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Tränke vor einem Stallgebäude führte. Die Stimmen spielender Kinder drangen an ihr Ohr, während sie die Frau im Gemüsegarten bemerkte. Anscheinend blieb ihr vorerst keine andere Wahl, als sich an diesem fantastischen Historienspiel zu beteiligen, solange sie sich hier vor den Birgern verstecken konnte.

      „Das sind meine Leute“, erklang hinter ihr eine freundliche Stimme. Erschrocken drehte Nela sich um. Unbeirrt sprach Till weiter, der sich im Schatten des Blockhauses aufhielt. „Eigentlich sind wir keine Bauern, sondern Krieger. Vor vielen Jahren wurde ich in den Dienst der Garde gerufen, so wie mein Vater und seine Väter vor ihm. Es ist die Berufung unserer Familie, in der Garde zu dienen. Sie kehrten alle zu ihren Familien zurück. Mir war es nicht vergönnt.“ Verwirrt runzelte Nela ihre Stirn.

      Während Till neben Nela in die Sonne trat, warf er die Kapuze seines Umhangs über seinen Kopf. „Ich erhielt die Ehre, ein Drauger zu werden. Nur sehr wenigen Menschen in der Garde kommt diese Ehre zuteil. Die Garde setzt sich aus Asen und Mitgliedern bestimmter menschlicher Familien zusammen.“ Nela schwieg, da sie ihre Unwissenheit über diesen authentischen LARP-Ort nicht verraten wollte. „Sie wissen nicht, wovon ich spreche.“

       „Ich…“, begann Nela ertappt, „... natürlich weiß ich, was die Garde ist.“

      Verstehend lächelte er sie an. „Und was sind Asen?“ Seine Augenbrauen wanderten fragend nach oben.

      „Die Bewohner von Asgard und außerdem Götter“, antwortete Nela.

      Anerkennend nickte Till. „Ich weiß, dass Sie eine Unwissende sind. Ich bin oft in Midgard. War es Absicht nach Asgard zu kommen?“ Nela schüttelte den Kopf. „Dann werden nicht nur die Birger nach Ihnen und Tristan suchen, sondern auch der Orden, Ihre Familie und vielleicht sogar die Polizei.“ Abwesend starrte sie auf den Boden, als wieder schreckliche Bilder von dem Angriff der Birger vor ihrem Auge erschienen.

      „Es tut mir leid“, murmelte Till einfühlsam, bevor er sich mit den Worten, „ich werde Ihnen Frühstück beschaffen“, alleine ließ.

      Aufgewühlt ging Nela zurück ins Hausinnere. Tristan stand auf der Treppe und atmete erleichtert auf, als er sie sah. „Ich habe mir Sorgen gemacht, weil du plötzlich verschwunden warst.“ Nela schenkte ihm ein entschuldigendes Lächeln.

      Augenblicke später erschien Jarick auf der Galerie. Er hielt sein Schwert in der ledernen Halterung. Der dazugehörige Gürtel war um die Scheide gewickelt. Auf direktem Weg ging er zu dem Tisch, griff nach der Weinflasche und zog den Korken heraus. Verwundert sah Nela ihn an, dass er am frühen Morgen schon Rotwein trank. Gehörte das auch zu dem Spiel? Beim besten Willen konnte sie sich nicht vorstellen, dass Jarick ein Alkoholproblem hatte. Während Till mit Bado zurück ins Haus kehrte, kam Runa die Treppe herunter.

      „Das Frühstück wird gleich hier sein“, verkündete Till gut gelaunt.

      „Ich habe die Pferde versorgt“, sagte Bado, während er sich an den Tisch setzte.

      „Danke“, erwiderte Tristan, der sich ebenfalls an den langen Holztisch niederließ. Nelas Blick flog wieder zu Jarick, der immer noch Wein trank. Till gesellte sich zu ihm, um sich auch den gegorenen Traubensaft einzuschenken. Missbilligend runzelte Nela ihre Stirn und setzte sich neben ihren Schicksalswächter.

      Mitfühlend sprach Runa sie nun an. „Es wird bestimmt alles wieder gut. Die Birger geben bald auf, dann könnt Ihr zu Eurer Familie zurückkehren.“ Ihre Stimme klang so zuversichtlich.

      „Sie sind tot“, brachte Nela nur stockend heraus. Warum sollte sie den Tod ihrer Familie verschweigen?

      „Das wusste ich nicht. Das tut mir unendlich leid“, stammelte Runa verlegen.

      Eine unangenehme Stille stellte sich ein, bis eine ältere Frau mit einem Tablett das rustikale Blockhaus betrat. Behilflich eilte Till ihr entgegen und nahm das Frühstück. Brot, Käse, Obst und zwei Krüge stellte sie auf den Tisch. Jarick holte für seine Gäste Becher und Holzteller.

      „Danke Gelsa“, nickte Till freundlich der Frau zu, als sie in der Tür stand und ihn warm anlächelte. Zaghaft nahm sich Nela eine Scheibe Brot und Käse. Durstig trank sie von dem Wasser in ihrem Becher.

      „Wie sieht unser Plan aus?“, fragte Bado mit vollem Mund. Er war voller Tatendrang.

      „Unentdeckt nach Folkwang gelangen“, erwiderte Jarick und nahm einen Schluck seines Weins.

       „Wie lange dauert es bis nach Folk…“

      „…wang“, half Jarick Nela, indem er auch gleich ihre Frage beantwortete. „Auf direktem Weg nur wenige Tage. Aber wir werden einen Umweg nehmen, da die Gefahr zu groß ist, dass uns die Birger auf der Hauptstraße entdecken. Dementsprechend wird sich die Reise verlängern.“

      „Ihr kennt den Palastnamen Eurer Anführerin nicht?“, entfuhr es Runa verwundert. Hilflos schaute Nela zu Tristan, der sich räusperte, aber noch mit sich haderte, dafür eine Erklärung zu geben.

      „Nela ist eine Unwissende“, sagte Jarick ernst. „Ich denke, Bado und Runa sollten es wissen, wenn sie uns begleiten.

      „Außerdem hat Tristan vieles nicht gelernt, was wir von ihm erwarten würden“, fügte Till erklärend hinzu. „Midgard unterscheidet sich zu Asgard.“

      „Ich habe davon gehört, dass es in Midgard Unwissende gibt, die zu unserer Welt gehören“, begann Runa nachdenklich. „Für Euch muss Asgard sehr mysteriös und seltsam sein.“ Nela nickte nur. Und wie seltsam und mysteriös ihr das alles vorkam!

      Schweigend beendeten sie das Frühstück, dabei dachte Nela flüchtig über die letzten Tage nach. Denn nur langsam löste sie sich aus ihrem Schutzkokon, der sie davor bewahrte, durchzudrehen. Sie war doch nur von ihrer Wohnung losgefahren, um bei ihren Eltern dem alljährlichen Familientreffen beizuwohnen. Nun waren alle tot, sie saß in einer altertümlichen Blockhütte irgendwo in Norddeutschland und skurrile, aber nette Menschen wollten ihr in ihrer Notlage helfen. Sie vertraute diesen Menschen immer mehr, vor allem ihrem Schicksalswächter, der ihr so furchtlos das Leben gerettet hatte.

      Jeder suchte seine Habseligkeiten zusammen, packte Proviant ein, anschließend wurden die Pferde gesattelt. Nela ritt hinter den Männern her und betrachtete Jarick und Till nachdenklich, weil nur sie bei diesen sommerlichen Temperaturen ihre schwarzen Umhänge trugen, während Bados dunkelbrauner Umhang hinter ihm auf dem Rücken des Pferdes lag. Jarick führte noch ein weiteres Pferd mit, das mit Proviant und anderen nützlichen Dingen fürs Übernachten im Freien bepackt war.

      Beeindruckt von dieser unberührten Natur ließ sie ihren Blick über die herrliche Landschaft schweifen. Die Schönheit und die Einsamkeit vermittelten einen trügerischen Frieden, denn jederzeit konnten die Verfolger auftauchen und den Albtraum fortführen, aus dem sie einfach nicht aufwachen wollte.

      Dunkle, bedrohliche Wolken zogen auf, die nur allzu gut zu ihrer Gefühlsverfassung passten. „Es wird bald regnen“, stellte Nela besorgt fest, daraufhin schaute Jarick zum Himmel. „Es wird noch eine Weile trocken bleiben.“

      Entschlossen sich auf keinen Fall dem nahenden Regen auszusetzen, trieb Nela ihre Stute an und schloss zu Jarick auf. „Wir sollten uns vor dem Unwetter eine Unterkunft suchen.“

      „Hier gibt es keine Unterkunft. Wenn es so weit ist, werden wir Schutz suchen“, entgegnete Jarick ihr strikt.

      „Wir brauchen aber einen Unterschlupf“, blieb Nela beharrlich.

      Erstaunt über ihre Hartnäckigkeit stoppte Jarick seinen Hengst. Daraufhin brachte auch Nela ihre Stute zum Stehen. „Nein. Es ist viel zu gefährlich, eine Herberge aufzusuchen.“ Während die anderen langsam weiterzogen, lenkte Tristan sein Pferd zu ihnen.

      „Irgendeine Scheune würde auch schon reichen“, konterte Nela. Ungläubig schaute Jarick sie an. Hatte ihm noch nie jemand widersprochen?

      „Nela, bitte“, forderte Tristan sie auf. „Jarick kennt sich hier aus. Wir sollten ihm vertrauen.“ Widerwillig gab sie nach, denn Tristan hatte damit Recht, dass sie Jarick vertrauen mussten. Er kannte den Weg aus diesem Albtraum.

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