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Höflichkeit zahlt sich immer aus. Bei einem vielleicht gut aussehenden Mann, dessen Stimme beim ersten Zuhören sexy klingt, ist sie jedenfalls nicht vergeudet.

      »Ich«, wenn ich gewusst hätte, dass er erneut anruft, hätte ich mir vorher eine Ausrede zurechtgelegt. Na, im Improvisieren war ich immer gut. Das Wichtigste dabei ist, dicht an der Wahrheit zu bleiben.

      »Äh, es gab eine Überschwemmung. Anscheinend ist die Waschmaschine kaputt.«

      Ich trage mein Telefon ins Badezimmer und werfe mir im Spiegel einen lobenden Blick zu. Alle Achtung, das war clever.

      »Das macht nichts. Soll ich Ihnen meinen Bruder vorbeischicken, der ist Flaschner!«

      Ich sehe mich im Spiegel verständnislos an.

      »Was soll ich mit einer Flasche?«, erkundige ich mich vorsichtig bei Herrn Schwapp.de.

      Seine Antwort ist ein albernes Kichern.

      Ich hasse es, wenn Männer kichern. Ob der Typ schwul ist? Schade, dann ist jede charmante Annäherung vergeudet.

      Der Mann kriegt sich nicht mehr ein.

      »Hallo, Herr Denker«, versuche ich vorsichtig, ihn daran zu erinnern, dass ich auf eine Antwort warte.

      »Ich«, er gluckst vor sich hin wie ein Liter Orangensaft in einer Glaskaraffe, »ich vergesse immer, dass die Nichtschwaben den Beruf nicht kennen.« Ein letztes Glucksen. »Flaschner ist die schwäbische Bezeichnung für einen Installateur.« Glucks.

      Na, da habe ich etwas gelernt: ein neues Wort und dass er mindestens dreihundert Kilometer entfernt von mir lebt. Ade, ihr Hoffnungen auf einen höflichen neuen Mann.

      »Vielen Dank, das ist nicht nötig«, lehne ich sein Angebot ab. Das fehlt mir gerade: dreihundert Kilometer Anfahrt für eine Reparatur, die nicht erforderlich ist.

      »Selbst ist die Frau!«, füge ich hinzu, um ihm gleich zu zeigen, mit wem er es zu tun hat.

      Das Schweigen am anderen Ende der Leitung dauert etwas zu lange. Mindestens so lange, wie man für das Denken des Satzes »Das habe ich gemerkt, als ich das erste Mal angerufen habe.« braucht.

      »Na, dann, will ich Sie nicht weiter stören. Ich wollte Ihnen nur kurz sagen, wie der Titel des Henker-Buches lautet: Der Henker von Paris. Aus den Memoiren des Henri Sanson. Viel Spaß beim Lesen. Auf Wiederhören!«

      Ich starre den Telefonhörer an.

      Tuuuuut, kommt aus dem Lautsprecher, aus dem ich eben noch die leicht sexy klingende Stimme von Herrn Schwapp.de vernommen habe.

      Das heißt, er verfolgt genau, was ich im Forum schreibe. Warum? Ist er im Nebenberuf Polizist und wartet darauf, eine Straftat zu vereiteln? Oder ist er ein Berufskiller, der bei Schwapp.de als Forenbetreuer untergetaucht ist? Egal, er ist weit weg und ich werde in Zukunft einfach vorsichtiger sein.

      Jetzt suche ich erst einmal das Buch Der Henker von Paris, da finde ich sicher einige Anregungen für Foltermethoden, die ich an dem Eisberg ausprobieren kann. Eine schöne Lektüre für meinen Besuch beim Arbeitsamt.

       3 - Eine Brücke für dich, Lea

       Schwer atmend lag Vindicta auf dem Dach der Regionalbahn. Sie wagte kaum, einen Schluck aus dem Champagner-Fläschchen zu nehmen. Ein Glas wäre bei diesem Projekt zu Bruch gegangen.

       »Und, Lea, wie fühlst du dich«, rief Vindicta und der Fahrtwind trug ihre Worte zu der Frau, die einige Meter entfernt auf dem Dach des Zuges saß. Mit großen flehenden Augen starrte sie Vindicta an. Sie versuchte ihr zu antworten, indem sie die Schultern bewegte. In ihrem Mund steckte ein weißes Tuch, ihre Hand- und Fußgelenke waren mit einem Kinderseil aneinander gefesselt, damit sie nicht nach hinten kippen konnte.

       »Warst du es nicht, die immer als Brücke zwischen Marc und mir dienen wollte. Eine nützliche Brücke, die sich einen der Brückenpfeiler schnappt.« Vindicta sah sich um. Die steinerne Brücke, die sie sorgfältig für diese Rache ausgewählt hatte, war in der Ferne bereits zu sehen. Sie nahm einen letzten Schluck und sagte: »Du weißt doch, kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort, große Sünden bestraft das Leben. In diesem Sinne: adieu.«

       Sie presste sich auf das Dach der Regionalbahn. Zwischen Dach und Tunneldecke war nicht viel Platz. Für einen sitzenden Menschen zu wenig, wie Vindicta feststellte, als die Bahn aus dem Tunnel herausfuhr und von Lea nicht viel übrig war.

      Das Arbeitsförderungsgesetz schreibt vor, dass sich jeder Arbeitslose unverzüglich bei seinem Arbeitsamt melden muss. So steht es in dem Kündigungsschreiben, das mir die Komplizin des Eisbergs überreicht hat.

      Interessant, dass ich ein eigenes Arbeitsamt besitze. Hätte ich nicht gedacht. Wer denkt sich solche Formulierungen aus? An dem für mich zuständigen Arbeitsamt, das jetzt Agentur für Arbeit heißt, komme ich bei jedem Stadtbummel vorbei.

      Wie dieses Haus aussieht! So stelle ich mir einen Teufelsbunker vor, nur dass der Teufel seine Hänsel und Gretel nicht mit Naschwerk locken muss. Seine Opfer werden ihm von Arbeitgebern zugeschoben!

      Als ich die Menschen vor dem Arbeitsamt sehe, bekomme ich Panik. Zu dieser Gruppe gehöre ich jetzt. Vor der Tür stehen einige Männer mit Bierflaschen in der Hand.

      Am liebsten würde ich mich wieder umdrehen. Andererseits habe ich lange und genug Arbeitslosenversicherung gezahlt. Da kann das Amt jetzt etwas für mich tun. Schließlich habe ich mir nichts zu Schulden kommen lassen.

      Wieso heißt es eigentlich Arbeitslosenversicherung? Weil die Arbeitslosen aus allen anderen Versicherungen ausgeschlossen werden? Typisch Deutsch! Im Restaurant bestellt man ein Jägerschnitzel, das nicht vom Jäger ist, und einen Kinderteller, auf dem kein Kind liegt. Irgendwo habe ich einen passenden Spruch von Brecht gelesen. »Autovertreter verkaufen Autos und Volksvertreter?«

      Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich froh über mein Studium. Ich darf die Bierflaschen-Gang verlassen und in den achten Stock fahren. Zum Fachvermittlungsdienst.

      Soweit ist es also schon, dass ich mich über eine Zwei-Klassen-Gesellschaft freue. Wie tief werde ich sinken.

      In Zimmer 1883 soll ich mich melden und gelange in den Livekanal für Arbeitslose, Big Looser auf dem Arbeitsamt oder so.

      Unterhaltungsprogramm Nr. 1: die Schnitzeljagd.

      Die Information im Erdgeschoss schickt mich zur Kundentheke im 8. Stock, eben Zimmer 1883.

      Kunde! Das muss man sich im Kopf zergehen lassen. Ein Kunde kommt freiwillig und wird wie ein König behandelt. Ich bin gespannt, ob das hier so sein wird.

      Auf der Theke steht ein Schild, dass die Theke wegen Arbeitskräftemangel nicht besetzt ist. Man möge warten, bis man aufgerufen werde. Vielleicht sollte ich umgehend eine Bewerbung als Thekenbesetzung schreiben?

      Programmpunkt 2 kann ich nicht nutzen: Beide Bildschirme mit Zugriff auf das Informationssystem des Arbeitsamtes sind belegt. Also sehe ich mich nur um.

      Ein Blick aus dem Fenster zeigt mir die graue Silhouette eines Förderturms.

      Wenn es mir gelänge, den Eisberg auf den Turm zu locken, könnte ich ihn hinabstoßen.

      Die Vorstellung von der riesigen Blut- und Wasserlache, aus der seine Hakennase hervorsticht, lässt mich kichern.

      Die Leute sehen mich verwirrt an. Anscheinend darf man im Arbeitsamt nicht lachen. Ich versuche meine Mundwinkel in eine passende Stellung zu bringen. In der Fensterscheibe sehe ich, dass sie nach unten hängen.

      Beinahe fange ich wieder an zu kichern. Schnell weg hier. Was lauert da auf der eineinhalb Meter hohen, grauen, zerkratzten Kundentheke auf uns Arbeitslose?

      Da liegt, versteckt unter dem Schreibkram einer wasserstoffblonden Tussi im Supermini, ein Formular, das ich ausfüllen muss.

      Das hätte man deutlicher platzieren können! Und überhaupt, ich denke,

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