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ich ja schon ins Gras, bevor es so weit kommt.“

      Ellen schüttelte den Kopf. Josephines flapsige Art über ihre Krankheit und das Sterben zu reden, fand sie noch immer sehr befremdlich.

      „Ich glaube, ich würde mir so etwas schon von einem Arzt sagen lassen. Er macht das jeden Tag und weiß, von was er redet. Ich muss mir ja jetzt auch darüber Gedanken machen, wie ich das machen soll, wenn ich Hilfe brauche. Ich habe ja niemanden, der sich um mich kümmert, wenn es mir während der Chemo schlecht geht.“

      „Warte erst mal ab, vielleicht trifft es dich nicht so schlimm. Manche stecken eine Chemo besser weg als andere. Mir ging’s leider sehr schlecht, deshalb wollte ich dir davon auch abraten.“ Im gleichen Atemzug fuhr Josephine fort: „Du wolltest also das Zimmer wechseln, ja?“ Ellen spürte wie sie rot wurde. Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte und schaute beschämt zur Seite.

      „Weißt du, dass du die erste bist, die geblieben ist“, fragte Josephine. „Vor mir hat bisher jede Reißaus genommen. Meistens wegen meiner Udo-Jürgens-Marotte.“ Ellen schaute erstaunt zu ihr rüber und Josephine zwinkerte ihr schelmisch zu.

      „Die Udo-Jürgens-Marotte kannte ich ja noch nicht, als ich gestern das Zimmer betrat und bereits nach wenigen Minuten wieder gehen wollte. Nein, es war wegen deiner komischen Ratschläge und einfach, wie du übers Sterben und die Krankheit geredet hast.“

      „Ach so, ja, das war auch schon oft der Grund gewesen, warum ich bereits nach kurzer Zeit alleine im Zimmer lag“, antwortete Josephine. „Sachlich übers Sterben zu reden ist tabu in unserer Gesellschaft. Dabei wird es früher oder später jeden von uns treffen. Da kommt keiner drum rum.“ Ellen, die fand, dass es einen Unterschied zwischen sachlich und geschmacklos gab und es noch immer unangenehm fand, über das Sterben zu sprechen, fragte, um das Thema zu wechseln: „Was hat es denn mit Udo Jürgens eigentlich auf sich?“

      „Ach, das erzähl ich dir ein anderes Mal“, antwortete Josephine und nahm ihr Strickzeug wieder auf.

      „Und warum musst du bloß immerzu sticken?“ bohrte Ellen weiter. „Soll das ein Pullover werden? Für wen soll der denn sein?“ Josephine hielt kurz inne und starrte gedankenverloren vor sich hin. Dann strickte sie weiter, ohne Ellens Frage zu beantworten. „Und noch was“, fragte Ellen, die merkte, dass Josephine auf diese Frage keine Antwort geben wollte. „Wenn es dir finanziell so gut geht, wie du sagst, warum bist du dann eigentlich nicht Privatpatientin? Dann musst du dir auch keine Sorgen um Mitpatienten machen und du bekommst immer ein Einzelzimmer.“

      „Ich mach mir doch gar keine Sorgen um Mitpatienten!“ antwortete Josephine. „Die wollen ja nie bei mir bleiben, nicht umgekehrt. Aber Spaß beiseite“, fuhr sie nun ernst fort. „Ich bin keine Privatpatientin, weil ich nichts von Sonderbehandlungen halte. Klar, ich hätte ein Einzelzimmer, das ich meistens sowieso habe.“ Sie kicherte. „Ich hätte besseres Essen und schöne Bettwäsche und hätte eine Garantie, vom Chefarzt operiert zu werden. Na und? Du hast ja gesehen, was das für ein gefühlskalter Klotz ist. Mein Mann wurde als Privatpatient behandelt und: Er ist doch gestorben. Daran konnte kein Arzt der Welt was ändern. Alles Augenwischerei. Wenn du gehen musst, musst du gehen.“

      Am Nachmittag, Josephine war noch immer im OP, brachte eine Krankenschwester die Informationen über Ellens anstehende Chemotherapie in Form einer Broschüre vorbei. Sie nahm sich lange Zeit für ein persönliches Gespräch. Kurz darauf fand sich Ellen im Sprechzimmer des Onkologen wieder. Die Einverständniserklärung war unterschrieben, die ersten Schritte wurden besprochen und das alles innerhalb eines Nachmittages. Noch nie in ihrem Leben war Ellen so spontan gewesen. Warum ausgerechnet jetzt?

      4

      „Josephine, bist du schon wach?“ Ellen beugte sich über das Bett ihrer Zimmergenossin. Sie war gerade von der Aufwachstation eingetroffen. Noch etwas benommen antwortete Josephine: „Verdammt, ich lebe ja immer noch. Und das nach so viel Portwein gestern.“ Ellen lächelte. Selbst halb sediert gab sie bissige Bemerkungen von sich. „Na, die Narkose scheint dir auch nicht zu viele Hirnzellen genommen zu haben, wenn du noch weißt, dass wir gestern Abend Port getrunken haben“, scherzte Ellen und legte ihre Hand auf die von Josephine. Diese kämpfte gegen die Benommenheit. Die Narkose war noch nicht vollständig abgeklungen. „Ich trink immer Port vor einer OP. Das hilft mir, mich zu entspannen und schmeckt besser als jegliches Beruhigungsmittel, das sie dir hier geben“, murmelte Josephine. So fit wie sonst fühlte sie sich nach dieser OP nicht. Normalerweise steckte sie OPs trotz ihres Alters ganz locker weg, zum Erstaunen der Ärzte.

      „Ich kann mir nicht vorstellen, dass du vor einer Operation nervös bist. Übrigens, ich darf nach Hause. Hab heute Nachmitttag den Entlassungsbrief bekommen. Die Ergebnisse der Blutuntersuchung sind recht schnell zurückgekommen und ich muss wohl doch nicht noch einen Tag länger hier bleiben. Die meinten, ich bin ja jetzt öfter hier, das muss nicht alles stationär laufen.“ Ellen machte eine Pause, weil sie nicht sicher war, ob Josephine wieder eingeschlafen war. Als diese die Augen wieder öffnete, fuhr Ellen fort: „Meine Chemo beginnt nächste Woche Dienstag. Ich muss einmal die Woche herkommen und das zwei Wochen in Folge, dann hab ich vierzehn Tage Pause.“ „Die wirst du brauchen“, sagte Josephine mit etwas kräftigerer Stimme. „Kann gar nicht fassen, dass du das machst. Aber ich glaube niemand, der das nicht schon selber durchgemacht hat, kann nachvollziehen, was da auf einen zukommt.“ Ellen hatte keine Lust, noch einmal über dieses Thema zu sprechen. Sie hatte sich entschieden und wollte sich davon auch nicht mehr abbringen lassen. „Wunderst du dich gar nicht, warum ich noch da bin, obwohl ich schon vor Stunden entlassen worden bin?“ „Woher soll ich denn wissen, wann das war? Ich war doch im OP“, antwortete Josephine knapp. Natürlich, daran hatte Ellen gar nicht gedacht. Woher sollte Josephine wissen, wie lange das schon her war. „Ich habe extra auf dich gewartet. Meine Sachen sind schon gepackt und du hast wohl auch eine neue Mitbewohnerin. Das Bett in der Mitte ist aufgedeckt und es sieht aus, als sei der Schrank auch schon eingeräumt.“ Ellen sah zu ihrem ehemaligen Bett hinüber. Vor nicht einmal 24 Stunden hatte sie da noch gelegen, voller Angst und Verzweiflung, hatte geweint und nicht gewusst, wie sie mit ihrer Diagnose fertigwerden sollte. Bereits nach so kurzer Zeit hatte diese Frau, die jetzt in ihrem Bett so hilflos aussah und die sie noch kaum kannte, etwas in ihr verändert. Konnte das wirklich sein? Ellen hatte sich noch nie so schnell jemandem anvertraut wie dieser „alten Dame“. Sie konnte nicht von sich sagen, dass sie viele enge Freunde hatte. Ihr Beruf hatte ihr dazu wenig Zeit gelassen. Da die meisten ihrer alten Freunde schon lange Familie hatten und somit ein ganz anderes Leben führten als sie selbst, waren Freundschaften irgendwie auf der Strecke geblieben. Vor einem Jahr hatte sie sich von ihrem langjährigen Partner, Ralf, getrennt und seitdem keine neue Beziehung mehr angefangen. Eigentlich ein schlechter Ausgangspunkt für eine unheilbare Krankheit, dachte Ellen. An wen sollte sie sich wenden, wenn es ihr schlecht ging? Das alles fühlte sich aber gar nicht mehr so schlimm an, während sie da am Bett von Josephine Althoff saß. Irgendwie gab diese Frau ihr eine Art Sicherheit. War es, weil sie das gleiche Schicksal teilten? Angst hatte Ellen zwar trotzdem vor dem, was kommen würde. Alles war irgendwie erträglicher, wenn sie mit Josephine darüber sprach.

      Jäh wurde sie aus ihren Gedanken gerissen: „Ellen, setzt du mir bitte noch meine Kopfhörer auf, bevor du gehst?“ Ellen verdrehte die Augen. „Udo Jürgens?“

      „Derselbe“, antwortete Josephine mit einem müden Lächeln.

      „Ich sehe schon, deine neue Zimmergenossin muss wohl auch erst die Feuertaufe bestehen, was?“ Ellen beugte sich über den Nachtschrank und holte den CD-Player aus der Schublade. Dabei nahm sie wahr, dass Josephines Strickzeug in der Schublade lag, aber nicht als fast fertiger Pullover wie gestern, sondern fein säuberlich aufgetrennt und als Knäuel aufgewickelt neben den Stricknadeln. Daneben lag ein Bild, auf dem ein Mann in kariertem Hemd und Strickjacke zu sehen war. Die Strickjacke war im gleichen Farbton, wie die Wolle, die in der Schublade lag. Neben dem Mann stand eine schick gekleidete Frau. Das war eindeutig Josephine, nur etwas jünger. Es musste also ein Bild von ihr und ihrem verstorbenen Mann sein, schlussfolgerte Ellen.

      Aber warum hatte Josephine all das, was sie so fleißig gestrickt hatte wieder aufgetrennt?

      „Kannst

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