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Frau Junker«, die Kieksstimme versucht, mich einzulullen, »Sie haben bei Ihrer Anmeldung für unsere Foren Ihre Daten angegeben. Auch Ihre Telefonnummer«, erklärt er mir mit piepsiger, monotoner Stimme. Piepsig und monoton, der Typ ist richtig gut. Wem gelingt es schon, gleichzeitig piepsig und monoton zu klingen?

      »Frau Junker, sind Sie noch dran?« Blöde Frage, sonst hätte er ein Tuten in der Leitung. Wie unfähig Männer sind.

      »Wir verstehen, dass Sie in Ihrer Situation Gleichgesinnte suchen.«

      Oho, er hat meinen Beitrag gelesen.

      »Aber Ihre Geschichte passt nicht in die Rubrik Männer.«

      Hat der eine Ahnung. Eine Frau hätte sich niemals so aufgeführt wie der Eisberg.

      Wenn ich wenigstens ein Bild von dem Eisberg hätte, dann könnte ich ihn mit Dartpfeilen bewerfen. Ich habe zwar kein Dartspiel, aber das kann ich mir anschaffen.

      Wovon denn? Ich werde niemals mit dem Arbeitslosengeld auskommen. Keine Bücher mehr, kein Kino, keine CDs. Es wird Zeit, dass ich mir einen neuen Freund zulege, der mich einlädt und mir hin und wieder etwas schenkt.

      »Hallo, Frau Junker?« Dieses Mal klingt die Stimme schon wieder sexy, vermutlich, weil er zaghaft nachfragt.

      »Ja, ich bin noch da. Ich finde, mein Beitrag passt großartig in die Kategorie Männer.« Und davon werde ich auch nicht ablassen.

      »Das mag sein.«

      Aha, der Typ hat scheinbar auch Psychologie studiert, klienten-zentrierte Gesprächsführung, neurolinguistisches Programmieren oder Ähnliches: dem Gegenüber immer schön Zustimmung signalisieren. Und ihm das Messer in den Rücken stoßen.

      »Aber bei der Newsgroup handelt es sich um einen Treff für Schwule!« Was sag ich!

      Falls das G nicht aus meiner Luftröhre verschwunden ist, hat es keine Chance mehr. Ich pruste los.

      Ich kann nicht mehr aufhören zu lachen. Keiner ist da, der mich mit einer Ohrfeige stoppte. Karsten Denker versucht es wieder mit der sanften Tour.

      »Aber Frau Junker, Sie haben die gute Nachricht nicht gehört: Wir werden extra für Sie ein Forum zum Thema Arbeitslosigkeit einrichten. Das hätten wir längst schon machen sollen.«

      Die verbale Ohrfeige »arbeitslos« wirkt.

      Meine Ausgelassenheit schlägt in hysterisches Schluchzen um.

      Ich beende das Gespräch wortlos und werfe mich lang auf mein Bett.

      Mein grüner, langbeiniger Stofffrosch betrachtet mich mitleidig.

       2 - Ein Solo für den Solisten

       Vindicta saß am Fenster ihres Lieblingscafés und wartete. Der Schaum auf ihrem Cappuccino war nur noch eine hellbraune Decke auf dem dunklen Kaffee, als sie endlich ihr Signal empfing.

       »Zahlen«, rief sie und legte den Rechnungsbetrag zuzüglich des üblichen Trinkgelds auf den Tisch.

       Vor dem Café sah sie ihn auf den ersten Blick. »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten«, spielte er auf seiner Klarinette.

       Vindicta zuckte bei den falschen Tönen. Das würde ein Ende haben. Sie sprach den Mann an: »Ich würde sie gerne für ein Geburtstagsständchen engagieren. Ganz spontan. Geht das?«

       Der Mann nahm die Klarinette vom Mund und strahlte sie an. »Gerne, gerne!«, antwortete er, noch ehe sie ihm ein Honorarangebot gemacht hatte.

       »Dann kommen Sie gleich mit«, bat Vindicta und wandte den Kopf ab, damit der Mann ihr zufriedenes Lächeln nicht sah.

       Sie lotste ihn in ein Treppenhaus, das zu dieser Zeit leer war. Kaum war die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen, da bat sie ihn, zu spielen. Er sah sie verwundert an, kam ihrer Bitte jedoch nach.

       Als er die Klarinette an den Mund setzte, gab Vindicta ihr von unten einen Stoß und rammte die Klarinette in seinen Mund. Obwohl das Blut schon in Strömen herausschoss, hörte Vindicta nicht auf. Sie drückte wieder und wieder gegen das Instrument, bis der Mann zusammenbrach.

       Rasch verließ sie das Haus und kehrte in einem anderen Bistro ein, um sich den wohlverdienten Champagner zu bestellen.

      Pah, das wäre noch schöner, wenn mich so ein hergelaufener Eisberg, der nur aus Wasser besteht und nicht einmal Hirn hat, unterkriegen könnte.

      Nach einer halben Heulstunde stifte ich meinem nassen Plüschfrosch Fridolin eine Fahrt im Wäschetrockner. Kurze Zeit später grinst er mich zufrieden an. Gemeinsam hören wir die CD von Juliane Werding Du schaffst es.

      Der Eisberg wird merken, was er davon hat, auf mich zu verzichten. Ist dem eigentlich klar, dass das Unternehmen nur dank meiner Kreativität heute da ist, wo er es vorgefunden hat?

      Nun werde ich meine Kreativität eben anders einsetzen.

      Bei dem Gedanken an die fiesen Tötungsarten, die mir bereits eingefallen sind, läuft ein wohliger Schauer über meinen Rücken. Vermutlich war ich in einem früheren Leben Henker.

      Wo ist eigentlich dieses ekelige Buch Der Henker von sonst was, das ich als Teenager gelesen habe. Da gab es Foltermethoden, gegen die die heutigen Splatterfilme reinste Kindermärchen sind.

      Am besten gefällt mir die Vorstellung, den Eisberg irgendwo anzubinden und ihm scheibchenweise die Haut aufzuschlitzen. Der Gedanke fühlt sich gut an.

      Wo ist nur dieses verdammte Henker-Buch? Wie hieß der Autor?

      Ich beginne die zwanzig Bücherregale in meiner Wohnung abzusuchen. Auf Brett zweiunddreißig fällt mir Erich Kästners Fabian in die Hände. Das gehört mir überhaupt nicht. Das habe ich mir vor Jahren von meiner damaligen Freundin Caroline geliehen. Warum ist die Freundschaft eigentlich auseinandergegangen? Wegen des Buches, das ich nicht zurückgegeben habe? Ich muss sie unbedingt einmal anrufen.

      Auf einen kleinen Zettel schreibe ich »Caroline« und hefte ihn mit einem Katzenmagnet an die große Pinnwand. Das ist ab sofort meine Auftragswand, jeden Tag muss ich eine Aufgabe erledigen, damit ich mich jeden Abend über ein kleines Tagwerk freuen kann. Kleine Erfolgserlebnisse sind wichtig für das Ich. So etwas wie Schränke aufräumen, Briefe schreiben, die immer schon geschrieben werden sollen, Geschichten verfassen, die mir schon lange am Herzen lagen. Will ich Caroline das Buch zurückgeben?

      Ich lese den Klappentext. NEIN! Dieses Buch wurde vor 80 Jahren geschrieben. Warum muss es ausgerechnet um Arbeitslosigkeit gehen?

      Schon wieder dieses Unwort! Ich schlage verzweifelt mit dem Kopf gegen die Regalwand.

      Die ersten Bücher fallen auf mich. Das Regal gibt knirschende Töne von sich. Hallo, Kerstin, dieses ist ein nicht befestigte Metallregal, scheint es zu sagen. Zum Glück habe ich als Jugendliche Metallisch gelernt und verstehe, was es von sich gibt. Ich lasse mich nach hinten fallen und bleibe auf dem Boden liegen.

      Die Lampen könnten auch geputzt werden. Auftrag! Es lohnt sich immer, die Welt aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten.

      Vielleicht ist es sogar gut, dass ich nicht mehr in den Eisbergpalast muss. Womöglich wäre ich dort krank geworden. Vermutlich hat der Eisberg eine ansteckende Krankheit.

      Der Gedanke an den Eisberg, der schwitzend und um Luft ringend mit dicken, juckenden Blasen am ganzen Körper langsam stirbt, muntert mich auf.

      Ich stelle zum wiederholten Mal die CD an und singe laut und falsch mit: »Du schaffst es!« Genau, ich werde es schaffen!

      Das Telefon klingelt. Wieder einmal.

      »Hey, hier ist noch einmal Karsten Denker von Schwapp.de!«, begrüßt mich die fröhlich-kieksige Stimme, obwohl, ganz so kieksig klingt sie nicht mehr. Vermutlich hatte der Typ beim letzten Anruf eine Stimmbandentzündung.

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