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Geschwister mit den Wachen ab, damit keine kleine Zecken den Weg hereinkrochen, und fanden endlich etwas mehr Schlaf.

      „Sieht aus, als hätten wir den schwierigsten Teil hinter uns“, sagte Alena am nächsten Nachmittag, als der Turm hinter ihnen nur noch ein winziger Fleck am Horizont war. Sie freute sich, dass zur Abwechslung alles gut klappte.

      Kurz darauf fanden sie in einer Senke zwischen den Felsen die Skelette.

      „Was ist denn hier passiert?“, fragte Kilian entgeistert.

      Alena untersuchte die Knochen. Es waren drei Dutzend Skelette von Menschen und Halbmenschen. Sie waren von der Sonne weiß gebleicht und bereits brüchig. Schwer zu sagen, wie lange sie schon hier lagen. Wahrscheinlich etwa fünfzig Winter. „Hm, ich fürchte, ich weiß noch nicht mal, was das gewesen ist“, meinte Alena und deutete auf zwei der Skelette. Eins war klein und vierpfötig, hatte aber einen recht menschlich wirkenden Schädel. Ein anderes war größer als jeder Halbmensch, den sie je gesehen hatte, die Knochen waren wuchtig und die Krallen an den Pfoten beeindruckend.

      „Ich glaube, der Kleine war ein Dachsmensch“, sagte Kilian. „Sie können kaum sprechen und sollen nicht sonderlich intelligent sein. Man sieht sie selten, weil sie in Alaak tief unter der Erde leben.“

      „Woher weißt du dann, dass es sie gibt?“ Jelica zog die Augenbrauen hoch. „Sag bloß, du hast schon mal einen gesehen.“

      „Äh, nein. Habe ich gelesen“, gab Kilian zu.

      „Das anderrre ist ein Bärenmensch“, knurrte Cchraskar. „Gibt nur wenige von ihnen, wenige. Sie leben in den Grenzland-Bergen.“

      „Stimmt, ihr habt recht“, meinte Alena, nachdem sie im Geist die seltenen Halbmenschenarten dieser Gegend durchgegangen war. Gepardenmenschen gab es nur im Grenzland zwischen Tassos und Nerada, es lebten nur noch wenige von ihnen. Sie würden vermutlich – wie die Kobramenschen ? bald aussterben. Die anderen seltenen Arten lebten weit weg von hier in Nerada oder Vanamee.

      „Wonach sieht das für euch aus? Insgesamt, meine ich?“, fragte Kilian.

      Alena richtete sich auf und blickte sich unruhig um. „Nach einer gescheiterten Expedition. Wahrscheinlich sind sie hier in einen Hinterhalt geraten. Cchraskar, irgendein Anzeichen für Gefahr?“

      „Nein. Allerdings folgt uns ein Menssch, folgt uns, seit wir die Grenze überschritten haben.“

      Sie starrten ihn an. „Klingenbruch, wieso sagst du das erst jetzt?“, stöhnte Kilian.

      „Es ist nur der Kerrl mit dem dunklen Umhang – ich glaube nicht, dass er gefährlich ist“, brummte Cchraskar und kratzte sich mit einer Vorderpfote hinter dem Ohr. „Jetzt versteckt er sich gerade hinter einem Felsen.“

      „Er ist immer noch in unserer Nähe?“ Jelica war verblüfft.

      Alena nickte. „Ja, schon seit der Schänke, glaube ich. Mir wäre wohler, wenn ich wüsste, was er vorhat.“

      „Vielleicht will er uns ausrauben“, schlug Kilian vor.

      „Haha“, sagte Jelica und zupfte an ihren Augenbrauen, so wie sie es immer tat, wenn sie nachdachte. „Das hätte er schon längst tun können. Wahrscheinlich braucht er keine abgewetzten Reiseausrüstungen und hässliche, schartige Lehrlingsschwerter.“

      „Vergiss nicht Alenas Smaragdschwert – das ist einiges wert …“

      „Er müsste schon sehr dumm sein, um das klauen zu wollen!“

      „Stimmt“, gab Kilian zu. „Vielleicht ist es gar kein Räuber. Sondern Zarko, der auf die richtige Gelegenheit wartet, uns eins auszuwischen.“

      „Der ist viel zu langsam für Messerkunstücke“, wandte Alena ein und blickte besorgt Richtung Horizont. Die Sonne stand schon sehr niedrig. „Los, lasst uns hier irgendwo eine Stelle suchen, wo wir zeckenfrei übernachten können.“

      Sie wollte aus dieser Senke weg. Es war kein besonders angenehmes Gefühl, an einem Ort zu stehen, an dem schon einmal eine Gruppe aus Daresh überfallen worden war.

      In der nächsten Senke war der Boden nicht so steinig, sondern viel glatter. Fast genau in der Mitte lag eine altertümliche, fast von Sand zugewehte Tasche, aus der eine Schriftrolle ragte. „He, das sieht interessant aus!“, rief Kilian und lief darauf zu; Jelica, Alena und Cchraskar folgten ihm.

      Das war, wie sich herausstellen sollte, keine gute Idee.

      ***

      Als Jorak das Geräusch hörte, wusste er, dass etwas ganz fürchterlich schief lief. Es war ein Knirschen, das durch seinen ganzen Körper vibrierte. Jorak presste die Hände auf die Ohren. Aber das widerliche Plapp, das danach kam, hörte er trotzdem.

      Es klang wie eine zuschnappende Falle.

      Wie haben diese vier eigentlich so lange ohne einen Vollzeit-Beschützer überlebt?, fragte sich Jorak und spähte hinter seinem Felsen hervor. Was er sah, erschreckte ihn bis ins Mark. Die Senke, in die Alena und ihre Freunde hinabgelaufen waren, gab es nicht mehr. Dort wölbte sich nun eine kuppelförmige, rötlich-braune Membran. Sie sah aus, als gehörte sie zu einer Art von Pflanze, die er nicht unbedingt näher kennen lernen wollte. Die sich geschlossen hatte wie eine Faust, als sie Beute im Inneren spürte.

      „Ach du große Wolkenschnecke“, murmelte Jorak und kroch hinter seinem Felsen hervor. Er war den Tränen nahe. Wo war Alena? Etwa da drin? „Diese verdammte Tasche war ein Köder. Und ich wette, die Skelette sind das, was nach dem Verdauungsvorgang übrig bleibt.“

      Es war niemand da, der ein Interesse daran hatte, mit ihm zu wetten.

      Er zog sein Schwert und versuchte die Membran aufzuschlitzen. Ging nicht, zu zäh. Er überlegte, ob er eine Steinlawine organisieren sollte – darin hatte er schließlich schon Übung –, entschied sich aber dagegen. Lawinen hatten die unangenehme Nebenwirkung, dass sie alles zerquetschten, was unter sie geriet. Also Alena und ihre Freunde gleich mit.

      Die Sonne geht bald unter, schoss es Jorak durch den Kopf. Ich muss mich beeilen mit dem Nachdenken. Außerdem ersticken sie sonst da drinnen.

      Er schloss einen Moment lang die Augen und zwang sich, die Verzweiflung an den Rand seines Bewusstseins zu schieben. Ihm fiel trotzdem nichts ein. Bis er die erste große Steinzecke des Abends auf sich zukommen sah. Sie fressen sich überall durch, erinnerte er sich. Wer innerhalb von zehnmal zehn Atemzügen einen Baum durchnagen kann, für den ist das hier auch kein Problem.

      Jetzt kam es nur darauf an, die Steinzecke für diese Art von Nahrung zu interessieren. Bisher zeigte das Biest nicht viel Lust, die Pflanze zu probieren. Wenn sie gut schmecken würde, wäre sie auch schon vor langer Zeit gefressen worden, folgerte Jorak. Ich fürchte, ich habe nur einen einzigen Köder …

      Er setzte einen Fuß auf die Kuppel. Es wabbelte ein bisschen und roch wie in der Sonne gut durchgebackenes Leder. Die Kuppel war steil, aber sie hatte genug Unebenheiten, um sich vorsichtig daran hochziehen zu können. Jorak krallte die Finger in die Oberfläche, schob sich nach oben, suchte einen neuen Halt, kroch weiter, immer ein Stückchen höher. Das schien der Pflanze nicht sonderlich zu gefallen, sie zuckte jedes Mal. Recht geschah es ihr.

      Am Fuß der Kuppel hatte sich inzwischen ein halbes Dutzend Zecken versammelt. Jorak versuchte nicht darüber nachzudenken, wie er und die anderen eigentlich nach vollbrachter Befreiung entkommen sollten. Gierig tasteten die Mäuler der Zecken nach ihm – und wandten sich der Aufgabe zu, an den Leckerbissen heranzukommen.

      Jorak hatte Recht gehabt. Sie schafften auch die Fallenpflanze in zehnmal zehn Atemzügen. Schon das erste Loch in der Membran machte einen Unterschied. Leider den, dass die Kuppel ein Stück in sich zusammensackte. Die Steinzecken waren jetzt nur noch drei Menschenlängen von ihm entfernt, und die ersten probierten, ob die Membran ihren Beinen schon besseren Halt bot. Das war nicht der Fall. Also kauten sie weiter.

      Und jetzt die Abschluss-Akrobatik, dachte Jorak. Er robbte erst zur einen Seite der nur noch halb aufgeblasenen Kuppel, drehte dann um, so schnell er

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