ТОП просматриваемых книг сайта:
Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel
Читать онлайн.Название Traum oder wahres Leben
Год выпуска 0
isbn 9783738074062
Автор произведения Joachim R. Steudel
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Joachim R. Steudel
Traum oder wahres Leben
Gifuto - Das Geschenk
Inhaltsverzeichnis
Kinderwunsch und Abschied von Sendai
Die neue Heimat, Dauerregen und Ronin
Das Wiedersehen
Schon seit geraumer Zeit lief die junge Frau suchend durch Lauscha. Sie hatte fast den ganzen Ort durchwandert und auf Grund der Gebirgslage einige Straßen auch mehrfach erkundet. Nun lief sie zum zweiten Mal an dieser Straßenbaustelle vorbei, und die Männer dort blickten sie wieder mit unverhohlener Neugier an. Sofort stellte sich bei ihr dieses ungute Gefühl ein. Sie fühlte sich durchschaut, erkannt und erniedrigt.
Nur schnell vorbei, dachte sie, doch das sollte ihr nicht gelingen. Einer der Bauarbeiter steuerte direkt auf sie zu.
Nachdem er sich mehrfach bewundernd über die junge Frau geäußert hatte, wurde er von seinen Kollegen so lange angestachelt, bis er allen Mut zusammennahm und auf sie zuging. Sie bemerkte das und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken oder umgekehrt, doch dazu war es bereits zu spät.
»Hallo, Sie sehen so suchend aus, kann ich Ihnen helfen?«
Oh, der scheint ja recht freundlich und nicht nur auf eine dumme Anmache aus zu sein, stellte sie erleichtert fest.
»Ja, vielleicht. Ich suche das Haus eines Bekannten und habe dummerweise seine Adresse nicht aufgeschrieben«, antwortete sie ausweichend.
»Wie heißt denn ihr Bekannter? Lauscha ist überschaubar, vielleicht kenne ich ihn ja.«
Ihr Gesicht hellte sich auf.
»Günter Kaufmann heißt er, und nach den Bildern, die er mir gezeigt hat, wohnt er in einem relativ neuen Einfamilienhaus. Er hat vor etwas mehr als einem Jahr seine gesamte Familie bei einem schweren Verkehrsunfall verloren.«
Das Gesicht des Bauarbeiters veränderte sich schlagartig und mit einem traurigen Blick deutete er nach rechts den Hang hinauf.
»Dort oben, hinter den zwei größeren Häusern, ist eine schmale Zufahrtsstraße, an der mehrere neue Einfamilienhäuser stehen. Das vorletzte gehört Herrn Kaufmann. Wenn Sie hier vorn rechts einbiegen, sich an der nächsten Kreuzung links halten und anschließend immer wieder rechts abbiegen, können Sie es nicht verfehlen.«
»Danke!«, sagte sie hocherfreut und wollte sich auf den Weg machen, doch der Bauarbeiter hielt sie noch einmal auf.
»Warten Sie! Etwas muss ich Ihnen noch sagen! Ich weiß nicht, wann und wo Sie Herrn Kaufmann zum letzten Mal gesehen haben, doch seit dem Unfall hat er sich sehr verändert. Ich wohne ganz in der Nähe, und wir haben uns früher manchmal getroffen, aber nach dem Tod seiner Familie war er nicht mehr derselbe. Erst war er total am Boden und nur noch ein Schatten seiner selbst. Er hat sein Geschäft vernachlässigt, und viele haben schon befürchtet, dass es den Bach runtergeht. Manchmal ist er, ohne zu sagen wohin, einfach verschwunden und Tage später erst wieder aufgetaucht. Dann hat er ohne irgendeine Begründung sein Geschäft plötzlich abgegeben. Man munkelt, er hätte so eine Art Aktienfonds eingerichtet und diesen unter seinen Angestellten aufgeteilt. Die fähigsten von ihnen hat er zur Leitung der Firma bestimmt und ihnen alle weiteren Entscheidungen überlassen. Er soll zwar bei Fragen und Problemen immer noch zur Verfügung stehen, aber ansonsten kümmert er sich nicht mehr um das Geschäft.«
Er holte tief Luft und schüttelte den Kopf.
»Ich sehe ihn noch ab und zu, doch ich habe das Gefühl, dass er jetzt ein ganz anderer Mensch ist. Er meidet den Kontakt mit anderen und sucht die Einsamkeit. Manchmal habe ich ihn in den Bergen stundenlang still an einem Fleck sitzen sehen, und er schien nichts um sich herum wahrzunehmen. Irgendwie ist er sehr seltsam geworden. Also wenn Sie ihn von früher her kennen, dann sollten Sie keinen überschwänglichen Empfang erwarten.«
Sie lächelte ihn an und sagte:
»Danke für den Tipp, aber ich denke, er wird mich schon erwarten. Wir haben uns erst vor einigen Tagen zufällig getroffen und hatten ein langes und interessantes Gespräch. Also nochmals danke für alles und: Auf Wiedersehen!«
Mit diesen Worten wendete sie sich ab und folgte dem beschriebenen Weg.
Ihr nachdenklich nachschauend, ging der Bauarbeiter zurück zu seinen Kollegen, und diese empfingen ihn mit neugierigen Worten:
»Eh, das war ja anscheinend eine sehr erfolgreiche Anmache! Du hast ihr wohl gleich den Weg zu dir nach Hause beschrieben?«