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Die Krebs-WG. Sara M. Hudson
Читать онлайн.Название Die Krebs-WG
Год выпуска 0
isbn 9783748587552
Автор произведения Sara M. Hudson
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Gut, Frau Bleckmann. Wir werden ihnen die Informationen zu ihrer Chemotherapie im Laufe des Tages vorbeibringen. Wenn sie sich dafür entscheiden, müssten sie sich in der Onkologie vorstellen. Dort wird dann alles Weitere veranlasst. Wir sollten unverzüglich mit der Therapie beginnen, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Die Therapie würde nicht stationär von statten gehen. Sie könnten also schon heute oder spätestens morgen mit einer Entlassung rechnen.“
„Dann werde ich also nicht operiert?“, fragte Ellen unsicher.
„Das würde gegebenenfalls erst nach der Chemothereapie geschehen, wenn die Tumore geschrumpft sind. Allerdings nur an den Stellen, an denen sie auch entfernt werden können. Bei Ihnen wären das….“ Er warf einen Blick in Ellens Krankenakte. „… eigentlich nur an der Brust und den axillaren Lymphknoten. War der soziale Dienst gestern bei Ihnen?“ Ellen schüttelte den Kopf. Vielleicht hatte sie ihn verpasst, als sie in der Cafeteria gewesen war, oder als sie geschlafen hatte. „Der hätte eigentlich schon mit Ihnen gesprochen haben müssen. Ich werde das sofort veranlassen.“ Damit war die Sache für den Arzt erledigt und er fuhr fort, ohne von seinem Clipboard aufzublicken: „Nun zu ihrem kleinen zwischenmenschlichen Problem. Sie wollten in ein anderes Zimmer verlegt werden? Wir haben…“
„Nein, nein, nein“, fuhr ihm Ellen ins Wort. „Das hat sich erledigt.“ Sie schaute kurz zu Josephine hinüber und lächelte etwas beschämt. Sie hatte ihr von ihrem Vorhaben nach dem netten gemeinsamen Abend gestern natürlich nichts mehr erzählt.
„Gut, gut. Es ist ohnehin nichts freigeworden. Und da sie ja nun entlassen werden…“, antwortete Chefarzt Rehn und widmete sich, ohne seinen Satz zu Ende zu sprechen, Josephine Althoff.
Ellen bekam alles von dem Gespräch mit und konnte gar nicht fassen, wie souverän Josephine mit all dem Gesagten umging. Zur OP würde sie heute im Laufe des Vormittages abgeholt werden. Es wäre ein letzter Versuch, ihre Beschwerden etwas zu lindern, nachdem die letzte Behandlung auch nicht den erwünschten Erfolg gebracht hatte. Trotzdem müsse sie mit starken Schmerzen rechnen, die auch nach der OP früher oder später unvermeidlich kommen würden, wenn sich der Krebs immer weiter ausbreitete. Ob sie schon einen Pflegedienst zu Hause hätte. Sie könne sich gerne mit der Dame vom Sozialdienst darüber unterhalten, die im Laufe des Nachmittages auch bei ihr vorbeischauen werde.
„Nö“, antwortete Josephine unbeschwert. „Noch krieg ich meinen Kram ganz gut alleine hin und wenn es soweit ist, kann sich der soziale Dienst ja dann darum kümmern. Dafür hat man ihn doch, oder?“ Der Chefarzt zog missbilligend die Augenbrauen nach oben. Er war mit derart provokativen Antworten dieser Patientin vertraut. Dieser Kommentar war noch relativ mild für ihre Verhältnisse. „Ihre Entscheidung“, antwortete er schließlich gefühlskalt. „Sind ihre Angehörigen über die Situation informiert?“ Zum ersten Mal konnte Ellen Wut in Josephines Stimme hören als sie dem Doktor zähneknirschend und etwas lauter als normal antwortete: „Wenn sie mal in Ihre Akte schauen, Herr Doktor, werden Sie sehen, dass ich bis auf eine Nichte keine Angehörigen angegeben habe, die man informieren könnte. Das hatte ich Ihnen persönlich auch schon mehrere Male gesagt. Und meine Nichte interessiert das eh nur, weil sie mein Haus und meine Kohle will. Ich bin ja nun auch nicht das erste Mal auf dieser Station und diese Frage haben Sie mir schon das letzte Mal gestellt, als ich nach der letzten Chemo mit einer Lungenentzündung hier lag und Sie mir prophezeit haben, dass ich in drei Monaten den Löffel abgeben werde. Nun, hier bin ich noch immer, neun Monate später und habe keinen Familienzuwachs bekommen.“
Der Doktor kniff seine Lippen zusammen und schwieg. Kein Wunder wollte keiner mit dieser Frau in einem Zimmer bleiben. Was Frau Bleckmann dazu bewegt hatte, ihre Meinung zu ändern, verstand er nicht.
Schließlich antwortete er emotionslos: „Ja, richtig. Tut mir leid, aber Sie sind nicht meine einzige Patientin, Frau Althoff. Ich kann mir nicht die Familienverhältnisse all meiner Patientinnen merken.“ Als von Josephine keine Antwort mehr kam, sagte er nach einem kurzen Blick in die Akte: „Also dann, bis später im OP. Brauchen Sie noch ein Beruhigungsmittel?“
„Nein, Sie vielleicht?“ war Josephines gehässige Antwort und schon widmete sie sich wieder ihrem Strickzeug. Die Weißkittel, die Professor Dr. Rehn wortlos begleitet hatten und denen dieser auch keine weitere Erläuterung zu den beiden Patientinnen gegeben hatte, zogen gesenkten Hauptes ab. Auch ihnen war diese Situation sichtlich unangenehm gewesen.
Die beiden Frauen waren wieder alleine.
„Du musst schon Klartext mit den Halbgöttern in Weiß reden, sonst machen die mit einem, was sie wollen und behandeln dich wie ein Versuchskaninchen“, schnaubte Josephine und strickte aufgeregt weiter.
„Aber so kann man doch nicht mit einem Arzt reden“, antwortete Ellen kopfschüttelnd.
„Und warum nicht? Es ist doch auch unmenschlich vom ihm, wenn er mir zum x-ten Mal reindrückt, dass ich keine Angehörigen mehr habe. Fachlich mag er ja sehr kompetent sein, aber den Umgang mit Menschen kann man über ein Studium nicht erwerben. Aber mach dir keine Sorge, der kriegt genug bezahlt, dass er eine solche Kritik von einer Patientin schon mal ertragen kann.“ Ihre Ausdrucksweise klang so gar nicht wie die einer 68-jährigen, betuchten Rentnerin, die einmal eine Führungsposition in einer Firma gehabt hatte, dachte Ellen. Eher wie die eines rebellischen Teenagers.
„Aber er hat doch recht, wenn er sagt, dass er nicht die Geschichte aller Patientinnen auf dieser Station behalten kann“, antwortete Ellen verständnislos.
„Ja, sicher, aber ich bin ja nun wirklich nicht das erste Mal hier und er fragt mich immer wieder dasselbe, als wär’s einfach ein automatischer Ablauf. Ich habe immer das Gefühl, als würde ich mich mit einer Maschine unterhalten. So jemanden kann man doch nicht auf Schwerkranke loslassen. Mit dir hat er doch auch nicht anders gesprochen. ‚Eine OP machen wir nur dann, wenn’s was gebracht hat. Sonst lohnt sich das nicht.‘ Das kann man auch anders sagen, finde ich.“
„Pfff“, machte Ellen. „Das sagt die Meisterin des Feingefühls.“
„Ach komm, das ist doch was anderes. Ich rede so wie ich rede aus Überzeugung. Es kommt zwar plump rüber, das tut mir leid. Ich bin wohl über die Jahre etwas hart geworden. Aber als Mediziner sollte man auch darin geschult sein, seine Patienten nicht wie eine Fallstudie oder eine Nummer auf einem Blatt Papier, sondern wie Menschen zu behandeln.“
„Vielleicht ist er über die Jahre auch hart geworden“, gab Ellen zu bedenken. „Für ihn ist es bestimmt auch nicht leicht, Menschen Tag für Tag sagen zu müssen, dass sie Krebs haben und zu sehen, dass auch der Medizin Grenzen gesetzt sind.“
Josephine war erstaunt über Ellens Verständnis für die Art, wie Professor Dr. Rehn mit seinen Patientinnen sprach.
„Und warum liegt er mir immer in den Ohren mit dem Pflegedienst? Ich kann doch noch alles wunderbar selber. Sollte man seine Patienten nicht eher darin unterstützen alles, solange es geht, selbst zu erledigen?“
„Das wird eben sein Procedere sein. Zuerst sagt er dir, wie die Dinge stehen, dann, wie du dir Unterstützung holen kannst. Ich sehe daran nichts Schlimmes.“
„Aber ich brauche noch niemanden, der mir den Hintern putzt und mich füttert. Bis dahin ist hoffentlich noch ein bisschen Zeit.“
„So meint er das doch sicherlich gar nicht. Vielleicht meinte er einfach nur, dass man sich darum rechtzeitig kümmern muss“, wandte Ellen ein.
„Ach, kommt Zeit kommt Rat“, Josephine klang etwas genervt.