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zusammen sitzen können. Glücklicherweise hatte ein Fluggast sich erbarmt und Emil bei Marlis sitzen lassen.

       Überhaupt hatte mich der Kurzurlaub in Valencia einige Nerven gekostet, da die Freunde, die wir besucht hatten, zwei sabbernde Vierbeiner und viel zu viel Zeit hatten, um sich um uns zu kümmern. Ein konstanter Wind, wie er wahrscheinlich im Frühling für Valencia ganz üblich ist, hatte die ganze Zeit Sand vom Meer in unsere Gesichter geschleudert und wie eine Sandstrahlmaschine meine Nerven bloßgelegt.

      Wir verließen also das Flughafengebäude und verhandelten kurz mit einem Taxifahrer, der 70 Euro bis Malpica de Bergantiños vorschlug und wozu wir zähneknirschend einwilligten.

      Der Fahrer, in einem blau, weiß und schwarz gestreiften T-Shirt ließ sich nochmals bestätigen, dass wir wirklich bis nach Malpica mit dem Taxi fahren wollten, dann warf er irgendwelche Unterlagen vom Beifahrersitz auf seinen Schoß, wo er sie ließ, obwohl es eine beträchtliche Behinderung der Fahrbequemlichkeit darstellen musste. Dicke blauschwarze Wolken türmten sich auf. Die nagelneue Autobahn, die tief in die Landschaft gefräst worden war, führte durch einen smaragdgrünen Wald, der an den Seiten weit oben auf den Felsen wuchs. Ich sah das Meer, es spiegelte kein Licht, war tiefblau wie ein Loch.

      Es wurde dämmerig, was den Fahrer dazu veranlasste, laufend das Fernlicht an- und abzuschalten. Ich mutmaßte, dass er extrem nachtblind war. Das Fernlicht bewirkte aber nur, dass die entgegenkommenden Fahrer geblendet wurden. Beunruhigt beobachtete ich, was er so tat, bis er tatsächlich um ein Haar auf ein Auto auffuhr. Ich hatte schon: „Careful!“ gerufen und mich mit den Händen am Armaturenbrett festgehalten, als er gerade noch voll bremsen und neben das Auto, das banal wegen einer Kreuzung angehalten hatte, lenken konnte.

      Wir erreichten Malpica, ein kleiner Ort, der auf einer felsigen Landzunge liegt. Auf der rechten Seite ist ein funktionierender Hafen und auf der linken ein brauchbarer Stadtstrand.

      Auf dem Hauptplatz wählte ich auf meinem Handy die Handynummer, die uns Señora Sanchez Brulles, die Wirtin für das Apartment, das wir mit Hilfe meines spanischen Kollegen telefonisch gebucht hatten, mitgeteilt hatte. Es meldete sich eine Frau, die aber kein Englisch sprach und die ihr Telefon einem Mann übergab, dessen rudimentäre Englischkenntnisse nicht zuließen, dass ich mich verständlich machen konnte, bis der einfach auflegte. Erstaunt sahen wir uns an, dann versuchte es Marlis noch einmal, aber auch diesmal legte er wieder auf. Ratlos verglich ich die Nummer mit dem, was ich notiert hatte und wählte wieder. Diesmal flehte uns der Mann in gebrochenem Englisch an, wir möchten ihn bitte nicht mehr belästigen. Ratlos standen wir herum, bis ich Marlis und Emil bei den Koffern zurückließ und in einem Hotel eine englisch sprechende Rezeptionistin um Hilfe bat. Schnell hatte sie die Haustelefonnummer von Señora Brulles herausbekommen und erlaubte mir, mit ihr zu telefonieren. Zum Glück war sie zu Hause und versprach zu kommen. Es stöckelte eine kastanienfarben gebräunte Frau mit hellblonden Haaren den schmalen Fußweg herunter und erklärte, dass leider ihre Mutter die Schlüssel für die Wohnung habe. Auch diese Dame traf irgendwann ein, mit einem übergroßen Hund, den sie wohl gerade ausführte. Dicke Speichelfäden hingen ihm aus dem Maul und er bellte ungeduldig.

      Im Zwielicht der schwachen Glühbirnen, die schirmlos an den Decken hingen, wirkte die Wohnung schlicht. Eigentlich richtig hässlich und bestenfalls praktisch. Die Vorführung des Gasherdes scheiterte, da die Gasflasche fast leer war und nur ein kleines hutzeliges Flämmchen erschien. Der Boiler ließ sich gar nicht erst entzünden und so stieg ich mit Señora Brulles auf den Dachboden. Sie beugte sich über etliche Flaschen, schwenkte sie etwas um festzustellen, dass sie alle ohne Inhalt waren. Das schummerige Licht färbte die Wand nikotingelb und ihr Blümchenkleid verblasste darin. Sie erklärte mir, ihre blonden Haare, die vielleicht sogar echt waren, außer die Haare ihrer Mutter waren auch gefärbt, nach hinten schüttelnd und ihr Dekolleté etwas aufblähend, dass sie morgen mit einer Gaslieferung rechne. Dann aber, versteckt hinter einem Bügelbrett, fand sie doch noch eine gefüllte Flasche. Sie erwartete natürlich, dass ich ihr unter die Arme griff und letztendlich musste ich die bleischwere Flasche alleine die Treppen hinunterwuchten. Sie balancierte unterdessen vorneweg. Ihre rasierten Beine wiesen die typische großporige Haut ausgerissener Haare auf. Ich war verwundert, dass ich dies sogar in diesem spärlichen Licht erkennen konnte, konzentrierte mich aber lieber auf die Stufen und meinen schwachen Rücken, damit ich mir nicht am Tag der Ankunft einen Hexenschuss zuzog.

      Bei einer genaueren Inspektion der Wohnung fiel der ätzende Geruch von scharfen Desinfektionsmitteln auf, mit denen man den Dreck der Vorgänger zu einem klebrigen Film über die braunen Bodenkacheln verschmiert hatte.

      Wir öffneten einige der Rollläden und konnten direkt auf den Hauptplatz des Dorfes sehen, der im gelben Licht der Straßenlampen recht romantisch wirkte. Trotzdem bekam ich etwas Sorge, was die Nachtruhe anging, da man die Konversationen der, die Straße entlangziehenden, Leute im Zimmer verstehen konnte - vorausgesetzt man wäre der spanischen Sprache kundig gewesen.

      Der abschließende Abstecher, in eine Kneipe und Tapas-Bar mit dem Namen ‚J&B‘, fiel kurz aus. Sie gehörte zu einem kleinen, fünfstöckigen, betonmodernen und zugleich maroden Hotel, von dessen Zimmern man bestimmt einen guten Blick über das Meer hatte. Die Luft war mild, das Meer rauschte im Dunkel. Weit draußen drehte sich das Licht eines Leuchtturms. Den wollte Emil sofort besuchen und weil man ihm dies nicht sogleich für den nächsten Tag versprach, fing er deswegen und aus Müdigkeit an zu weinen. Wir aßen frittierte Tintenfischringe, die in reichlich Öl schwammen. Emil nagte an Geschnetzeltem vom Schwein mit Pommes Frites.

      1 Zweiter Tag (Freitag, der 2. August)

      Ich schreckte aus dem Nichts hoch. Das Handy zeigte erst halb fünf. Hatte die Matratze bei jedem Umdrehen gekrächzt? Sicher war, dass die Müllabfuhr dagewesen war. Was für ein Gebollere und Getöse war das gewesen: gefahren, gehalten, gerattert und wieder gehalten, gescheppert, bis sie endlich das Zentrum des Dorfes durchquert hatte und es langsam wieder leiser geworden war. Möwen hatten geschrien, Autos waren losgedüst. Und es war Getrampel und Bettgerücke in der Wohnung über uns gewesen.

      Der Kühlschrank sprang an und arbeitete mit einem hohen Pfeifton. Ein zweites Müllauto zog durch das Dorf. Die Möwen kriegten sich gar nicht mehr ein. Immer mehr Autos ließen ihre Motoren aufheulen und pesten los. Es war, als führen sie mitten durchs Zimmer, manche, als wäre sonstwer hinter ihnen her.

      Ich fühlte mich wie eine Flunder auf die quietschenden Metallfedern gedrückt und stellte mir eine Welt ohne PKWs vor. Das sähe doch gleich ganz anders aus! Leiser sowieso. Am Flughafen hätte man sich Fahrräder mit Anhängern geliehen und wäre losgeradelt. Vielleicht mit einem kleinen Elektromotor, damit es bergauf nicht zu schwer ging. Wegen der Autos läuft doch die Evolution der Menschheit falsch! Fettsucht, Lungenkrankheiten, fatale Unfälle, all das wäre vermeidbar. Auf jeden Fall ist die Belästigung der Nichtautofahrer durch Autos eine Einschränkung des Menschenrechts auf ein autofreies Leben.

      Nun erwachte auch Emil und an Weiterschlafen war nicht zu denken. Also bin ich mit ihm und dem Netbook ins ‚Santiago Apostol‘ gegangen, einem Café gleich gegenüber unserer Ferienwohnung. Wir saßen draußen in der milden Luft, aber der Knirps nervte, denn er wollte weder Schreiben noch Malen, sondern stierte durch die Scheibe ins Caféinnere und dort auf einen breiten Fernseher, auf dem Nachrichten liefen. Soweit ich sie ohne Ton interpretieren konnte, hatte man herausgefunden, dass bei dem schweren Zugunglück vor einer Woche in Santiago de Compostela (70 Tote, 100 Verletzte) der Zugführer mit seinem Handy telefoniert und durch überhöhte Geschwindigkeit in einer Kurve das Unglück verursacht hatte. Die Reklame einer Zahncreme, die die Zähne weißer machen soll, löste die Nachrichten ab.

      Ermattet blickte ich über die Straße durch einen obskuren, vielleicht zwei Meter breiten, Spalt zwischen zwei Häusern auf den Hafen und das glitzernde Wasser. Wir aßen ein Croissant mit Zuckerguss, eigentlich nur ich, denn Emil fand das Innere zwar gut, aber den Zuckerguss ‚ungenießbar‘. Der Kamillentee, den ich bestellt hatte, war wegen der Sprachprobleme kein Kamillentee, sondern vielleicht Rotbuschtee. Emil weigerte sich, ihn auch nur zu probieren und hatte sich wieder dem Fernseher zugewandt.

      Auf dem Tresen des Cafés stand eine sehr große Orangenpressmaschine, in der von oben ganze Orangen hineinkamen

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