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      Laura blockte ein wenig ab. "Ich habe in jeder freien Minute gejobt. Durch mein Studium wurden meine Sprachkenntnisse immer besser, und schon damals hab ich mir durch Übersetzungsarbeiten etwas dazu verdient." Mathilda nickte, es sah aus, als sei sie zufrieden mit dem, was sie gehört hatte. "Du scheinst ein sehr tapfere Mädchen gewesen zu sein. Es ist gut, wenn eine junge Frau heutzutage genau weiß, was sie will", sagte sie. "Ich denke, Matthias hat eine gute Wahl getroffen."

      Zum Mittagessen erwartete man die Familie im Speisesaal, einem großen Raum mit hoher Stuckdecke und Türen, die auf eine Terrasse hinausführten. Einen Augenblick lang blieb Laura am Eingang stehen und schaute sich voller Bewunderung um. Nicht nur der Raum an sich faszinierte sie durch die hübsche, halbhohe Holzvertäfelung, die alten Gemälde in den vergoldeten Rahmen und die mächtigen Kronleuchter an der Decke, sondern auch die lange Tafel, die an Festtagen mindestens dreißig Personen Platz bieten konnte, versetzte sie in Staunen. Heute allerdings blieben die meisten der Plätze leer, es war nur für acht Personen gedeckt. Matthias und sein Vater waren noch nicht aus Heidelberg zurück, deshalb war Laura neugierig, wer außer den Familienmitgliedern, die sie schon kannte, noch zum Essen erscheinen würde. Unschlüssig schaute sie sich um, sie wußte nicht, wohin sie sich setzen sollte.

      Mathilda hatte sie beobachtet und quittierte ihr Staunen mit einem fast unmerklichen aber stolzen Lächeln. Sie nahm Lauras Arm und führte sie an das Ende der Tafel, wo sie sich auf den Stuhl setzte, der der Stirnseite am nächsten war. "Komm, mein Kind, setz dich zu mir", sagte sie wohlwollend und wies neben sich. Mit einem Hinweis auf die Stirnseite meinte sie: "Dies ist der Platz des Hausherren, und uns gegenüber, an seiner linken Seite, sitzt normalerweise Matthias als sein ältester Sohn."

      Obwohl Laura sehr beeindruckt war, fühlte sie sich nicht sonderlich wohl. Falls derartige Gepflogenheiten wie gemeinsames Essen mit strenger Sitzordnung im Hause Riva zum täglichen Ritual gehören sollten, wußte sie nicht, wie lange sie das würde ertragen können. Sie wollte ihr eigenes Leben führen und nicht nur ein Rädchen im Getriebe einer Großfamilie sein. Sie nahm sich vor, mit Matthias darüber zu reden.

      Allmählich fanden sich auch die übrigen Familienmitglieder ein: Michael und Jenny mit ihren beiden Kindern, eine betagte Tante des Familienoberhauptes und deren Pflegerin, eine adelige Dame, deren Namen Laura nicht verstanden hatte.

      Jenny und die Kinder brachten ein bißchen Wirbel und Normalität mit sich, denn die zwölfjährige Sandra war schlechtgelaunt und maulte, weil sie keine Zeit mehr gehabt hatte, ihr neues T-Shirt anzuziehen, und der zweijährige Sebastian klopfte ungeduldig lärmend mit seinem Löffel auf den Teller. Jenny gab sich alle Mühe, beide zu beschwichtigen, ihr war nicht entgangen, daß die Schwiegermutter bereits mit leisem Vorwurf zu ihnen herüberschaute. Das allerdings schien sie nicht weiter zu stören, denn lachend und in aller Ruhe nahm sie Sebastian den Löffel aus der Hand, versteckte ihn unter einer Serviette und fuhr dann ihrer Tochter liebevoll über die Wange. "Nach dem Essen, Schätzchen, versprochen."

      Sie winkte Laura zu. "Wie du hörst und siehst haben unsere Beiden ihre ganz eigene Art, sich vorzustellen", sagte sie lachend. Sandra war verlegen geworden und warf dem neuen Familienmitglied einen schelmisch lächelnden Blick zu, den Laura mit einem Zwinkern erwiderte.

      Inzwischen hatte Theresa begonnen, das Essen aufzutragen, und die Kinder machten lange Hälse, schon bevor alle Schüsseln auf dem Tisch standen. Auch das schien Mathilda nicht sonderlich zu gefallen. Obwohl sie schwieg, behielt sie ihre Enkel doch fest im Blick.

      "Einen guten Appetit!", rief jemand, und alle anderen dankten und stimmten mit ein.

      Mathilda neigte sich ein wenig zu Laura hinüber. "Einen guten Appetit, mein Kind."

      "Danke", antwortete Laura, blickte in die Runde und nickte allen zu. "Danke. Einen guten Appetit."

      Matthias' Appartement lag im Ostflügel. Obwohl es sich um einen in sich abgeschlossenen Wohnbereich handelte, war die Tür meistens unverschlossen. Er hatte angeordnet, daß man Laura zunächst das Gästezimmer richtete, das etwas abseits der Wohn- und Schlafräume lag.

      Theresa, die Laura mit unbewegter Miene geführt hatte, öffnete die Tür und ließ sie eintreten.

      "Danke, Theresa."

      Die junge Frau neigte fast unmerklich den Kopf und zog sich wieder zurück.

      Laura schaute sich im Zimmer um. Im Gegensatz zu Mathildas Salon und dem pompösen Speiseraum war es einfach aber modern eingerichtet, mit hellen praktischen Möbeln und einer mit dunkelrotem Stoff bezogenen Couchgarnitur. Der Teppich und die hübschen Vorhänge vor den beiden Fenstern, die in einen parkartigen Garten hinausschauten, waren farblich auf die Polster abgestimmt. Es gefiel ihr, daß dieser Raum einmal ihr Arbeitszimmer werden sollte. In einigen Tagen würden ihre Möbel aus Hannover kommen und mit ihnen ihr Computer und die Arbeitsunterlagen. Sie ging davon aus, daß sie nach der Hochzeit, spätestens in etwa vierzehn Tagen, bereits soweit sein würde, ihre Arbeit wieder aufnehmen zu können. Die Zusage ihres Chefs, von Wallberg aus Aufträge für das Übersetzungsbüro erledigen zu dürfen, war ausschlaggebend dafür gewesen, daß sie Matthias' Vorschlag, so bald wie möglich zu heiraten und ihm ins Herrenhaus zu folgen, so schnell akzeptiert hatte. Ihre Flitterwochen wollten sie im Spätherbst mit einem Ski-Urlaub verbinden, bis dahin würde sich auch Matthias für eine Weile von seinen Aufgaben in der Kanzlei freimachen können.

      Theresa, oder ein anderer dienstbarer Geist hatte Lauras Tasche vor einem der Schränke abgesetzt. Sie hatte gerade damit begonnen, sie auszupacken und sich nach einem geeigneten Platz für den Inhalt umzusehen, als ihr Handy klingelte. Es war Matthias.

      "Hallo Schatz." Er klang gutgelaunt. "Bist du gut angekommen?"

      Laura freute sich, seine Stimme zu hören. "Oh ja, alles hat bestens geklappt. Michael und Jenny haben mich heute früh abgeholt, und vorhin haben wir alle zusammen in dem faszinierenden Speisesaal zu Mittag gegessen."

      Matthias lachte. "Er ist beeindruckend, nicht wahr? Er wird immer sehr bewundert, wenn wir Gäste haben."

      Er machte eine kurze Pause, dann fragte er: "Und wie war die erste Begegnung mit Mutter? Ich wette, du hast einen sehr guten Eindruck auf sie gemacht."

      "Wir müssen uns erst noch ein bißchen besser kennenlernen und aneinander gewöhnen", antwortete sie. "Aber ja, sie war sehr nett zu mir, daher glaube ich schon, daß sie mich mag."

      "Was nicht sonderlich schwer ist." Matthias lachte wieder, dann fragte er: "Was machst du denn jetzt gerade?"

      "Theresa hat mich in mein zukünftiges Büro geführt. Es ist sehr schön. Und nun bin ich dabei, meine Tasche auszuräumen."

      "Du kannst das Zimmer ganz und gar in Beschlag nehmen, es gehört dir. Vater und ich werden so gegen fünf Uhr zu Hause sein, dann zeige ich dir alles andere. Vielleicht können wir uns ja schon mal überlegen, wo und wie wir deine Möbel unterbringen, wenn sie ankommen. - Ach Laura, Schatz, du glaubst nicht, wie sehr ich mich freue, daß du jetzt hier bist."

      "Ich freue mich auch, Matthias. Ich kann es kaum erwarten, dich endlich zu sehen."

      "Es dauert nicht mehr lange. Deine erste Nacht auf Riva...", er lachte leise, "die wird etwas ganz Besonderes werden."

      "Ja, bestimmt." Laura mußte flüchtig an die Nacht im Dorfkrug denken, schob die Erinnerung daran aber schnell wieder fort.

      "Ich muß Schluß machen, Liebes", sagte Matthias, "die Arbeit ruft. Also bis später."

      "Ja, bis später."

      Als er aufgelegt hatte, ließ sich Laura in einen der Sessel fallen. Jetzt war sie also bei Matthias im Riva-Haus. Zusammen mit ihm würde sie ihr neues Leben gestalten, so, wie sie beide es sich vorstellten. Daran würde auch Mathilda mit ihrem vornehmen Salon, dem pompösen Speisesaal und der strengen Sitzordnung nichts ändern. Sie würde keine Theresa brauchen, um ihren Haushalt in Ordnung zu halten, keine Köchin, die für Matthias und ihre Gäste kochte. Und dieses hübsche Zimmer, - sie schaute sich zufrieden um, - würde ihr Arbeitszimmer werden und ihr ganz persönlicher Bereich sein. Dafür war sie Matthias dankbar. Sie seufzte tief. Es hatte gutgetan, seine Stimme

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