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war zu viel mit einem Male, darum konnte er sie nicht klein kriegen. Warum Gott so viele Menschen zum Nichtstun geschaffen hätte, das konnte er nicht aus den Gliedern 'rauskriegen; das quälte ihn auf die Letzt noch.“

      „Der liebe Mann! Gott wird ihm seinen guten Willen schon anrechnen.“

      „Ist auch in der Hoffnung von dannen gegangen, als ein gläubiger Christ. Aber, wenn er auf alle die zu sprechen und rechnen kam, die nichts täten und doch lebten, da rief er: Gott beschert's über Nacht. Da lag's manches Mal auf ihm wie 'ne Wolke, und ließ sich Bücher aus dem Kloster bringen, darin verzeichnet und abgeschildert stehen alle die Nonnen und Mönche in ihren Habitern, die auf der Welt sind, und dann rechnete er Zahlen zusammen, und da schlug er einmal übers andere die Hände übern Kopf und rief: Die tun alle nichts und leben doch. Wovon leben sie denn? Und wenn dann der Knecht Ruprecht antwortete: Von dem, was die anderen arbeiten und schaffen, da schlug er wieder die Hände zusammen.“

      Der Bischof strich über sein Kinn: „Es ist nicht abzustreiten, dass es eine hübsche Anzahl, vielleicht zu viel Bettelmönche gibt; indessen, was ist zu viel, was zu wenig vor dem Auge des Herrn? Können wir sagen: Es sind zu viel Sandkörner am Meer, zu viel Blätter im Walde?“

      „Ach, er meinte auch nicht die Mönche allein, auch die Thumbherren und Kreuzherren und Kapitulare und Kaplane und Pfarrherren, die alle vom Müßiggang lebten, sagte er.“

      „Vielleicht waren ihm auch zu viel Bischöfe?“

      „Ach, Hochwürdigster! Wenn er aufs Kapitel kam, nämlich von den Tagedieben, da wollt's gar nicht ausreißen. Das blieb auch nicht bei den Geistlichen stehen. Wer sollte da nicht dem lieben Gott das Sonnenlicht stehlen! Aber Götz sagte ich, 's ist doch nun mal so. Es sollte aber nicht so sein, sagte er. Ich sagte: 's sind doch nun nicht alle drauf zugekommen, nämlich einen hat Gott so gemacht und den anderen so, das sagte ich, damit er sich zur Ruhe gäbe und die Kinder in Ruhe ließe. Der Hans Jochem hat immer was gedacht, sagte ich, und was ist aus ihm worden, und wer hat's an der Eva gespürt und wie ist sie angesehen bei Hofe, sie nennen sie 'ne kluge Frau, und der Kurfürst selber unterhält sich gern mit ihr. Es half nichts. Hatte ich ihn ein bisschen zur Ruhe, dann kam er wieder auf die Wüste zu sprechen – nämlich als es schon zum Schlimmen ging, – und wenn er darauf zu sprechen kam, und auf den verschütteten Brunnen, da war ihm nicht beizukommen. Da meinte er, wir alle hätten eine Wüste hinter uns, Menschen und Tiere und Länder und Reiche, und was hätten wir da zu arbeiten, dass wir's wieder gut machten, und aller Sonnenschein, den die Tagediebe einschlucken, der möchte kaum ausreichen, so man ihn zusammenfasste, dass die Wüste hinter uns wieder grün würde. Manches Mal fand ich ihn auch, da weinte er wie ein Kind. Sagte: wenn der Tod ihn holte, was denn von ihm über bleibe? Ja, ich hatte gut reden: Mann, bleiben denn nicht Deine Kinder und Deiner Kinder Kinder? Die wachsen so hübsch auf, und Dein guter Name! Da sah er mich ganz eigen an und schüttelte den Kopf: Wer weiß davon noch, wenn das Gras über mir wächst? Ich, sagte ich, nach hundert Jahren sprechen sie wohl noch von Dir, aber nach dreihundert?, fragte er. Wer weiß, sagte ich, 's ist doch wohl noch einer, der von Dir erzählt. Und was könnt' er von mir erzählen, hat er gelächelt. Du lieber Gott, sagte ich, wenn man von allen noch reden sollte, die mal gelebt haben, dann risse es ja gar nicht ab. Das wäre just, als wenn alle Toten wieder lebendig würden. Wir hätten keinen Platz hier. Da ward er denn still und lächelte“.

      „Und ist gottselig gestorben“, sagte der Bischof, sehr zufrieden, dass er still geworden.

      „Gottselig. Es war, als ob die Englein durchs Fenster flogen, es war Frühjahr, die Schwalben kamen zurück, eine pickte an die Scheibe, da sah er hin, und lächelte, und da“.

      Die gute Frau verhüllte ihre Augen, und das war für den Bischof gut, denn wenn sie nicht die Schürze vorm Gesicht gehalten, hätte er nicht mit Ehren den Ehren- und Abschiedstrunk, der jetzt herumgereicht ward, leeren können. Vor einem Morgenritt im Winter ist das für jedermann gut; ob geistlich ober weltlich.

      Der Bischof drückte der Wirtin die Hand: „Wie Euer Herr in Frieden von dannen schied und drüben in Frieden ruht, so schenke er uns allen seinen Frieden hier. Aber“ setzte er hinzu, ihre Hände klopfend „von dem Ritter Gottfried wird auch auf dieser Erde noch etwas übrig bleiben.“

      Da glänzte wieder helle Röte auf dem Gesicht der Burgfrau, und sich ehrerbietig verneigend, lächelte sie: „Ja, hochwürdigster Herr, ich habe ihn aushauen lassen in Stein. Im Kreuzgang zu Kloster Lehnin wird er an der Ecke vor der Mutter Gottes knieen, just wo die Morgensonne durchs große Fenster scheint. Die wird alle Morgen ihn zuerst ansehen und vielleicht spricht die Sonne zu meinem Herrn: Sieh, Dein Wunsch ist erfüllt; wer so gelebt hat, wie Du auf Erden, wird nicht untergehen. Vielleicht lächelt dann auch das fromme Gesicht und nickt der Sonne zu: „Ich weiß schon, wer's getan hat!“

      „Ist in unsern schlechten Zeiten eine seltene Ehre“, sagte der Abt.

      „Weil sie nicht jedem gebührt,“ setzte der Bischof hinzu.

      „Nun sollen sie doch nach hundert und dreihundert Jahren, und wer weiß wie vielen noch, meinen Götz nicht vergessen haben!“ sprach mit triumphierender Miene Frau Brigitte. „Solange das Bild steht, werden die Kirchgänger es sehen, und wenn sie's nicht wissen, fragen, wer ist der fromme Ritter? Und solange ein Mönch im Kloster ist, wird's doch einer wissen und ihnen sagen können: Das war mein Götz!“

      „Wer wird dann von uns sagen: Wir waren es?“ sprach der Abt, nachdem die Reiter eine Weile durch den beschneiten Wald geritten. „Wer wird uns steinerne Bilder aufrichten?!“

      „Der Stein verwittert auch einmal“, sagte der Bischof. „Der Regen wischt die Züge aus, und statt des Bildes sieht der späte Nachkomme eine Fratze.“

      „Ihr freilich, Hochwürdigster, werdet in Erz gegossen und in die Reihe der Tafeln Eurer Vorfahren an die Chorwände einge –“,

      „Gehängt, gemauert, geschmiedet, wollt Ihr sagen. Kann man das Eingeschmiedete nicht auch herausreißen? Unser Dom ward oft zerstört. Wer bürgt mir, dass die Heiden nicht einmal wieder nach Brandenburg kommen!“

      „Sankt Johannes, was Ihr sprecht!“

      „Schaut Ihr doch wieder aus, als da die Wölfe hinter Euch waren.“

      „Wenn nun die Wölfe die Türken bedeuteten!“

      „Die hätten weit bis zu uns“.

      „Von wo es komme, es kommt etwas; ob von der Natur oder den Menschen. Der Zeichen sind zu viele, die auf einen Umschwung deuten. Die Klügsten können sich des nicht mehr erwehren. Denn so auch der Komet, die Pest, die Türkenkriege keine Warnungen gewesen, so weiß mein gelehrter Bruder besser denn ich, was sie in der Provence durch Rechnungen herausgebracht. Die Konstellation der Gestirne stimmt wie noch nie zuvor mit der Apokalypse, und die Gelehrtesten in allen Ländern sind jetzt damit beschäftigt, auszurechnen“.

      „Ob die Welt durch Feuer oder Wasser untergehen wird.“

      „Die meisten deuten auf eine Sündflut.“

      „Einmal wird die Welt untergehen. Es fragt sich nur, wann?“

      „Des alten Kaisers Maximilian Tod deucht vielen sehr bedeutungsvoll.“

      „Eine Überschwemmung sehe ich auch voraus, teuerster Abt, nämlich mit hispanischem und welschem Wesen, das der junge König Karl ins Reich bringen wird. Schlimm genug, aber in Wasser werden wir nicht ersaufen. Aus Hispanien kommt feuriger Wein. – Herr Bruder, was ist's mit Euch“ – fuhr der Bischof nach einer Weile fort. „In der Nacht dort ließ ich's passieren; aber es ist lichter Tag, wir haben festen Boden unter uns, hier sind keine Berge, aus denen Quellen niederrauschen können. Glaubt mir, die Erd' wird noch ein wenig zusammenhalten, der Türk' sich besinnen. Schüttelt das Fieber ab, oder bei allen Heiligen, ich glaub', 's ist noch immer der Augustiner, der Euch in den Gliedern sitzt. Gestern, ich will's Euch gestehen, als ich den Wolf hinter mir sah, nämlich im Traume, waren's die Augen und der Rachen des Mönches. Ihr hattet mich angesteckt. Dank dem heiligen Antonius, dieses Viehfieber ist mit einem gesunden Schweiß vorüber. Den Spuk schaff' ich Euch vom Hals. Ehe denn, dass ich selig zum Grabe gehe, soll

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