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Hostessen mit Zusatzqualifikation gehen. Vielleicht arbeitet sie als Domina, das ist schließlich auch eine Art Führungskraft, eine Fachkraft auf jeden Fall. Auch ein schöner Tod für den Eisberg, an ein Stahlgitter gefesselt und mit Peitschenhieben gequält.

      Ich betrachte die Frau genauer. Kein Lack, kein Leder, nur ein ultrakurzer Stofffummel am Po und Absatzflipflops an den Füßen.

      Auf den Dingern könnte ich keinen Schritt gehen, aber mit ihnen auf den Eisberg einprügeln, das kann ich mir schon gut vorstellen. Obwohl sich dafür Stilettos besser eignen würden.

      Ich spüre, wie sich in meiner Brust erneut ein Kichern nach oben schieben will. Mundwinkel nach unten, Kerstin. Denk an den kranken Hund deiner Nachbarin, der seinen Weihnachtsknochen vermutlich im Hundehimmel abnagen wird.

      »Der Nächste bitte!« Eine mütterlich dauergewellte Mittfünfzigerin betritt die Wartezone. Sie trägt eine weiße, am Kragen mit roten Blümchen bestickte Bluse zu ihrem knielangen Trachtenrock, damit man erkennen kann, dass sie hier zu Hause ist. Wir armen arbeitslosen Wichte kauern in dicken Winterjacken auf unseren unbequemen Stühlen. Einen Getränkeautomaten gibt es nicht!

      Vier Looser-Boys sind vor mir dran. Schön, da kann ich ein bisschen in meinem Henker-Buch stöbern.

      Das Formular geht vor: Was ich bisher gearbeitet habe? Ob ich schon einmal arbeitslos war? Warum ich da bin? Ich habe Programmpunkt Nr. 3 entdeckt: 1, 2 oder 3 für Arbeitslose! Nicht Wer wird Millionär, es gibt schließlich keinen Telefonjoker und zu gewinnen höchstens ein Taschengeld.

      Endlich kann ich mich dem Henker widmen. Oder auch nicht! Einer der Looser-Boys hat das Fenster geöffnet und sich mit seiner Fluppe rausgehängt. So bleibt zwar der Qualm draußen, aber ein nervtötendes Scheppern kommt herein.

      Ich bereue es, dass ich meinen Ipod nicht mitgenommen habe und stehe frustriert auf, um herauszufinden, ob das noch lange so gehen wird. Wenn vor einem Gebäude ein Baucontainer aufgestellt wird und daneben ein Müllcontainer steht, weiß selbst der Dümmste, dass es sich um eine große Sache handelt. Wenn dann zwei Typen Metallstangen aus einem Gebäude schleppen und in den Container werfen, ist klar, dass das lange dauern wird. Sehr lange. Klirr, Knirsch, Schepper. Das einzige Mittel dagegen sind geschlossene Fenster, Kopfhörer oder Mord. Ich entscheide mich für geschlossene Fenster, was dem Looser-Boy mit der Fluppe nicht gefällt. Da ich meine Kopfhörer nicht bei mir habe, bleibt nur Mord. Bei der Lektüre des Henker-Buches stelle ich mir statt der armen Gehenkten, abwechselnd Looser-Bubi und die Handwerker vor.

      53 1/2 Seiten in meinem Henker-Buch und viele genüssliche Gedanken an die Folter des Eisbergs später ruft mich die künstlich gewellte Dame zu sich ins Zimmer.

      »Guten Tag, Ihren Personalausweis bitte«, begrüßt sie mich.

      Wo bin ich denn hier gelandet? Beim Bundesgrenzschutz?

      »Wir müssen schließlich wissen, mit wem wir es zu tun haben«, erklärt Frau Dauerwelle ihren Wunsch. Als ob jemand freiwillig in diesen Laden käme.

      Ich krame in meinem Rucksack nach meiner Geldbörse.

      Zum Glück trage ich meinen Ausweis immer bei mir. Nicht, um mich spontan ins Ausland abzusetzen, sondern für den Fall, dass ich ein Paket von der Post abholen muss.

      Ehe ich das Plastikteil an Frau Arbeitsamt weiterreiche, werfe ich einen unauffälligen Blick auf das Foto, das schon vor beim Ausstellen des Ausweises vor fünf Jahren nicht mehr aktuell war. Mir wird fast schlecht.

      Diese Brille, igitt, durch die riesigen Gläser sehen meine Augenbrauen wie dicke Raupen aus.

      Und meine Haare, langweilige braune Zotteln, die nicht wissen, ob sie auf der Schulter aufliegen sollen oder nicht.

      Über den Scheitel will ich lieber nicht sprechen, ich frage mich, warum der Fotografin nicht aufgefallen ist, dass er diagonal über den Kopf verläuft und nicht schnurgerade auf die Nasenwurzel zuströmt.

      Der Pickel, der sich am Kinn häuslich eingerichtet hat, fällt kaum auf, nur, wenn man sich das Bild genau ansieht.

      Aber mein Foto muss Frau Arbeitsagentur nicht interessieren.

      »Ich heiße Kerstin Junker, geboren am 27. Februar 1976 in Gerleve.«

      Mutti Arbeitsamt lächelt mich gütig an. »Das steht in dem Formular. Schön haben Sie das ausgefüllt. Das können nicht alle, wissen Sie?« Stolz überreicht sie mir weitere Formulare, zwei Broschüren und meine Kennkarte.

      Fast hätte ich losgeprustet. Die Karte ist nichts anderes als ein DIN A4 Blatt, das viermal gefaltet wurde – wie in einer billig produzierten Live-Show eben.

      Frau Dauerwelle schickt mich in den nächsten Warteraum. Hier gibt es kein Unterhaltungsprogramm, aber ich habe mein Henker-Buch und meinen Rachefilm im Kopf.

      Ich mache mir Notizen über Tötungsarten, die ich dem Eisberg zukommen lassen könnte: Wie wäre es mit Tot-Kitzeln. Ach nein, da müsste ich ihn anfassen. Womöglich friere ich mir die Finger ab. Kürzlich habe ich beim Friseur in einer Zeitschrift von einer Frau gelesen, der das passiert ist.

      Wieso liegen eigentlich hier keine Zeitschriften, die einen über die wahren Dinge des Lebens informieren?

      Weiter mit dem Henker! Wie ekelig! Ich muss bei der Auswahl der Tötungsart daran denken, dass ich kein Blut sehen kann. Die Kehle durchzuschneiden, scheidet leider aus. Schade, die Vorstellung, dass der Eisberg langsam ausblutet, ist nicht schlecht. Aber wenn ich ohnmächtig werde, findet man mich neben der Leiche.

      Nach sechzehn Seiten und mindestens ebenso vielen Foltervorschlägen darf ich zu meiner Arbeitsvermittlerin.

      Wie schön. Ich bekomme eine eigene Arbeitsvermittlerin. Sie ist nett, trotz der typischen Zuhause-Bluse. Ob das eine Arbeitskleidung ist?

      Ihre Haare sind allerdings nicht dauergewellt, sie hängen sozialpädagogisch glatt herunter, die Spitzen reichen fast bis zum Po. Wenn ich genau hinsehe, kann ich erkennen, dass die Bluse aus reiner Baumwolle ist. Die Bohnen für den Kaffee in ihrer Tasse wurden bestimmt von fair bezahlten Arbeitern geerntet.

      Am liebsten würde ich unter dem Tisch nachsehen, ob sie Birkenstocks trägt. Darauf verzichte ich, zumal sie als erstes freundlich feststellt, dass Kollegin Dauerwelle mich in die falsche Berufskategorie eingeordnet hat.

      Sie tröstet mich, dass sie immer häufiger solche Fälle wie mich betreuen muss. Soll ich Mitleid mit ihr haben?

      Eine neue Manager-Generation, die grundlos, aus reiner Willkür gutes Personal entlässt, erklärt sie mir.

      Das hilft mir nicht weiter, trotzdem sinniere ich mit ihr gemeinsam darüber, wo das hinführen mag.

      Dann verabschiedet sie mich und malt mit dem naturbelassenen Bleistift Strichmännchen auf einen Block aus Umweltschutzpapier, der auf ihrem öffentlich dienstlichen Schreibtisch liegt.

      Woraus wird eigentlich Umweltschutzpapier gemacht? Aus Altpapier, oder?

      Vielleicht kann ich den Eisberg in eine Maschine schaffen, die aus Altpapier Schreibpapier macht. Dann wäre er wenigstens von Nutzen. Die Arbeitslosen könnten ihre Anträge auf seinen Überresten schreiben.

       4 - Stein auf Stein, Conny

       Vindicta holte aus, zielte und warf den ersten Stein.

       »Getroffen«, jubelte sie und beobachtete fasziniert, wie sich von der Schläfe der Frau ein kleiner Blutstrom auf den Weg machte.

       »Binde mich sofort los«, schrie die Frau und beschimpfte Vindicta mit Worten, die sie sich nicht merken wollte. Sie spornten sie vielmehr an, zum nächsten Stein zu greifen, zu werfen, den nächsten Stein zu nehmen und erneut zu werfen. So lange, bis keiner der Kopfsteinpflastersteine, die sie auf einer illegalen Müllhalde gefunden hatte, mehr neben ihr lag.

       Vindicta zog eine kleine Champagnerflasche aus der Tasche und ein Glas. Sie füllte das Glas und ging auf den Stuhl zu, an den sie die Frau gefesselt

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