mich jeden Tag wie es euch geht und ob ihr gut aufgehoben seid. Wie gern würde ich einfach in den Flieger steigen und zu euch zurückkommen. Wir haben angefangen Weizen und Gemüse anzubauen. Wir müssen vorsorgen für den nächsten Winter. Aiden schlug letztens vor, Fleisch zu pökeln und einzukochen. Das habe ich vorher noch nie gemacht. Wir haben den ersten Winter überstanden. Ich bin krank und liege auf der Couch. Aber es wird langsam besser. Ich bin gespannt, wie alles noch verlaufen wird. Liebe Hailey, lieber Konrad.

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