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lehnt sich zurück und behauptet: „Ich habe heute mein Geld schon verdient.“

      Als er mit befriedigter Miene seine schlechten Zahnreihen präsentiert, vermute ich richtig, dass ich seine Behauptung ausführlicher von ihm erfragen soll. Ja, womit mag er sein Geld heute schon verdient haben, denke ich und frage: „Womit denn?“

      „Parkplatz blockiert“, erklärt er und lehnt sich, bevor er fortfährt, weit nach vorn. „Vor der Stadtsparkasse fragt ein gutbetuchter Wessi, ob ich die Parklücke für eine halbe Stunde für ihn freihalten kann. Er müsste dringend mal weg. Nach einer Viertelstunde kommt er wieder und drückt mir einen Schein in die Hand.“

      „Gab es denn Probleme während der Parkplatzbesetzung?“, will ich mit ehrlichem Interesse wissen.

      In seinen Mundwinkeln spielt wieder ein ironisches Lächeln. „Naja, zum Probleme machen hat es bei diesen Würstchen nicht gereicht. Die haben schlau erkannt, dass man mich so schnell nicht wegräumt.“

      Ich beobachte die Serviererin, die an einem Nachbartisch bedient, aus dem Augenwinkel und zucke zusammen, als es noch einmal kräftig donnert.

      Er schlürft vom Kaffee. Seine ungepflegten, langen Fingernägel sind allesamt schwarz gerändert. Ein dicker Furunkel über seiner rechten Augenbraue wässert, und er wischt zum wiederholten Male mit dem Handrücken darüber.

      „Der Kaffee ist kalt“, stellt er lapidar fest und urteilt dann, „aber besser als gar keiner.“

      Die Serviererin stellt den Kognak vor ihm hin und nimmt das leere Glas vom Tisch. Ohne Worte hält sie die Hand auf. Er wirft ein paar Münzen hinein.

      Bevor sie wieder abdreht, bestelle ich hastig: „Ich hätte gern zwei Kännchen Kaffee.“

      „Kännchen haben wir nicht, nur Pötte“, erklärt sie.

      „Doch wohl nicht etwa solche Suppenschüsseln?“, frage ich ungläubig und weise auf den Kaffeepott.

      „Sie brauchen sie ja nicht zu bestellen“, stellt sie klar.

      „Zwei, ohne Milch und Zucker!“, befehle ich gereizt.

      Wir sehen ihr nicht nach, sondern uns gegenseitig an. Er zeigt wieder seine desolaten Zähne. Dann trinkt er den kalten Kaffee aus.

      „Ich habe hier keinen Kredit, ich muss sofort zahlen. Wenn ich nicht beim Reinkommen mit dem Geldschein gewunken hätte, hätten sie mich sofort wieder rausgeschmissen“, behauptet er.

      Das habe ich mir so ähnlich bereits gedacht. Immer noch ungehalten über die Riesenbecher schimpfe ich: „Das ist eher was für kleine Pippis, die zusammengekauert die Schale mit beiden Händen umklammern und altklug ins Nichts hineindenken, um anschließend mit lauwarmer Plörre ihren Harndrang anzuregen.“ Ich weise auf den leeren Kaffeepott. Er grinst.

      Draußen regnet es immer noch. Schneller als erwartet bringt sie den bestellten Kaffee und will gleich weiter.

      „Ich möchte auch sofort zahlen“, sage ich laut mit Nachdruck und beschließe ihr nicht das übliche Trinkgeld zu geben. Sie kassiert und verschwindet grußlos.

      Er erhebt sein Kognakglas und prostet mir pathetisch zu. „Auf die deutsch-deutsche Freundschaft!“

      Ich halte ihm meinen heißen Kaffeepott zum Anstoßen entgegen. Er stößt an und kippt den Kognak hinunter. Für einen Moment versuche ich, mich an seine Stelle zu denken. Welche Gründe mögen es sein, dass er in dieser Gesellschaft offensichtlich ganz unten gelandet ist? Was mag er erlebt haben?

      Als hätte er meine Gedanken erahnt, beginnt er von sich aus zu erzählen. „Hauptmann der NVA, Mot.-Schützenregiment 22 – Thomas Müntzer – Mühlhausen“, stellt er sich vor und richtet dazu eigens seinen Oberkörper militärisch straff auf.

      Von meinem Sakko steigt sichtbar Wasserdampf auf. Ich drücke mit gekrauster Stirn mein Erstaunen aus. Mit meiner Überraschung scheint er gerechnet zu haben. Jedenfalls nötigt ihn wohl meine Mimik, sich näher zu erklären.

      „Kaum zu glauben, ist aber so“, sagt er bestimmt und fährt dann fort, „in den Fängen der Stasi war es dann aber mit der Glorie des Genossen Hauptmann schlagartig vorbei.“

      Er sieht mich prüfend an. Ich trinke zur Überbrückung vom Kaffee. Er fährt mit dem Handrücken wieder über seinen Furunkel.

      „Ein Wessi soll seinerzeit auf der Leipziger Messe Kontakt mit meiner Schwester geknüpft haben, um sie und vor allem mich auszuspähen. Sie saß für das Verbrechen gegen den realexistierenden Sozialismus ein paar Jahre in Hoheneck im Knast. Nachdem sie wieder raus war, habe ich sie noch einmal getroffen. Sie war ein ganz anderer Mensch geworden. Eher ein gehetztes, gebrochenes und scheues Tier. Kurz vor dem Mauerfall hat sie sich aufgehängt.“

      Ich kann seinen Blicken nicht standhalten und weiß, dass ich jetzt etwas sagen muss. Aber was? Er weiß sehr gut, welche Wirkung seine Rede bei mir hervorgerufen hat. Deshalb lässt er mir, ohne mich aus seinem Sichtfeld zu entlassen, ein wenig Zeit, um zu reagieren.

      „Und selbst? Konnte Ihnen die Stasi denn etwas nachweisen?“

      Er lacht höhnisch auf. Dann wieder sein ironisches Lächeln in den Mundwinkeln. Nein, dieser Mann ist kein Zyniker. Und wenn ich mich irren sollte, dann hat man ihn erst nach überlebtem Stasi-Gewahrsam zum Zyniker gemacht.

      Unaufgeregt schildert er die Folter durch die Stasi. In eine enge gemauerte Nische, die man das Wartehäuschen nannte, musste er, mit verkrümmten Gliedern hineingequetscht, stundenlang ausharren. Wie lange er hinter einer weißen Linie stehen musste, weiß er nicht mehr. Aber es waren Stunden, die man ihn im geschlossenen Wartburg in der Stadt herumkutschierte, weil er die Orientierung verlieren sollte. Er erfuhr durch einen Staatsapparat die unterschiedlichsten Verhörmethoden, Schlafentzug, Dunkelhaft, Lichtterror …

      „… aber warum erzähle ich das jemanden, der lediglich irgendwann mal etwas von der Stasi gehört hat?“, fragt er sich resigniert.

      „Ganz so ist es nicht“, wende ich ein.

      Das Café leert sich merklich. Das ist ein untrügliches Zeichen, dass der Gewitterregen aufgehört hat. Ich und die Feuchtigkeit bringen mein Sakko auch nicht mehr zum Dampfen. Dafür ist es mir ziemlich kühl geworden. Er sieht mich fragend an.

      „Ich habe das Stasi-Gefängnis in Dresden besichtigt. Den sozialistischen Waffenbruder, auch zeitweise den Genossen Putin, konnten die Stasi-Helden durch einen unterirdischen Tunnel bequem und unerkannt besuchen. Insgesamt kam mir das Folter-Verlies auch ohne Erläuterungen durch das Museumspersonal als Hort höchster Menschenverachtung vor“, erkläre ich ganz gegen meine Gewohnheit ausführlicher.

      „Menschenverachtung! Das trifft den materialistischen Kern“, bestätigt er und zeigt wieder sein ironisches Lächeln. „So sind sie bis auf den heutigen Tag, diese Menschheitsbeglücker.“

      „Aber wie sind Sie denn die Stasi wieder losgeworden?“, will ich wissen.

      Er grinst. „Ganz einfach. Eines Tages machten sie mir das Angebot, die NVA zu verlassen, über meine Stasi-Inhaftierung Stillschweigen zu wahren und mich als Werktätiger des Arbeiter- und Bauernstaats im Tagebau zu bewähren.“

      „Aber es gab doch in der DDR auch Rechtsmittel“, wende ich ein.

      Er lacht. „Natürlich, genauso sollte es sein. Und wenn die Justiz auch nicht hilft, kauft mich irgendwann der Westen frei. Nein, nein, ganz so idyllisch lief das nicht immer ab. - Ich habe unterschrieben. Ich habe alles unterschrieben und bin in die Kohle gegangen.“

      Ich habe nicht verstanden. „In was?“

      „Im Braunkohletagebau habe ich malocht und die Schnauze gehalten“, verdeutlicht er.

      Ich nippe vom mittlerweile lauwarmen Kaffee. „Sind Sie denn nicht entschädigt worden? Ich habe mal gehört, dass es so was geben soll.“

      Jetzt erhält seine Stimme einen bitteren Unterton. Er grinst nicht und sein ironisches Lächeln will ihm auch nicht gelingen.

      „Diese

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