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Mal sehr wohl an den Namen erinnern und deshalb nahm er von Anfang an eine abweisende Haltung ein, zumal Charlotte in seinem Sprechzimmer keine Erkältung mehr vortäuschte, sondern sofort auf den wahren Grund für ihren Besuch zu sprechen kam.

      „Mein Name ist Charlotte Schultheiß und ich habe vor einigen Monaten erfahren, dass Sie mein Vater sind.“

      „Offensichtlich ist die Tochter genauso impertinent wie die Mutter. Ich habe damals deiner Mutter gesagt, dass ich sie verklagen würde, falls sie jemals behauptet, dass ich dein Vater sei. Nun, das ist lange her und unter vier Augen kann ich dir ja heute sagen, dass ich tatsächlich dein Vater bin. Aber für dich gilt das Gleiche wie für deine Mutter, falls du das jemals in der Öffentlichkeit behauptest, werde ich auch dich verklagen. Nun hast du mich kennengelernt, hier hast du Geld für deine Rückreise und nun verschwinde und lass dich hier nie wieder blicken.“

      Charlotte lief weinend aus der Praxis und fuhr noch am selben Tag nach Fulda zurück. Im Zug entschied sie, dass dieser Mensch nicht ihr Vater sei, damit war für sie diese Angelegenheit beendet und Alfons war wieder ihr geliebter Vater. Allerdings war ihre Beziehung zu ihrer Mutter für sie immer noch unerträglich, was sich sofort nach ihrer Rückkehr erneut bestätigte.

      „Und, kennst du jetzt deinen Vater? Hat er sich gefreut, seine Tochter endlich kennenzulernen? Wahrscheinlich hat er dich gleich als seine Erbin in sein Testament aufgenommen.“

      „Nein, du hattest Recht, er hat sich nicht gefreut, mich zu sehen, ganz im Gegenteil, er hat mich mit ein paar Mark abgespeist und mich dann aus seiner Praxis rausgeschmissen. Er will mich nie wiedersehen. Bist du jetzt zufrieden, dass sich deine Meinung erneut bestätigt hat?“

      „Ich brauchte keine Bestätigung für meine Meinung, ich wusste, dass er ein Schwein ist. Aber ich bin froh, dass es dir auch nicht besser gegangen ist als mir. Vielleicht weißt du ja jetzt endlich, dass ich die einzige bin, auf die du dich verlassen kannst.“

      „Ja, das stimmt, auf deine Gemeinheiten kann ich mich wirklich verlassen.“

      „Du undankbares Rotzblag, wer hat denn für dich all die Jahre gesorgt, wer hat denn das Geld herbeigeschafft und sich anschließend noch zu Hause abgeschuftet, während du und dein Stiefvater euch nur vergnügt und auf der faulen Haut gelegen habt. Der Krüppel hat doch nicht für dich gesorgt, die paar Mark, die er jetzt verdient hätten dich doch auch nicht am Kacken gehalten. Geh mir bloß aus den Augen!“

      „Wer hätte dich alte Jungfer denn noch geheiratet, wenn nicht mein Papa gewesen wäre!“

      Es wäre gar nicht nötig gewesen, dass ihre Mutter einen Schuh nach ihr warf, Charlotte rannte ohnedies schon aus der Wohnung. Die Tränen liefen über ihre Wangen, als sie durch das Dorf rannte, sie lief bis zum nahegelegenen kleinen Wald, wo sie sich auf eine Bank setzte und auf das Dorf schaute. Hier blieb sie lange sitzen, ohne dass sie in der Lage gewesen wäre, einen klaren Gedanken zu fassen, doch nach und nach wurde ihr immer klarer, dass sie es einfach nicht länger aushalten wollte, von ihrer Mutter ständig so schikaniert zu werden und deshalb gab es nur eine einzige Lösung, sie musste ihre elterliche Wohnung verlassen. Zwar würde dies auch eine Trennung von ihrem Vater bedeuten, doch sie würden sich ja immer noch sehen können.

      Ein viel größeres Problem schien ihr die Frage zu sein, wie sie ihr Leben finanzieren sollte. Mit ihren sechzehn Jahren konnte sie natürlich schon Geld verdienen, aber sie wollte die Schule nicht aufgeben und deshalb würde das Geld, das sie in ihrer Freizeit verdienen kann, sicherlich nicht ausreichen, um die Miete für ein eigenes Zimmer zu bezahlen und noch genug zum Leben zu haben. Dann kam ihr der Gedanke, in Fulda zum Jugendamt zu gehen und dort um Hilfe zu bitten.

      Noch vor dem Ende der Sommerferien fuhr sie nach Fulda zum Jugendamt, wo man sie zu einer Frau Gisela Weichelt schickte. Frau Weichelt war eine sehr korpulente und sehr freundliche Frau, die sich geduldig Charlottes Geschichte bis zum Ende anhörte.

      „Es ist gut, dass sie zu mir gekommen sind, ich kenne viele Mädchen, die in der gleichen Situation sind wie Sie und so manche von denen ist schließlich auf der Straße gelandet. Aber wenn wir die Sache in aller Ruhe und geduldig angehen, wird sich das mit Sicherheit vermeiden lassen. Sie müssen nur noch eine Weile zu Hause durchhalten, denn als erstes muss ich mir ein Bild von Ihrer häuslichen Situation machen und dazu werde ich Ihren Eltern einen Termin mitteilen, an dem ich sie besuchen werde. Es wäre gut, wenn bei diesem Termin auch Sie selbst und Ihr Vater anwesend sein könnten. Bitte versuchen Sie bis dahin möglichst alle Auseinandersetzungen mit Ihrer Mutter zu vermeiden und vor allem gehen Sie wieder regelmäßig zur Schule, wenn die Sommerferien in der nächsten Woche vorbei sind. Wir sehen uns dann in etwa vier Wochen, so lange dauert es leider, bis ich einen Termin für einen Hausbesuch frei habe. Bis dahin alles Gute.“

      Charlotte war nach diesem Gespräch erleichtert und absolut zuversichtlich, dass es ihr gelingen würde, endlich ein Leben ohne ihre Mutter und ohne ihre Wut und ihren Hass führen zu können. Um den nächsten Streit zu vermeiden, erzählte sie ihrer Mutter natürlich nichts von ihrem Besuch beim Jugendamt, sie wusste nur allzu gut, dass der Brief vom Jugendamt noch früh genug den nächsten Wutausbruch hervorrufen würde. Dieser Brief kam bereits nach einer Woche, allerdings stand als Grund für den Hausbesuch lediglich „Gespräch über Ihre Tochter“ in diesem Brief, sodass Charlottes Mutter immer noch nicht wusste, worum es wirklich gehen würde. Vielmehr gingen ihre Vermutungen in die völlig falsche Richtung.

      „Was hast du denn jetzt schon wieder angestellt? Mit dir kommt man einfach nicht zur Ruhe. Aber ich sage dir, wenn das Jugendamt dich in ein Heim stecken will, werde ich nichts dagegen unternehmen. Ganz im Gegenteil, dann bin ich dich endlich los und dann werde ich deinen Krüppel von Stiefvater auch noch aus dem Haus schmeißen, damit ich endlich mal ein vernünftiges Leben führen kann.“

      Frau Weichelt hatte den Termin für den Hausbesuch so gelegt, dass Alfons von seiner Frühschicht bereits zu Hause war und Erika noch nicht zur Arbeit gegangen war, auch Charlotte war schon von der Schule nach Hause gekommen. Frau Weichelt begrüßte jeden Einzelnen mit Handschlag und machte denselben freundlichen Eindruck wie im Amt. Erika hatte kein Interesse an einem längeren Gespräch, deswegen bot sie Frau Weichelt weder einen Platz noch etwas zu trinken an.

      „Ich will gar nicht wissen, was meine Tochter angestellt hat, von mir aus können Sie meine Tochter gleich mitnehmen, dann herrscht hier endlich Ruhe.“

      „Könnten wir uns vielleicht erst einmal hinsetzen und zur Ruhe kommen? Es gibt da doch einige Details zu besprechen, die man nicht auf die Schnelle erledigen kann.“

      „Wenn es unbedingt sein muss, aber ich muss bald zur Arbeit, damit diese beiden Faulenzer auch was zu essen kriegen.“

      „Liebe Frau Gerber, lieber Herr Gerber, Ihre Tochter Charlotte hat nichts angestellt, sondern sie ist zu mir gekommen, weil sie sehr unter ihren häuslichen Verhältnissen leidet und deswegen gerne hier ausziehen und sich ein kleines Zimmer in Fulda nehmen möchte, wo sie dann alleine leben kann.“

      „Das ist ja wohl der Gipfel, sie leidet unter den häuslichen Verhältnissen. Ich will Ihnen mal was sagen, seit Jahren schufte ich mich ab und füttere diesen Bastard und diesen Krüppel durch. Ich kann mich nicht erinnern auch nur jemals eine freie Minute gehabt zu haben. Aber was soll’s, soll sie doch gehen, ich lege ihr keinen Stein in den Weg, ganz im Gegenteil, dann wird es hier endlich ruhiger und ich habe eine Person weniger zu versorgen. Wie ich schon sagte, nehmen Sie sie einfach gleich mit.“

      „Ganz so einfach ist das nicht, Frau Gerber. Wenn ich zu der Überzeugung komme, dass die häuslichen Verhältnisse für Charlotte unzumutbar sind, dann darf Charlotte nicht nur hier ausziehen, sondern Sie müssen ihr einen Unterhalt zahlen, der an Ihrem Einkommen bemessen wird. Ich will Sie darüber durchaus nicht im Unklaren lassen, dass ich bereits jetzt den Eindruck habe, dass es für Charlottes weitere Entwicklung besser ist, wenn sie hier auszieht. Ich werde Ihnen deshalb in den nächsten Tagen einen Fragebogen zuschicken, auf dem Sie genaue Auskünfte über Ihre Einkommensverhältnisse geben müssen, dazu sind Sie gesetzlich verpflichtet.“

      „Ich soll jetzt auch noch weiter für dieses Rotzblag bezahlen, das kommt doch gar nicht in Frage. Jetzt reicht es mir aber, mach dass du aus meiner

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