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jeder ging seinen eigenen Gedanken nach. Den Gedanken von vier Menschen ist schwieriger folgen, als den vier Winden. Die Sonne leuchtete ihnen nicht, denn ob die Luft schon stille war, und die Schneewolken sich verzogen, war das Himmelsgewölbe doch wie mit einer blassgrauen, flimmernden Kruste überdeckt, durch welche nur ein hellerer Schein an der Mittagshöhe dämmerte.

      Der Bischof saß in Pelze gehüllte in dem Staatswagen des Lehniner Abtes, der ihn nach dem Dom von Brandenburg zurückführte. Nicht zwar was er dachte, aber dass er Ernstes dachte, stand in Runzeln und Falten auf seiner Stirn geschrieben. Er wollte denken, wie er es seinem Kurfürsten zurechtlegen und vortragen solle; aber der Mensch denkt und Gott lenkt, und so lenkte er es diesmal, dass der Bischof von Brandenburg dachte, wie er vor sich selbst die Sache zurechtlege. Wer nun hätte es, und im kalten Februar geglaubt, dass ihm Schweißtropfen auf der Stirn perlten. „Es ist nicht gut allein sein“, sagte der Prälat, indem er die Stirn mit dem Tuche wischte, „wenn man mit anderen spricht, kommen die Visionen nicht auf. Und über dem ist alles, was aus der Ordnung schlägt, nimmer gut,“ dachte er weiter, und meinte damit die Reise nach Wittenberg. Er war viel in seinem Leben gereist, aber immer als Legat eines Fürsten, an Höfe und an Reichstage, immer mit seiner Würde und Bequemlichkeit. Aber was man heute inkognito nennt, zu reisen, und zu Ross, und um eines Mönches willen, und gar mit diesem Mönche unterhandeln zu müssen, wie mit einer Macht, statt ihn den Willen der Autorität kurz und bündig wissen zu lassen, das erschien ihm wie eine Versündigung gegen die gute, alte Ordnung, daher gegen Gott, und jemehr er sich das ins Gedächtnis rief und sich eingestand, dass er eigentlich nicht erreicht hatte, was er sollte, um so verdrießlicher ward er, und um so mehr fanden die Geister der Furcht ihn empfänglich für ihre Eindrücke. Vergebens rief er die des Stolzes auf, und jene Kunst, die er so oft geübt, durch anmutige und scherzhafte Wendungen eine eingebildete oder selbst eine wirkliche Gefahr wegzureden. Was ihm beim Kurfürsten so oft gelungen, gelang ihm bei ihm selber nicht; wie er sich auch sagte, es sei Torheit, die beängstigenden Bilder kamen immer wieder; ja als die Türme von Brandenburg sichtbar wurden, schienen sie ihm in verkehrter Ordnung zu stehen und zu schwanken.

      „Es kommt etwas,“ sprach er verdrießlich bei sich, „das hat seine Richtigkeit; derlei Vorahnungen lassen sich nicht ganz abstreiten, sintemalen sie in der ganzen Geschichte vor großen Ereignissen sich kundgaben, und es waren nicht die beschränktesten Köpfe, die es im Blute fühlten.“ Dabei warf er sich etwas in die Brust und dachte an den Abt von Lehnin, wobei ein mitleidig Lächeln über sein Gesicht zückte. Und doch ging er unwillkürlich in Gedanken alle die Gefahren durch, welche der Abt in seiner Angst hergezählt. Bei den Türken schüttelte er wieder vornehm den Kopf: „Bis die hierherkommen!“ bei der Sündflut sah er wie getröstet auf die Sandhügel am Wege, und dann schwieg er und wiegte den Kopf, aber er schüttelte ihn immer wieder und wieder, und seine zusammengebissenen Lippen pafften fast verdrießlich das Wort „Bettelmönch“ vor sich hin. Aber dass er das Wort in derselben Weise mehrmals wiederholte, hätte anzeigen können, dass ihn der Gegenstand doch mehr beschäftigte, als er gegen jemand und gegen sich selbst zugeben wollte.

      „Nun, und wenn es kommt,“ sprach er bei sich endlich, wie aufatmend von einem langen Druck, „so kommt es nach uns. Der Kurfürst kann und darf nicht, dafür will ich sorgen! Bei uns geht alles seinen langsamen Gang – die Märker sind zäh und fest. Was kann ein Gewitter schaden, das in den Sand einschlägt! Havelberg kann mir nicht entgehen, und wenn der Blumenthal auch alle Stimmen der Kapitulare für sich hat, Joachim mag ihn nicht, er ist zu ungestüm. – Brandenburg und Havelberg zusammen sind beinahe ein Erzbistum wert – es gibt bessere Stifter, Halberstadt, Magdeburg! Die will man für Prinzen von Geblüt aufsparen! Markgraf Albrecht soll sich genügen lassen mit dem Kurhut von Mainz. Indessen es ist noch nicht aller Tage Abend Kardinalshüte kommen so selten nach Deutschland dazugehört welsches Blut und die Tiara! Träume, Träume, die den Hungrigen nicht satt machen. Ein Tor, wer von Deutschen jetzt Papst sein möchte, seit die Torheit dort zu Hause ist. Es ist schier unglaublich, was man von der Verehrung dort erzählt, so dort dem schlechtesten Gesindel gezollt wird, Musikanten, Malern, Versemachern, Querpfeifern, Baumeistern und Anstreichern! Im Vatikan, der auf die Wände pinselt, wie heißt er doch? Ja, Rafael, für den man nicht Ehren genug weiß, ja sogar, 's ist unglaublich, einen Kardinalshut. Nein, da lobe ich mir mein Brandenburg. Solcherlei Künste, mag man sie treiben, aber Ehre dem Ehre gebührt.“

      Die Glocken der Türme fingen zu spielen an. Der Bischof lehnte sich vergnügt aus dem Fensterschlage, die Schornsteine der alten Stadt dampften von den Mittagsherden so behaglich. „Ja“, fuhr er mit wohlgefälliger Miene bei sich fort, „es ist hier warm und gut, und die Stürme, die nach uns kommen, für die mögen andere sorgen, mich treffen sie nicht mehr.“ Und wie zur Bekräftigung brach in dem Augenblick, als die Wagenräder über die Brücke zur Dominsel rasselten, die Sonne durch die Eiskruste des Himmelbogens, und die beschneiten Dächer und der weite Spiegel der Havel strahlten wieder von ihrem Lichte. Es war ein schöner Anblick, aber des Bischofs Antlitz verfärbte sich. Der Wagen hielt an, ein Leichenzug verstopfte den Weg. Der Sarg war offen, sie trugen auf der Bahre den Verstorbenen nach der Kirche. Es war ein noch jugendliches Gesicht im vollen Priestergewande, ein Domherr, der erst gestern gestorben – der Bischof hatte keine Kunde davon – es war der jüngste Domherr, aber sein brennender Ehrgeiz strebte schon nach einem Bischofshut, wohl noch weiter; und wenn Hieronymus seiner Gaben gedachte, so die Natur ihm verliehen, und der Macht seiner Familie, durfte er ihn fürchten. Er hatte ihn nicht mehr zu fürchten, aber blass lehnte er sich hintenüber, und wie getroffen stieg er die Schwellen zu seiner Residenz hinauf.

      Währenddessen war der Abt in den Kreuzgängen des Klosters wie ein Schatten oder ein Schatzgräber umhergestreift. Wohl zehnmal war er an die Stelle zurückgekehrt, wo das Steinbild des Ritter Gottfried errichtet werden sollte, aber wenn er allein war, sah er nicht auf die Stelle an der Mauer, sondern schaute nach dem Riss im Gewölbe und maß den Riss im Ringelturm. Dann konnte man ihn stehen sehen mit unterschlagenen Armen am Pfeiler und trüben Blickes auf den Hof hinschauen. Im Hofe sah es doch lustig aus, von Lebendigen und Toten. Das schönste Federvieh gackerte und wühlte unter den mit vollen Händen hingestreuten Körnern, die Aale und Karpfen und Zander sprangen im Netz und in den Körben, welche die Fischerinnen eben gebracht, und der Pater Küchenmeister musterte mit Kennermiene den Dammhirsch, den die Jäger ausweideten, während der Pater Kellermeister, sein volles Kinn zwischen dem Daumen und Zeigefinger, den Auerhühnern den Vorzug zu geben schien. Und zwei oder drei andere standen neben den Würdigen, und, nach ihren ernsten Mienen zu schließen, erwogen sie das Gewicht der Worte; schwer ist's zu entscheiden, wo zwei Kenner sich streiten. Und da kamen neue Gegenstände ernster Erwägung, der wendische Gärtner mit einer Karre kleiner, brauner Rüben, eine andere Karre mit grünem Winterkohl, und plötzlich ward der Pater Kellermeister, der jetzt mit dem Zeigefinger die Weichen des Dammhirsches ernstlicher befühlte, abgerufen, denn der längst erwartete Wagen aus Rostock stand vorm Tore, und die Tonnen des fremden Bieres, das die Lehniner, laut besonderem Privilegium, zollfrei erhielten, wurden über den Hof gerollt. Wer wandte da nicht seine Blicke hin, wer wollte nicht selbst gern Hand anlegen und den Schrötern helfen, den besten Saft, der schon seit zwei Monaten ausgegangen, in die Keller zu schaffen, dass er ohne zu große Erschütterung auf die Lager kam.

      Nur der Abt nicht. Vor seinem trüben Auge wuchsen Disteln aus dem Schutt, die Käuzchen hingen unter den Blenden, der Wind fuhr durch die Mauerspalten.

      Er sah die kleine Rübe kaum an, die ihm der Pater Küchenmeister in die Hand gab, als er nach seiner Zelle schritt, und der Pater hatte ihn bis an die Schwelle begleitet: „Domine, Hochwürdigster! 's ist ein Elend, die Rüben werden immer kleiner. Von uns ist nichts versehen, ich lasse die Erde gar hacken, an Dung fehlt es nicht, aber wir bringen's nicht gleich mit dem Teltow.“

      „So lasst es gehen, und kauft im Teltow, es wachsen genug da –“,

      „Domine, Hochwürdigster, für unsere Tafel ja; 's ist nur der Ehre wegen. Haben denn die Teltower besser' Land als wir? Sand da und hier, trocken da und hier, und die Dinger, man muss es ihnen lassen, sie zergehen wie Honig auf der Junge, unsere bleiben faserig wie Stroh. Was könnt' es uns bringen, so wir auch alljährlich ein Fässchen davon nach Rom sendeten. Was dünken sich die Plebanen in Teltow, weil der Papst von ihren Rüben isst!“

      „Den Pater Kellermeister!“, sagte

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