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von der aus eine Buslinie Lowestoft bediente. Ein Fahrer saß auf einem Picknicktisch und stierte rauchend auf das Wasser. Der Bus fuhr auch nur jede Stunde oder so. So konnte man sich das Leben als Busfahrer gefallen lassen.

      Wir setzten uns ans Fenster in den ‚Sailors Home‘ Pub und bestellten eine Portion ‚Wedges‘ (ungepellte, gebackene Kartoffelstücken) und ich mir ein Pint ‚Adnams‘, das ich am Vorabend so sehr vermisst hatte. Es schmeckte vorzüglich und während wir auf das Essen warteten, sortierten wir die Steine und legten kleine Mosaiken auf Papierservietten, die wir anschließend fotografierten.

      Nachdem wir uns mit der wirklich riesigen Portion dieser fetttriefenden Kartoffelstücken gestärkt hatten, suchten wir uns einen geeigneten Bus aus dem Fahrplan heraus und trotteten noch mal nach vorne ans Meer. Emil zog seine Schuhe aus und rannte ganz vergnügt in Socken über die Steine. Mit der russischen Schapka auf dem Kopf, wirkte das natürlich witzig und wir hatten viel Spaß dabei, uns von Kieshügeln Richtung Wellen hinunterzuschubsen.

      Der Bus fuhr durch das Dorfzentrum Kessinglands. Einen Kommentar über das Dorf als historische Heringsstadt werde ich mir schenken, da Sebalds Aufarbeitung der Geschichte des Heringsfangs in dieser Gegend eh grandios ist.

      Wir waren frühzeitig wieder in Lowestoft und holten unsere Rucksäcke ab. Tatsächlich war niemand im Bed and Breakfast und wir hätten das ganze Haus ausräumen können.

      Um die Sache mit dem Abendessen frühzeitig zu erledigen, gingen wir in ein ‚Fisch and Chips‘- Restaurant mit dem reizenden Namen ‚Nemo‘. Es war mehr so ein Imbiss in einem schreienden Violett mit weißen Streifen gehalten und auch dieses Essen war wieder nicht so überzeugend. Da verstand ich ja die Welt nicht mehr, wo wir doch sonst überall an den Küsten Englands in Devon, Cornwall, Norfolk, etc. hervorragende ‚Fisch and Chips‘ gegessen hatten, ließ hier in Lowestoft die Qualität arg zu wünschen übrig.

      Da wir immer noch zwei Stunden hatten, bevor unser Zug abfuhr, ‚überredete‘ ich Emil Fußball im ‚Notleys‘ zu sehen, damit ich mir vor der drögen Zugfahrt noch ein paar ‚Adnams‘ genehmigen konnte. Sie zeigten dort in Wirklichkeit Rugby, was Emil aber nicht allzu sehr störte, hauptsache es flimmerte Sport. Ich langweilte mich unterdessen in dem Horrordekor der Kneipe, mit all den Fähnchen, Teppichen, Blümchentapeten, Skulpturen, überhaupt so vielem Gedöns, dass mir wieder ganz schwindelig wurde. Dann war es so weit und wir hetzten zum Bahnhof.

      Viele der Fahrgäste im Zug nach Ipswich schienen ein langes Partywochenende im ‚Husch Husch - Club‘ hinter sich zu haben.

      1 2. Teil

      An der Costa da Morte, Galicien, Spanien vom 1. August bis zum 15. August 2013 und

      auf einer unbekannten Insel

      in der Nacht vom 11. bis zum 12. August 2013

      und

      in einer fremden Welt oder Zeit

      ebenfalls in der Nacht vom 11. bis zum 12. August 2013

      1 Erster Tag (Donnerstag, der 1. August)

      Wenn ich etwas gar nicht leiden kann, ist es reisen. Ich hasse das Gewarte, das Fahren oder Fliegen, das Herumtragen von Gepäck, einfach alles. Reisen ist für mich entblößend, so als hätte ich auf dem Weg zur Arbeit vergessen, meine Hose anzuziehen und es erst in der U-Bahn bemerkt, weil alle mich anstarren. Kaum hat man einen Rucksack oder einen Koffer dabei, ist man halbnackt. Dass neuerdings alle Koffer uniform sind, nützt kaum etwas, denn das Outfit eines Menschen mit dem Stempel ‚Reisender‘ im Gesicht, wird genaustens analysiert und es lässt sich wirklich viel Privates an ihm ablesen. Die Reisekleidung ist ebenfalls verräterisch. Für den Flughafen zum Beispiel ist sie praktisch gehalten, aber nicht zu alt und relativ schick. Die Socken haben garantiert bei keinem Flugreisenden Löcher, da man vielleicht die Schuhe ausziehen muss. Beobachtet man Reisende, kann man sofort erkennen, ob sie ihre Reise antreten oder sie zu Ende ist. Wenn sie gerade abreisen oder ihr Ziel erreichen, wirken sie unsicher und nervös, haben ein Luchsauge auf ihre Sachen und das Gepäck, denn es sind die Stücke, die normalerweise in irgendwelchen Schubladen zu Hause schlummern. Auf dem Rückweg sind sie ausgelassen oder müde, etwas abgeranzt und leicht abwesend, weil sie schon an Zuhause denken.

      Die U-Bahnfahrt zum Flughafen Heathrow war in vielerlei Hinsicht zäh. Mir gegenüber saß ein kleiner Mann, der eine Uhr aus blankem Kupfer trug, die nicht nur wegen des Materials surrealistisch an ihm wirkte, sondern weil sie so überdimensional groß war, dass sie weit über sein Handgelenk hinausragte und schlackerte.

      ‚Ein Mann, der Uhr ist, sonst nichts‘, dachte ich. Die Fahrt dauerte zwei Stunden. Durch die Innenstadt war die U-Bahn voll, so voll, dass Marlis und ich unseren Sitzplatz an Bedürftige hergeben mussten. Als sie im Westen Londons draußen fuhr, saßen wir auf der Sonnenseite und die Sonne brannte uns gebündelt auf den Pelz. Neben Marlis saß eine chinesische Familie. Der Vater fotografierte jedes Detail im Inneren der Bahn, jede Station und natürlich auch uns, erst mit der Kamera in seinem Handy und anschließend noch einmal mit einer digitalen Spiegelreflexkamera, zwischendurch laufend seinen Sohn etwas fragend, da er von moderner Technik anscheinend überfordert und verunsichert war. Die Mutter dachte wohl an nichts.

      In Heathrow angekommen und die Strapazen des Eincheckens hinter uns gebracht, lechzte Emil nach ‚Fish and Chips‘, da es dieses Gericht in Galicien ja nicht gäbe. Wir steuerten also die ‚Bridge-Bar‘ an. Eine zickige Kellnerin bremste uns, da sie uns den Platz erst anweisen wollte. Das erlaubten wir ihr halt notgedrungen, aber sie interviewte uns zuvor genauestens, ob wir auch wirklich zu speisen gedächten. Woraufhin ich, um sie zu ärgern, ausweichend Antwort gab, in der Art, dass wir uns vielleicht ein Mahl teilen wollten. Schließlich gewährte sie uns einen Platz in einer unschönen Ecke. Der ‚Asphall-Cider‘ (‚Asphall‘ ist ein alter Familienbetrieb für Apfelwein und Apfelessig aus der Grafschaft Suffolk), den man eiskalt sehr gut ertragen kann, der aber warm, wie jeder Cider, klebrig und eklig ist, war völlig unverständlicherweise tatsächlich nicht kalt. Da wahrscheinlich keine kühlere Version, als die gerade servierte zu bekommen war, kühlten wir ihn mit den Eiswürfeln, aus der Cola, mit der wir unseren ersten Durst gestillt hatten und die zu 90 Prozent aus Eiswürfeln bestanden hatte. Die honigmarinierten Hühnerbeinchen die Marlis probieren wollte, waren jedoch ganz anständig. Ein Mann in unserer Nähe forkte in der Panade seines Fischs herum, als wäre es eine Schuhsohle, was mich an unsere einschlägigen Erfahrungen in Lowestoft erinnerte. Emil dagegen haute rein.

      Der Flieger war dann ein Stündchen zu spät. Aber die spanische Billiggesellschaft war verglichen mit ihren Konkurrenten sehr human. Es gab Platzkarten und Familien mit Kindern wurde beim Einsteigen sogar Priorität eingeräumt, wodurch das Geschubse wegfiel. Da konnte man nicht meckern, allerdings ließ das graugelbe Design stark zu wünschen übrig.

      Der kleine Flughafen von A Coruña erinnerte stark an den Flughafen von Valencia, auf dem wir vor zwei Jahren wegen einer irischen Billig-Fluggesellschaft einen ganzen Tag hatten zubringen müssen. Das Flugzeug hatte einen Defekt gehabt und die Fluggäste hatten vom Morgen bis zum späten Abend warten müssen, bis eine Maschine eingetroffen war, die zunächst ihre planmäßigen Flüge zwischen Frankreich und London absolviert hatte, worüber man natürlich nicht informiert worden war. In dieser langen Zeit war es nicht erlaubt gewesen, das Flughafengelände zu verlassen und weil die Fluggäste keine Sitznummern hatten, hatten sie stundenlang, auf dem Boden sitzend, stehend oder liegend, in einer langen Schlange vor dem Schalter für den Flugsteig gewartet. Im Laufe des Tages wurde aber drei mal dieser Flugsteig geändert und die Menschen waren wie eine wildgewordene Rinderherde zu dem neuen Ausgang gehechtet, weshalb sich die Schlange jeweils von hinten nach vorne sortiert hatte. In dieser Zeit plante diese Fluggesellschaft sogar sich mit weiteren schrulligen Ideen, wie Stehplätze in den Fliegern und Geld für Toilettengänge, bei den Kunden noch unbeliebter zu machen.

      Die schon umgesetzten Ideen, wie Lotterien beim Fliegen, skurrilen Selbstbeklatschungen vom Band, wenn der Flieger pünktlich gelandet war (oder weil er gelandet war?) und anderen konstanten Werbe-Lärmbelästigungen trieben einen sowieso schon konstant zur Verzweiflung.

      Wir hatten jedenfalls den ganzen Tag in einem kleinen

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